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Beschreibung
vor 9 Jahren
An Pädagogischen Hochschulen werden Lehrerinnen und Lehrer für
fast alle Schulformen ausgebildet, es gibt sie inzwischen in
Deutschland nur noch in Baden-Württemberg. Beispielsweise seien
die Pädagogische Hochschule Heidelberg und die Pädagogische
Hochschule Karlsruhe genannt- hier in Karlsruhe gibt es
zusätzlich auch eine Abteilung für Didaktik an der Fakultät für
Mathematik am KIT. An den pädagogischen Hochschulen werden aber
nicht nur Pädagogik und Didaktik unterrichtet, sondern auch die
entsprechenden Fachrichtungen und jeweilige didaktische Konzepte
in diesen Fachrichtungen. Christian Spannagel unterrichtet so als
Professor für Mathematik und Informatik in den Fächern, und
erzählt im Gespräch mit Sebastian Ritterbusch, wie er didaktische
Konzepte für den Mathematikunterricht erforscht und aktiv
erprobt.
Die Frage nach Verbesserung des Mathematik-Unterrichts ist sehr
aktuell: Die OECD-Studie zu Geschlechtsunterschieden in der
Schule hat gerade in Mathematik Verbesserungspotential
aufgezeigt, denn viele geben Mathe auf, weil sie nachweislich
fälschlich glauben, sie könnten es nicht. Der zentrale Begriff
ist hier die Selbstwirksamkeitserwartung, die insbesondere in
Naturwissenschaften und Mathematik durch gesellschaftliche
Einflüsse stark geprägt ist.
Die Erforschung neuer Lehrmethoden kann aber nicht den Ersatz der
bisherigen und erprobten Konzepte zum Ziel haben: So sind selbst
vermeintlich alte Übungen zum Kopfrechnen und zur schriftlichen
Division auch heute noch überaus wichtige Hilfen zur Vermittlung
von Algorithmen, Stellenwertsystemen und auch zur Vorbereitung
auf ein Studium. Das Ziel muss sein, den Fundus möglicher
Vermittlungsformen zu bereichern, und für verschiedene Konzepte
bessere Kombinationen der Verfahren zu finden.
Ein nützliches neues Werkzeug ist die Tabellenkalkulation, mit
der beispielsweise Würfelexperimente und Simulationen im
Unterricht interaktiv erfahrbar gemacht werden können. Ebenso
können Dynamische Geometriesysteme den Zugang zur Konstruktion
und Analytischer Geometrie, wie beispielsweise den Satz des
Thales, deutlich vereinfachen. Die Software GeoGebra ist ein
solches System, das insbesondere auch unterschiedliche
Darstellungen und Analyse der Konstruktionen ermöglicht.
Leider ist es zu Zeit noch nicht möglich, dass in Klassen
jederzeit an jedem Platz ein Rechner zum Einsatz interaktiver
Experimente vorhanden ist. Aber auch an einem interaktiven
Whiteboard können die Methoden durchgeführt werden. Die
technische Ausstattung ist aber nur ein kleiner Schritt zur
Einführung neuer Werkzeuge in den Unterricht, auch die
Lehrerinnen und Lehrer müssen die Kompetenzen zum Einsatz der
neuen Medien erlernen. Hier müssen die pädagogischen Hochschulen
den Lehramtsstudierenden den Weg bereiten, damit das Lehrpersonal
zu Beginn und auch in ihrer langen Lehrzeit für den Stand und die
Entwicklung der Technik vorbereitet ist.
Auch Wissensmanagement in der Form von Wikis haben in Schulen
Einzug gehalten, so setzen Maria Eirich und Andrea Schellmann auf
ein Schulwiki am Regiomontanus-Gymnasium Haßfurt und Lernpfade
zum interaktiven Mathematik-Unterricht. Auch Schülerinnen und
Schüler können hier selbst Quiz-Aufgaben erstellen. Michael
Gieding und Andreas Schnirch haben für Geometrie-Vorlesungen an
der PH Heidelberg ein Geometrie-Wiki auf dieser Technologie
erstellt, das auch weiterhin für Lehrveranstaltungen für
Lehramtsstudierende genutzt wird. Eine Einführung in die frühen
interaktiven Elemente am CMS der Fakultät für Mathematik sind auf
der Fragebogen-Seite mit einer Vielzahl von Beispielen zu finden.
Gerade in Mathematik stellt die Einbindung digitaler Medien eine
gewisse Hürde dar, da Formeln, Beweise, Algorithmen und
Konstruktionszeichnung nicht leicht digitalisierbar sind- auch
wenn das Textsatz-System LaTeX oder LyX im mathematischen Bereich
mit perfektem Druckbild für fast alles verwendet werden kann, so
muss man es erst erlernen- beispielsweise mit der
l2kurz-Anleitung. Das Austauschen von abfotografierten Seiten ist
da häufig deutlich effektiver. Dabei ein solcher Austausch
zwischen den Lernenden sehr zu begrüßen, da es zum einen die
gemeinsame Konstruktion von Lösungswegen begünstigt, aber auch
die angehenden Lehrenden auf die Nutzung der Medien trainiert.
Wichtig sind niederschwellige Zugänge und die Möglichkeit zu
anonymen Beiträgen, da nur so das Lernen aus Fehlern ermöglicht
wird.
Im Flipped Classroom wird der Prozess der interaktiven
Auseinandersetzung mit dem Lernstoff, der traditionell zu Hause
erst bei den Hausaufgaben auftritt, in den Unterricht gebracht,
und der herkömmliche Frontal-Unterricht aus dem Klassenzimmer
verbannt. Dazu erhalten die Schülerinnen und Schüler oder die
Studierenden zur Vorbereitung ein Video, in dem das
grundsätzliche Verfahren erklärt wird. Die Unterrichtsstunde kann
dann mit einer Fragerunde zum Videomaterial starten, gefolgt von
einigen Aufgaben, die vom Plenum in Gruppenarbeit bearbeitet
werden sollen. Hier werden Probleme und Fragen offensichtlich,
die vom Lehrenden oder gemeinsam in einer Diskussion erörtert
werden können. Anschließend könnte sich ein Hörsaal- oder
Klassenzimmerspiel anschließen, das sowohl auflockert, als auch
das Thema verfestigt. Dass besondere Ereignisse den Lernerfolg
verbessern können, wurde auch beim Thema >Gestern hab ich noch
Zeit genug< im Methodisch-Inkorrekt Podcast Folge 43
besprochen. Auch wenn es nicht immer außerordentliche Ereignisse
geben kann, so ist eine sinnvolle Abwechslung der Lehrmethoden
sicher zuträglich zur Verbesserung des Unterrichts.
Neben der Frage zur zeitlichen Planung des Unterrichts sind auch
Fragen innerhalb der Mathematik eine Untersuchung auf mögliche
Vermittlungsmethoden interessant: Die Gaußsche Summenformel ist
nicht nur wichtig zur Berechnung der Anzahl der Spiele in einer
Fußball-Liga, sondern auch ein schönes Beispiel zur verschiedene
mathematische Beweisverfahren. Die Formel kann durch vollständige
Induktion bewiesen werden, ein anderer Ansatz ist die Verwendung
von Dreieckszahlen zu einem ebenso korrekten ikonischen Beweis
der Summenformel.
Einen wichtigen Stellenwert hat auch die Haltung der Lehrperson:
Anstatt zu demoralisieren, müssen die Lernenden in ihrem
Lernprozess unterstützt und bei Bedarf geleitet werden. Dazu
gehört auch die Anpassung der Komplexität an die
unterschiedlichen Kenntnisse der Lernenden- eine fast unmögliche
Aufgabe angesichts großer Unterschiede in den Vorkenntnissen.
Eine Möglichkeit sind Angebote für optionale Übungsgruppen, oder
Zusatzangebote für weitergehende Fragen. Ideal sind jedoch
natürlich differenzierende Aufgaben, die von allen Lernenden je
nach ihrem Kenntnisstand hinreichend und unterschiedlich
umfangreich beantwortet werden können. Ein Beispiel ist hier die
Aufgabe zu den Pythagoreischen Zahlentripeln, die sehr knapp,
aber auch sehr weitreichend beantwortet werden kann.
Eine andere interessante Frage steckt im Münzproblem, die man bis
zur Frage der kleinsten Anzahl von Münzen zur Rückgabe aller
Geldbeträge von 1-99 Cent beantworten kann (Optimal sind acht
Münzen in vier möglichen Variationen: zB 1+1+2+5+10+10+20+50 oder
1+2+2+5+10+20+20+50).
Die Frage der Evaluation von Unterrichtsmethoden wie dem Flipped
Classroom ist leider nicht einfach zu beantworten: Es ist kaum
möglich zwei Gruppen parallel und voneinander unbeeinflusst
unterschiedlich zu unterrichten. Bei einer Evaluation zwischen
verschiedenen Jahrgängen konnte ein besseres Abschneiden bei
Prüfungen nicht sicher nachgewiesen werden, jedoch ist war das
subjektive Empfinden der Studierenden gegenüber den neuen
Methoden ausgesprochen positiv. Malte Persike hat entsprechende
Ergebnisse erhalten, u.a. beim MOOC zur
Wahrscheinlichkeitsrechnung, stellt aber auch zur Diskussion,
dass bei mit herkömmlichen Methoden weniger erfolgreichen
Dozenten die neue Methoden deutlich bessere Ergebnisse erzielen
könnten.
Bei der Umstellung auf Flipped Classroom-Konzepte ist die
Videoerstellung oft nicht sehr aufwendig, da hier abgefilmte
frühere Veranstaltungen in Frage kommen können. Dafür ist die
Umstellung und die Planung des neuen Unterrichts oftmals deutlich
aufwendiger, wenn man eine Stunde zum ersten Mal durchführt.
Anders sieht es bei einem Massive Open Online Course, kurz MOOC,
aus, für den Videos deutlich aufwendiger und in kürzerer Form
produziert werden. MOOCs sind besonders durch Sebastian Thrun
bekannt geworden, als er eine Vorlesung zur künstlichen
Intelligenz online zur Verfügung stellte, an der etwa 160'000
Studierende teilnahmen. In der Regel werden Videos mit
vorlesungsartigen Inhalten wöchentlich online gestellt, zu denen
die Teilnehmer regelmäßig Aufgaben gestellt bekommen. Durch
Verfügbarkeit im Internet können sehr viele an diesen Kurs
teilnehmen, und durch die Verwendung offener Technologien und
Zugänge ist die Teilnahme sehr niederschwellig und spricht viele
Interessenten an.
An der PH Heidelberg wurde der Mathe-MOOC Mathematisch Denken von
Christian Spannnagel, Michael Gieding, Lutz Berger und Martin
Lindner ins Leben gerufen, der das MOOC-Konzept nicht ganz
klassisch umgesetzt hat. Viel mehr wurde ein Schwerpunkt auf
Mathematikdidaktik gelegt: Statt einem festen Wechsel von
Vorlesung und Übung wurden einführende experimentelle Einheiten
eingesetzt, bei denen die Teilnehmenden schon im Vorfeld Ihre
eigenen Erfahrungen mit dem Thema machen konnten. Die Bearbeitung
der Aufgaben und der Vergleich der Lösungen erfolgte dann in
öffentlichen Foren- eine abschließende Prüfung war in diesem MOOC
nicht vorgesehen, sondern möglichst vielen einen Einstieg in die
mathematische Denkweise ermöglichen.
Die Teilnehmenden können sich selbst als Kiebitze, Anpacker und
Formalisierer bezeichnen, auch von Aufgabe zu Aufgabe
unterschiedlich- die Kiebitze sind hauptsächlich passive
Zuschauer, wogegen die Anpacker die Lösungen aktiv,
beispielsweise ikonisch, erarbeiten wollen. Die Formalisierer
suchen schließlich die exakte mathematische Beschreibung und
symbolische Lösung der Aufgaben. Diese Differenzierung ermöglicht
eine Klarstellung der eigenen Teilnahmeabsicht und vereinfacht
durch die Vorgabe verschiedener Ansätze den Zugang in den
jeweiligen Nutzungsszenarien.
MOOCs können und sollten herkömmliche Präsenzveranstaltungen
nicht ersetzen, sondern die Nutzung wie beim Flipped
Classroom-Konzept die Qualität der Präsenzveranstaltungen
verbessern. Ausgesprochen sinnvolle Beispiele zum Einsatz von
MOOCs sind Brückenkurse vor Studienbeginn, wo noch nicht alle
Studierende am Studienort sind, oder in der Weiterbildung für
Berufstätige.
Der Mathe-MOOC Mathematisch Denken findet aktuell jedes Semester
statt, und wer mitmachen möchte, kann jeweils Anfang April oder
Anfang Oktober einsteigen. Die Kurse werden auch kontinuierlich
weiter entwickelt. So werden nun mit Christian
Freisleben-Teutscher Improvisationsmethoden eingebunden, um die
gegenseitige Interaktion zwischen den Teilnehmenden zu fördern.
Schon seit Beginn des Mathe-MOOCs sind auch szenische
Darstellungen sehr erfolgreicher Teil der Darstellung, und dienen
der Motivation und Auflockerung der manchmal trockenden
Mathematik. So tritt Christian Spannagel oft als Dunkler Lord
auf, der auf seine besondere Weise die Mathematik erklärt. Wie es
schon Jean-Pol Martin formulierte, haben Professoren die
Verantwortung neue Wege zu gehen, um für die Gesellschaft auch
riskantere Wege einzuschlagen.
Auch am KIT werden erfolgreich MOOCs angeboten, und der MOOC
gegen Chronisches Aufschieben wurde vor kurzem mit dem
Bildungsmedienpreis digita ausgezeichnet.
Ein weiterer neuer Zugang ist die Gamification, bei der
spielerische Elemente in spielfremde Bereiche eingeführt werden.
Dies kann durch die Zuteilung von Punkten, Leveln oder Abzeichen
bzw. Badges erfolgen, und dies kann auch in der Hochschullehre
eingesetzt werden. Die Wahl eines Kontexts hat sich aber als
kritisch herausgestellt: Wenn die Lernenden sich nicht mit dem
Spiel identifizieren können, ist kaum ein Erfolg zu erwarten.
Nando Stöcklin und Nico Steinbach entwickelten das erfolgreiche
System QuesTanja, mit den Schülerinnen und Schüler mit Tablets
selbstständig Mathematik erlernen können. Die Forschung richtet
sich hier auf die Konzepte des Design-based Research, sie
konzentriert sich also darauf die Methode zu entwickeln und
iterativ und zyklisch zu verbessern.
Auch zum Erlernen des Programmierens haben sich spielerische
Konzepte bewährt, ein Beispiel dafür ist die Plattform Scratch
und ScratchJr, oder auch Lightbot. Diese Lernprinzipien gehen auf
Seymour Papert zurück, der schon mit der Programmiersprache Logo
den Grundstein zu erziehungsorientierten Programmiersprachen
gelegt hat. Die Logo-Programmiersprache gab es als
Schildkrötengrafik auch schon im NDR-Klein-Computer.
Eine interessante Frage im Umgang mit neuen Medien in Lehre und
Wissenschaft ist die Zitierbarkeit der Angebote. Auf der einen
Seite geben sich neue Nutzungsmöglichkeiten durch direkte Links
an bestimmte Zeitpunkte, jedoch sind Zitate auf Videos,
Audiodateien und Internetseiten noch nicht in der
wissenschaftlichen Literatur etabliert. Neue Ansätze zur
Vortragsaufzeichnung beim KonScience Podcast werden diskutiert.
Ein wichtiger Ansatz ist auch die Vergabe von DOI-Nummern für
digitale Medien, wie es auch im Open Science Radio Podcast
angesprochen wurde.
Letztendlich kann man bei der Erstellung von Videos für den
Unterricht nicht zu viel Perfektionismus an den Tag legen, wie es
auch schon Aaron Sams formulierte: "Do you need it perfect, or
do you need it by Tuesday?"
Literatur und Zusatzinformationen
C. Spannagel: Digitale Medien in der Schule: in medio virtus,
LOG IN, 180, 22-27, 2015.
M. Fischer, C. Spannagel: Lernen mit Vorlesungsvideos in der
umgedrehten Mathematikvorlesung, In J. Desel, J. M. Haake &
C. Spannagel (Hrsg.), DeLFI 2012 – Die 10. e-Learning Fachtagung
Informatik der Gesellschaft für Informatik e.V. (S. 225-236).
Bonn: Köllen Druck+Verlag, 2012.
C. Spannagel, J. Spannagel: Designing In-Class Activities in
the Inverted Classroom Model, In J. Handke, N. Kiesler & L.
Wiemeyer, L. (Hrsg.) (2013). The Inverted Classroom Model. The
2nd German ICM-Conference (S. 113-120). München: Oldenbourg
Verlag, 2013.
Flipped Classroom: Die umgedrehte Mathematikvorlesung
Video: 10 Irrtümer zum Einsatz digitaler Medien in der Schule
Podcast Lob und Tadel 019: Schulmathematik
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