Privatsphäre vs. Strafverfolgung
Mit Prof. Dennis-Kenji Kipker, Holger Bleich und Joerg Heidrich
1 Stunde 14 Minuten
Podcast
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Derzeit vergeht kaum eine Woche, in der es keine Meldungen zu
spektakulären Razzien und Drogenfunden gibt. Mitte der Woche etwa
haben Fahnder von Zoll und Polizei zahlreiche Privatwohnungen und
Geschäftsräume in Niedersachsen, Hamburg und in Schleswig-Holstein
gestürmt. Zeitgleich liefen auch Razzien in anderen Ländern,
darunter die Niederlande, Belgien und Paraguay. In den meisten
Fällen ziehen die Durchsuchungen Haftbefehle und Beschlagnahmungen
nach sich; fast immer werden die Fahnder fündig. Woher kommt diese
hohe Erfolgsquote? Die Tatvorwürfe beziehen sich stets auf Delikte,
die im Frühjahr 2020 geschehen sein sollen. Genau in diesem
Zeitraum nämlich hatte die französische Polizei ein
Kryptomessenger-System namens Encrochat infitriert und die
Kommunikation der angeblich überwiegend kriminellen Klientel
belauscht. Wie genau der staatliche Hack technisch vonstatten
gegangen ist, darüber schweigen sich die französischen Behörden aus
und verweisen auf das Militärgeheimnis. Dennoch haben sie die
gewonnenen Daten aufbereitet und über die EU-Polizeibehörde Europol
Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt, in denen sie kriminelle
Encrochat-Kunden verortet haben - so auch dem Bundeskriminalamt in
Deutschland. Mehr als 2000 Ermittlungsverfahren sind hierzulande
auf Grundlage der Encrochat-Daten eröffnet worden; in etlichen
Verfahren folgten bereits Verurteilungen. Es stellt sich die Frage,
ob der Hack nach hiesigen Gesetzen überhaupt hätte stattfinden
dürfen. Immerhin handelt es sich um einen tiefen Eingriff in die
Vertraulichkeit von Kommunikation und die Integrität der eigenen
Geräte. Der Bundesgerichtshof hat jüngst Bedenken zur
Verwertbarkeit der übermittelten Beweise eine klare Absage erteilt.
Doch in einem c't-Artikel wirft Prof. Dennis Kenji Kipker weitere
Fragen auf. Der Professor für IT-Sicherheitsrecht forscht und lehrt
am Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht (IGMR)
der Uni Bremen. Kipker kritisiert, dass die jeweiligen Strafkammern
der Gerichte das Encrochat-Material nicht auf Integrität prüfen und
den Beschuldigten versagen, die Quelle selbst in Augenschein zu
nehmen. Kipker: "Der Staat ist Grundrechtsverpflichteter und kann
sich dieser Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass er digitale
Ermittlungsverfahren als 'Black Box' führt und es Betroffenen nicht
ermöglicht, gegen sie vorgelegte digitale Beweismittel zu
entkräften. Der Fall EncroChat ist nur ein eindrucksvolles Beispiel
dafür, was noch kommen kann – weil digitale Beweismittel in
strafrechtlichen Ermittlungen eine immer größere Rolle spielen." In
der aktuellen Episode 60 des c't-Datenschutz-Podcasts ist Kipker zu
Gast und erläutert, welche Probleme der Fall Encrochat aufwirft. Es
geht auch um die übergeordnete Frage, wie tief der Staat in die
Privatsphäre von Bürgern einzugreifen bereit ist: Von Encrochat zur
Vorratsdatenspeicherung ist es kein allzu großer Schritt. Kipkers
Meinung nach ist das Vorgehen der französischen Ermittlungsbehörden
ein weiterer Beleg dafür, dass sich die sogenannte
Überachungsgesamtrechnung immer weiter zuungunsten der Bürgerrechte
entwickelt.
spektakulären Razzien und Drogenfunden gibt. Mitte der Woche etwa
haben Fahnder von Zoll und Polizei zahlreiche Privatwohnungen und
Geschäftsräume in Niedersachsen, Hamburg und in Schleswig-Holstein
gestürmt. Zeitgleich liefen auch Razzien in anderen Ländern,
darunter die Niederlande, Belgien und Paraguay. In den meisten
Fällen ziehen die Durchsuchungen Haftbefehle und Beschlagnahmungen
nach sich; fast immer werden die Fahnder fündig. Woher kommt diese
hohe Erfolgsquote? Die Tatvorwürfe beziehen sich stets auf Delikte,
die im Frühjahr 2020 geschehen sein sollen. Genau in diesem
Zeitraum nämlich hatte die französische Polizei ein
Kryptomessenger-System namens Encrochat infitriert und die
Kommunikation der angeblich überwiegend kriminellen Klientel
belauscht. Wie genau der staatliche Hack technisch vonstatten
gegangen ist, darüber schweigen sich die französischen Behörden aus
und verweisen auf das Militärgeheimnis. Dennoch haben sie die
gewonnenen Daten aufbereitet und über die EU-Polizeibehörde Europol
Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt, in denen sie kriminelle
Encrochat-Kunden verortet haben - so auch dem Bundeskriminalamt in
Deutschland. Mehr als 2000 Ermittlungsverfahren sind hierzulande
auf Grundlage der Encrochat-Daten eröffnet worden; in etlichen
Verfahren folgten bereits Verurteilungen. Es stellt sich die Frage,
ob der Hack nach hiesigen Gesetzen überhaupt hätte stattfinden
dürfen. Immerhin handelt es sich um einen tiefen Eingriff in die
Vertraulichkeit von Kommunikation und die Integrität der eigenen
Geräte. Der Bundesgerichtshof hat jüngst Bedenken zur
Verwertbarkeit der übermittelten Beweise eine klare Absage erteilt.
Doch in einem c't-Artikel wirft Prof. Dennis Kenji Kipker weitere
Fragen auf. Der Professor für IT-Sicherheitsrecht forscht und lehrt
am Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht (IGMR)
der Uni Bremen. Kipker kritisiert, dass die jeweiligen Strafkammern
der Gerichte das Encrochat-Material nicht auf Integrität prüfen und
den Beschuldigten versagen, die Quelle selbst in Augenschein zu
nehmen. Kipker: "Der Staat ist Grundrechtsverpflichteter und kann
sich dieser Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass er digitale
Ermittlungsverfahren als 'Black Box' führt und es Betroffenen nicht
ermöglicht, gegen sie vorgelegte digitale Beweismittel zu
entkräften. Der Fall EncroChat ist nur ein eindrucksvolles Beispiel
dafür, was noch kommen kann – weil digitale Beweismittel in
strafrechtlichen Ermittlungen eine immer größere Rolle spielen." In
der aktuellen Episode 60 des c't-Datenschutz-Podcasts ist Kipker zu
Gast und erläutert, welche Probleme der Fall Encrochat aufwirft. Es
geht auch um die übergeordnete Frage, wie tief der Staat in die
Privatsphäre von Bürgern einzugreifen bereit ist: Von Encrochat zur
Vorratsdatenspeicherung ist es kein allzu großer Schritt. Kipkers
Meinung nach ist das Vorgehen der französischen Ermittlungsbehörden
ein weiterer Beleg dafür, dass sich die sogenannte
Überachungsgesamtrechnung immer weiter zuungunsten der Bürgerrechte
entwickelt.
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