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Podcaster
Beschreibung
vor 8 Jahren
In den Räumen des Entropia e.V. traf sich Joachim Breitner mit
Sebastian Ritterbusch, um ihm von Computerbeweisen und der
Incredible Proof Machine (http://incredible.pm/) zu erzählen.
Diese hatte er mit Unterstützung von Kollegen und Freunden für
einen dreitägigen Workshop im Oktober 2015 am Science College
Jülich mit Schülerinnen und Schülern im Start-Stipendium für
motivierte und neu zugewanderte Jugendliche in Mittel- und
Oberstufe unter Unterstützung der Deutsche Telekom Stiftung
entworfen.
Der mathematische Beweis ist grundlegender Bestandteil der
Mathematik und die Technik des Beweisen wird im Mathematik- oder
Informatikstudium vielfach geübt, wie es auch im Modell036
Podcast zur Analysis beschrieben wurde. Dennoch wird das wichtige
Thema nur selten in der Schule angesprochen, da korrekte Beweise
sehr formal und abstrakt sind. Mit einem spielerischen Zugang
wird der Einstieg in die exakte Beweistheorie für Schüler und
Mathematik-Interessierte nicht nur möglich, sondern ermöglicht
auch neue Formen der Lehre wie den Modell051 Flipped Classroom.
Beweise gehen von bestehenden Aussagen und festgelegten Axiomen
aus, um neue Aussagen oder Erkenntnisse zu belegen. Von der
Aussage "es regnet" kann man beispielsweise mit einem
fiktiven Axiom "wenn es regnet, werden Straßen nass"
schließen, dass gilt: "die Straße ist nass". Und man kann
daraus mit der Technik des Widerspruch-Beweis zeigen, dass aus
der Aussage "die Straße ist trocken" folgt, dass "es
regnet nicht" gilt. Denn (und das ist der Beweis), würde es
regnen, so wäre die Straße nass, also nicht trocken.
Wann ist aber nun ein Beweis richtig? Diese Frage kann sich jeder
selbst beantworten, in dem man einen vorliegenden Beweis versucht
nachzuvollziehen. Eine Alternative ist die Beweisprüfung mit dem
Computer, wie beispielsweise mit Isabelle. Diese Art von Software
richtet sich allerdings in erster Linie an fortgeschrittene
Nutzer und setzt Kentnisse in sowohl in der Logik als auch in der
(funktionalen) Programmierung voraus, und so suchte Joachim nach
einer einfachereren Methode, beweisen zu lernen und die
Ergebnisse maschinell zu prüfen.
Mit der von ihm kreierten Incredible Proof Machine werden Beweise
durch Ziehen und Setzen bildlich erstellt, in der Form eines
Graphen. So wird das Beweisen zu einem Puzzle-Spiel mit
Erfolgserlebnis, das man nach und nach lösen kann, ohne dabei die
exakte Mathematik zu verlassen.
In dem Spiel gibt es viele Aufgaben, die zu lösen sind. In der
Übersicht sind diese in Lektionen geordnet und zeigen jeweils
durch einen breiten Strich, dem Inferenzstrich getrennt, von
welchen Aussagen oben man welche Aussagen unten beweisen soll.
Wählt man eine Aufgabe aus, so sieht man die gegebenen Aussagen,
die oberhalb des Striches waren, als Quellen auf einem
Arbeitsblatt. Die zu beweisenden Aussagen erscheinen als Senken.
Von den Quellen kann man nun per Maus Verbindungen zu den Senken
ziehen- entweder direkt, oder mit Hilfe zusätzlicher Blöcke, bzw.
gegebener Beweisregeln, aus einer Toolbox links, die ebenfalls
zur Verfügung stehen und weitere gegebene Axiome darstellen. Sind
alle offenen Senken bewiesen, so leuchtet unten eine Zeile grün
auf, als Bestätigung für einen geschafften Level- eine positive
Bestärkung, die nicht ganz so spektakulär ist, wie bei Populous.
Während man auf dem Arbeitsblatt spielt, gibt die Incredible
Proof Machine unmittelbar Rückmeldung, falls eine Verbindung so
keinen Sinn macht: Will man die Aussage B mit Aussage A beweisen,
so wird die Linie zwischen den beiden sofort rot, und gibt dem
Spielenden die Hilfestellung, wo mindestens ein Fehler steckt.
Die logischen Aussagen und die gegebenen Beweisregeln verwenden
eine gängige Notation zur Beschreibung logischer Verknüpfungen.
Ein ∨ (sieht wie der kleine Buchstabe v aus), steht für die
logische Oder-Verknüpfung und die Notation stammt vom
lateinischen Wort vel. Das umgekehrte Symbol ∧ steht für die
logische Und-Verknüpfung. In der ersten Lektion gibt es zwei
Blöcke bzw. Beweisregeln für die Und-Verknüpfung: Einmal ein
Block mit zwei Eingängen X und Y und einem Ausgang X∧Y, sowie
einem Block mit einem Eingang X∧Y und zwei Ausgängen X und Y. Die
Lektion 1 behandelt damit den grundlegenden Umgang mit dem System
und die Konjugation.
Die Lektion 2 führt die Implikation ein. Eine Implikation, oder
auch Folge, beschreibt die Aussage, dass aus einer Aussage eine
zweite zwingend folgt. Zur Anwendung einer Implikation gibt es in
dieser Lektion eine Beweisregel, die eine Implikation anwendet.
Ein weiterer Block ermöglicht eine Implikation zu erzeugen, in
dem die Vorbedingung in einem Einschub angenommen bzw. angeboten
wird, und man daraus das Zielereignis dann herleiten muss.
Die Prüfung der Beweise in der Incredible Proof Machine erfolgt
durch einen Beweisprüfer in Haskell, einer funktionalen
Programmiersprache, die auch schon im Modell047 Podcast zum
Tiptoi zur Sprache kam. Der Beweisprüfer wurde mit ghcjs nach
JavaScript kompiliert und läuft damit komplett im Browser. Über
einen Compiler von Haskell zu Redstone wie in dem Modell056
Podcast zu Minecraft ist leider noch nichts bekannt.
Ein lehrreicher Zusammenhang ist hier, dass aus logischer Sicht
Implikationen vollkommen korrekt sind, wenn die rechte Seite wahr
ist – ohne dass ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss. Wenn
also jemand nach Einnahme von offensichtlich unwirksamen Mitteln
gesund geworden ist, so ist der logische Schluss, dass nach der
Einnahme die Person gesund ist, korrekt. Doch darf man daraus
keinesfalls schließen, dass die unwirksamen Mittel dafür der
Grund gewesen wären. Das ist ein ähnlicher Fehlschluss wie Cum
hoc ergo propter hoc – aus Korrelation folgt keine Kausalität.
Die Lektion 3 führt die Disjunktion bzw. Oder-Verknüpfung mit
drei neuen Beweisregeln-Blöcken ein, zwei zur Erzeugung einer
Aussage mit einer Disjunktion, eine zur Zerlegung einer
Disjunktion. Interessant ist dabei besonders die Zerlegung der
Disjunktion, da sie auf eine Fallunterscheidung führt.
Man kann auch frei weitere Aufgaben innerhalb der Incredible
Proof Machine für sich selbst hinzufügen, neue Vorschläge aber
auch auf Github einreichen.
Die Lektion 4 behandelt die abstrakte falsche Aussage ⊥. Aus
dieser kann man alles folgern, ex falso quodlibet, was dann auch
in der ersten Aufgabe zu zeigen ist. Eine besondere Notation ist
dabei, dass aus einer Aussage falsch folgt, wie A⊥. Dies
bedeutet einfach nur, dass A nicht gilt, also falsch ist – die
Negation von A.
In Lektion 5 verlassen wir dann die intuitionistische Logik, die
von einer konstruktiven Mathematik ausgeht, hinein in die
allgemeinere klassische Logik. Hier wird die Beweisregel vom
ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur) eingeführt. Dabei
sind konstruktive Beweise, die also ohne tertium non datur
auskommen, leichter automatisiert zu führen.
Für die Aussage "Es gibt eine irrationale Zahl, die mit einer
irrationalen Zahl potenziert rational ist" gibt es als Beispiel
einen nicht-konstruktiven Beweis: Entweder ist Quadratwurzel von
2 mit sich selbst potenziert rational, oder spätestens das
Ergebnis potenziert mit der Quadratwurzel von zwei ist rational,
denn das ist 2. Es ist nicht klar, welche Basis die Lösung ist,
sondern hier nur, dass es eine der beiden ist.
Einen Zusammenhang von der konstruktiven Logik zur Programmierung
liefert die Theorie der Curry-Howard-Korrespondenz – man kann
Programmieren auch als eine Art Beweisen sehen, und daher sind
auch ähnliche graphische Darstellungen als Flussdiagramm möglich.
In Lektion 6 werden Quantoren und Prädikate eingeführt. Man kann
hier beispielsweise zeigen, wann der Existenzquantor und der
Allquantor vertauscht werden dürfen:
Die Lektion 7 behandelt zwei weitergehende Beispiele, die auch
umgangssprachlich verständlich sind: Die erste Aufgabe behandelt
das Bar-Paradox: Hier gilt es zu beweisen, dass es in jeder
nicht-leeren Bar immer eine Person gibt, dass wenn sie trinkt,
alle in der Bar trinken. Die zweite Aussage lautet: Wenn jeder
Mann einen reichen Vater hat, dann gibt es einen reichen Mann mit
einem reichen Großvater.
Die klassische Aussagenlogik kann aber auch über andere Kalküle
definiert werden: So demonstriert die Incredible Proof Machine
die Verwendung des Hilbert-Kalküls und das NAND-Kalküls. Während
das Hilbert-Kalkül besonders theoretisch verwendet wird, liefert
das NAND-Gatter als einfacher Logikbaustein Anwendungen bis hin
zum Volladierer aus NAND-Gattern.
Man kann auch jederzeit neue Beweisregeln oder Lemmas definieren,
in dem man alle Bausteine logischer Diagramme mit offenen Ein-
und Ausgängen mit gedrückter Shift-Taste anwählt und links zu
einem neuen Baustein zusammenführt. Das folgende Bild zeigt die
Definition des Beweis durch Widerspruch, und die anschließende
Verwendung zu Lösung einer Aufgabe in Lektion 5:
Im Gegensatz zur Incredible Proof Machine soll die Software
Isabelle nicht vom Nutzer verlangen, alle Beweise selbst zu
führen, sondern unterstützt dabei, Beweise auf einem hohen
Abstraktionsgrad zu formulieren und zu beweisen. Ein kleines
Beispiel für die Nutzung von Isabelle ist der humorvolle Versuch
das allgemeine Dreieck zu definieren – und letzlich die
eindeutige Existenz zu beweisen.
Eine wichtige Anwendungen für Computerbeweise ist die formale
Prüfung und der Beweis von Computersoftware, wie sie
beispielsweise durch die Launchbury Semantik möglich wird. Sehr
bekannt ist die Nutzung von rechnerunterstützten Beweisen für das
Vier-Farben-Problem, das Hermann Minkowski in einer
Topologie-Anfängervorlesung vergeblich versuchte nebenbei zu
lösen. Der erste Beweis war noch sehr umstritten, da die
Korrektheit der verwendeten Software nicht gesichert war. Erst
mit einer formalen Prüfung in Coq wurde der Beweis 2005 allgemein
akzeptiert.
Eine andere gängige Methode ist auch die Verwendung
spezialisierter Verifikationsnumerik, um die Existenz von
Lösungen zu beweisen, wie dies auch im Modell019 Podcast zum
computerunterstützten Beweisen behandelt wird.
Auch die dichteste Kugelpackung, bzw. die Keplersche Vermutung,
wurde erst 1998 mit Computerhilfe bewiesen, der zunächst ebenso
umstritten war. Erst mit dem Projekt Flyspec konnte 2014 die
Korrektheit des Beweises formal bewiesen werden.
Im Hintergrund der Aufnahme hört man den Freifunk Karlsruhe, der
parallel zu unserem Gespräch ein Treffen in den Räumen des
Entropia e.V. hatte. Kinder und Jugendliche, die sich für
Programmieren interessieren, sollten sich ein CoderDojo, wie das
CoderDojo in Karlsruhe, genauer ansehen.
Literatur und Zusatzinformationen
Einführender Blog-Eintrag zur Incredible Proof Machine mit
einer Sammlung von ähnlichen Projekten.
J. Breitner: The Correctness of Launchbury's Natural
Semantics for Lazy Evaluation, arXiv preprint arXiv:1405.3099,
2014.
J. Breitner: The Safety of Call Arity, Archive of Formal
Proofs, 2015.
J. Breitner: Formally Proving a Compiler Transformation Safe,
Haskell '15 Proceedings of the 2015 ACM SIGPLAN Symposium on
Haskell, Pages 35-46, ACM New York, NY, USA, 2015.
T. Nipkow, L. Paulson, M. Wenzel: Isabelle HOL- A Proof
Assistant for Higher-Order Logic, Springer-Verlag, 2015.
Podcasts
T. Schwentick: Logik, Gespräch mit N. Ludewig im Omega Tau
Podcast, Folge 101, Omega Tau, 2012.
http://omegataupodcast.net/2012/08/101-logik/
D. Rütters: Computerunterstütztes Beweisen, Gespräch mit G.
Thäter im Modellansatz Podcast, Folge 19, Fakultät für
Mathematik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2014.
http://modellansatz.de/beweisen
J. Eilinghoff: Analysis, Gespräch mit S. Ritterbusch im
Modellansatz Podcast, Folge 36, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2014.
http://modellansatz.de/analysis
J. Breitner: Papierrechner, Gespräch mit S. Ritterbusch im
Modellansatz Podcast, Folge 47, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2015.
http://modellansatz.de/papierrechner
C. Spannagel: Flipped Classroom, Gespräch mit S. Ritterbusch
im Modellansatz Podcast, Folge 51, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2015.
http://modellansatz.de/flipped-classroom
F. Gilges: Spielcomputer, Gespräch mit S. Ritterbusch im
Modellansatz Podcast, Folge 56, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2015.
http://modellansatz.de/spielcomputer
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