Der Alchimist

Der Alchimist

5 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

„Der Jüngling hieß Santiago. Es fing bereits an zu dämmern, als
er mit seiner Schafherde zu einer alten, verlassenen Kirche kam.
Das Dach war schon vor geraumer Zeit eingestürzt, und ein
riesiger Maulbeerbaum wuchs an jener Stelle, wo sich einst die
Sakristei befand. Er entschloß sich, die Nacht hier zu
verbringen. So geleitete er alle Schafe durch die beschädigte
Türe und legte einige Bretter quer davor, damit ihm die Tiere
während der Nacht nicht entwischen konnten. Zwar gab es keine
Wölfe in jener Gegend, aber einmal war ihm eines der Tiere
während der Nacht entkommen, und er mußte den ganzen folgenden
Tag mit der Suche nach dem verirrten Schäfchen verbringen.“


„Danach breitete er seinen Mantel auf dem Fußboden aus, legte
sich nieder und nahm das Buch, das er gerade gelesen hatte, als
Kopfkissen. Vor dem Einschlafen dachte er daran, daß er in
Zukunft dickere Bücher lesen wollte, weil man länger etwas davon
hat und weil sie eine bequemere Kopfstütze abgeben.


Es war noch finster, als er erwachte. Als er nach oben schaute,
sah er die Sterne zwischen den Dachbalken durchscheinen.


>Eigentlich wollte ich noch weiterschlafenSie haben sich
schon so an mich gewöhnt, daß sie meinen Rhythmus kennen, dachte
er. Aber nach kurzer Überlegung kam er zu dem Schluß, daß es auch
umgekehrt sein könnte: Er selber hatte sich dem Rhythmus seiner
Schafe angepaßt!“


„Einige unter den Tieren brauchten etwas länger zum Aufstehen.
Der Jüngling weckte sie mit seinem Stab, indem er jedes bei
seinem Namen nannte. Immer hatte er den Eindruck, daß die Schafe
alles verstanden, was er sagte. Darum las er ihnen auch
gelegentlich Abschnitte aus Büchern vor, die ihn besonders
beeindruckten, oder er philosophierte über die Einsamkeit und die
Freuden eines Schafhirten, oder er kommentierte die letzten
Neuigkeiten, die er im den Städten erfahren hatte, durch die er
zu ziehen pflegte.


Seit zwei Tagen jedoch sprach er beinahe nur noch über eins: die
Tochter eines Händlers, die in jener Kleinstadt lebte, welche sie
in vier Tagen erreichen würden. Im vorigen Jahr war er das erste
Mal bei diesem Handelsmann gewesen, der Besitzer eines
Textilgeschäftes war und darauf bestand, daß die Schafe vor
seinem Geschäft geschoren würden, um jeden Betrug zu vermeiden.
Ein Bekannt er hatte den Laden empfohlen, und so brachte der
Hirte seine Schafe jetzt dorthin.“


Auszug aus: Paulo Coelho. „Der Alchimist.“ iBooks. 

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