Metrische Geometrie

Metrische Geometrie

Modellansatz 102
43 Minuten
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Beschreibung

vor 8 Jahren

Petra Schwer ist seit Oktober 2014 Juniorprofessorin an unserer
Fakultät. Sie arbeitet im Institut für Algebra und Geometrie in
der Arbeitsgruppe Metrische Geometrie. Ab Oktober 2016 startet in
diesem Institut ein neues Graduiertenkolleg mit dem Titel
Asymptotic Invariants and Limits of Groups and Spaces und Petra
Schwer freut sich darauf, dort viele mit ihrer Begeisterung
anstecken zu können. Ihr Weg in die Algebra war nicht ganz
direkt: Sie hat zunächst Wirtschaftsmathematik in Ulm studiert.
Ein Wechsel an die Uni Bonn ebnete den Weg ins etwas abstraktere
Fahrwasser. Zwei Ausflüge in die Industrie (zwischen Diplom und
Promotionszeit und in der Postdoc-Phase) haben ihre Entscheidung
für die akademische Mathematik bekräftigt.


Im Gegensatz zur Differentialgeometrie, die von Ihrem Ursprung
her auf analytischen Methoden und Methoden der
Differentialrechnung (wie zum Beispiel des Ableitens) beruht,
untersucht die Metrische Geometrie Mengen mit Abstandsfunktion.
Darunter fallen auch die klassischen Riemannschen Geometrien,
aber auch viel allgemeinere geometrische Strukturen, wie zum
Beispiel Gruppen oder Graphen. Eine Metrik ist nichts anderers
als eine Funktion, die einen Abstand zwischen zwei Punkten
definiert.


Die Euklidische Geometrie (in zwei bzw. drei Dimensionen) ist
sicher allen aus der Schule bekannt. Sie ist ein Beispiel eines
Geometriemodells in der metrischen Geometrie. Euklid versuchte
erstmals Geometrie von Ihren Grundbausteinen her zu beschreiben.
Er hat sich gefragt: Was ist ein Punkt? Was ist eine Gerade? Wie
lässt sich der Abstand eines Punktes zu einer Geraden definieren?
Schließlich stellte er eine Liste von grundlegenden Objekten
sowie deren Eigenschaften und Beziehungen auf (Axiome genannt)
die eine Geometrie erfüllen soll. Diese Axiome sind dabei die
Eigenschaften, die sich nicht aus anderen ableiten lassen, also
nicht beweisbar sind. Eines dieser Axiome besagte, dass durch
einen festen Punkt genau eine Gerade parallel zu einer
vorgegebenen anderen Geraden verläuft. Es entbrannte ein
Jahrhunderte dauernder Streit darüber, ob sich dieses
Parallelenaxiom aus den anderen aufgestellten Axiomen ableiten
lässt, oder ob man diese Eigenschaft als Axiom fordern muss. Sehr
viel später wurde klar, dass der Streit durchaus einen wichtigen
und tief liegenden Aspekt unserer Anschauungsgeometrie berührte.
Denn es wurden gleich mehrere Mengen (mit Abstandsfunktion)
entdeckt, in denen diese Eigenschaft nicht gilt. Deshalb nannte
man die Geometrien, in denen das Parallelenaxiom nicht gilt
nichteuklidische Geometrien.


Ein sehr nahe liegendes Beispiele für nichteuklidische Strukturen
ist z.B. die Kugel-Oberfläche (damit auch unsere Erdoberfläche)
wo die euklidische Geometrie nicht funktioniert.


In der Ebene ist der traditionelle Abstand zwischen zwei Punkten
die Länge der Strecke, die beide Punkte verbindet. Das lässt sich
im Prinzip auf der Kugeloberfläche imitieren, indem man einen
Faden zwischen zwei Punkten spannt, dessen Länge dann
anschließend am Lineal gemessen wird. Spannt man den Faden aber
"falschrum" um die Kugel ist die so beschriebene Strecke aber
nicht unbedingt die kürzeste Verbindung zwischen den beiden
Punkten.


Es gibt aber neben der klassischen Abstandsmessung verschiedene
andere sinnvolle Methoden, einen Abstand in der Ebene zu
definieren. In unserem Gespräch nennen wir als Beispiel die
Pariser Metrik (oder auch SNCF oder Eisenbahnmetrik). Der Name
beschreibt, dass man im französischen Schnellzugliniennetz nur
mit umsteigen in Paris (sozusagen dem Nullpunkt oder Zentrum des
Systems) von Ort A nach Ort B kommt. Für den Abstand von A nach B
müssen also zwei Abstände addiert werden, weil man von A nach
Paris und dann von Paris nach B fährt. Das verleiht der Ebene
eine Baumstruktur. Das ist nicht nur für TGV-Reisende wichtig,
sondern gut geeignet, um über Ordnung zu reden. Ebenso sinnvoll
ist z.B. auch die sogenannte Bergsteiger-Metrik, die nicht allein
die Distanz berücksichtigt, sondern auch den Aufwand (bergauf vs.
bergab). Damit ist sie aber in den relevanten Fällen sogar
asymmetrisch. D.h. von A nach X ist es "weiter" als von X nach A,
wenn X oben auf dem Berg ist und A im Tal. Analog ist es wenn man
mit dem Boot oder schwimmend mit bzw. gegen die Strömung oder den
Wind unterwegs ist. Dann misst man besser statt der räumlichen
Distanz die Kraft bzw. Energie, die man für den jeweiligen Weg
braucht.
Für Karlsruher interessant ist sicher auch die KVV-Metrik, die
wie folgt beschrieben wird: Um den Abstand von einem Punkt A zu
einem anderen Punkt B der Ebene zu messen, läuft man von A und B
senkrecht zur x-Achse (und trifft diese in Punkten A', bzw B')
und addiert zu diesen beiden Abständen den Abstand von A' zu B'.
Anschaulich gesprochen muss man also immer erst von A zur
Kaiserstrasse, ein Stück die Kaiserstraße entlang und dann zu B.
Eben so, wie die KVV ihre Strecken plant.


Zwischen einer Ebene und z.B. der Kugeloberfläche gibt es einfach
zu verstehende und doch wichtige geometrische Unterschiede. Eine
Strecke in der Ebene läßt sich z.B. in zwei Richtungen unendlich
weit fortsetzen. Auf der Kugeloberfläche kommt nach einer
Umrundung der Kugel die Verlängerung der Strecke an dem Punkt
wieder an, wo man die Konstruktion begonnen hat. D.h.
insbesondere, dass Punkte auf einer Kugeloberfläche nicht
beliebig weit voneinander entfernt sein können. Es gibt außerdem
genau einen Punkt, der genau gegenüber liegt und unendlich (!)
viele kürzeste Wege dorthin (in jeder Richtung einen).
Verblüffend ist dabei auch: So verschieden sich Ebene und
Kugeloberfläche verhalten, in einer fußläufigen Umgebung jedes
Punktes fühlt sich die Erdoberfläche für uns wie ein Ausschnitt
der Ebene an. Mathematisch würde man sagen, dass sich eine Kugel
lokal (also in einer sehr kleinen Umgebung) um einen Punkt
genauso verhält, wie eine Ebene lokal um einen Punkt. Die
Krümmung oder Rundung der Kugel ist dabei nicht spürbar. Versucht
man die gesamte Kugel auf einer ebenen Fläche darzustellen, wie
zum Beispiel für eine Weltkarte, so kann dies nur gelingen, wenn
man Abstände verzerrt. Für unsere ebenen Darstellungen der
Erdkugel als Landkarte muss man also immer im Hinterkopf
behalten, dass diese (zum Teil stark) verzerrt sind, d.h. Längen,
Winkel und Flächen durch die ebene Darstellung verändert werden.


Ein wichtiges Konzept zur Unterscheidung von (z.B.) Ebene und
Kugeloberfläche ist die eben schon erwähnte Krümmung. Es gibt
verschiedene Definitionen - insbesondere, wenn man Flächen
eingebettet im dreidimensionalen Raum untersucht. Dabei hat ein
flachgestrichenes Blatt Papier keine Krümmung - eine
Kugeloberfläche ist gekrümmt. Um das formal zu untersuchen,
werden Tangentialflächen an Punkte auf der Oberfläche angelegt.
In einer kleinen Umgebung des Berührpunktes wird die Abweichung
der Tangentialebene von der Oberfläche betrachtet. Bei der Kugel
liegt die Kugeloberfläche immer auf einer Seite von der
Tangentialebene. Das muss nicht so sein. Die Tangentialfläche
kann z.B. in einem Sattelpunkt die zu untersuchende Fläche
durchdringen - d.h. in unterschiedliche Richtungen ist die
Krümmung entweder positiv oder negativ.


Man braucht aber eigentlich gar keine Tangentialflächen, denn
auch Winkelsummen verraten uns etwas über die Krümmung. In der
Ebene ergeben die drei Innenwinkel jedes Dreiecks zusammen
addiert immer 180 Grad. Auf der Kugel, also auf einer gekrümmten
Fläche, sind es immer mehr als 180 Grad. Legt man zum Beispiel
einen Punkt in den Nordpol und zwei weitere so auf den Äquator,
dass die Verbindungsstrecken zum Nordpol einen Winkel von 90 Grad
einschließen, so hat das entstehende Dreieck eine Winkelsumme von
270 Grad.
Etwas komplexer ist die Situation bezüglich Krümmung auf einem
Torus (der sieht aus wie ein Schwimmreifen oder Donut).
Betrachtet man das lokale Krümmungsverhalten in Punkten auf der
Donut-/Torusoberfläche ist sie außen so gekrümmt wie eine Kugel,
innen sieht sie aber aus wie eine Sattelfläche.
Es läßt sich aber auch ein abstraktes Modell des Torus
konstruieren, das genauso flach, wie die euklidische Ebene ist.
Dazu wähle in der Ebene ein Quadrat mit fester Seitenlänge und
klebe gedanklich die gegenüberliegenden Seiten (also oben und
unten, sowie links mit rechts) zusammen. Man erhält so ein
"periodisches" Quadrat: Wenn man auf einer Seite hinauswandert,
kommt man gegenüber an der gleichen Stelle wieder in das Quadrat
hinein. Dieses Objekt ist topologisch ebenfalls ein Torus, hat
aber, weil das Quadrat Teil der Ebene ist, Krümmung 0.
Literatur und weiterführende Informationen

D. Hilbert, S. Cohn-Vossen: Anschauliche Geometrie, eine sehr
schöne, (in weiten Teilen) auch mit wenig mathematischen
Vorkenntnissen gut verständliche Einführung in viele verschiedene
Bereiche der Geometrie.

D. Burago, Y. Burago, S. Ivanov: A Course in Metric Geometry,
eines der Standardlehrbücher über metrische Geometrie.

Euklid, Elemente, Digitale Version der 5 Bücher von Euklid.

Gromov: Metric Structures for Riemannian and Non-Riemannian
Spaces. Das "grüne Buch" - Kursnotizen einer Vorlesung von
Gromov, die später in Buchform gebracht wurden.

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