Beschreibung

vor 1 Jahr

Wo ich diesen Text schreibe bin ich auf der Rückfahrt aus Abano.
Wir fahren durch die Poebene und die Erinnerungen an die Woche
sind präsent. Wir haben eine Woche mit Behinderten und sog.
Normalen - gut gemischt - verbracht. Das Ziel waren die
Thermalbäder in Abano, die für körperlich Behinderte ungeahnte
Möglichkeiten eröffnen. 


An einem Nachmittag habe ich eine kleinwüchsige Frau im Rollstuhl
durch die Stadt Este geschoben und gesehen, was Rollkies bedeuten
kann…Was für eine unbekannte Welt war das für mich, als sie von
ihrem Leben erzählte, von ihrem Freund, dessen Rollstuhl unweit
von uns von jemand anderem geschoben wurde. 


Einmal mehr wurde mir bewusst, wie wenig Lebensfreude, Glück und
Wohlbefinden mit den äusseren Umständen zu tun haben. Die Bilder
tauchen wieder vor mir auf: Ich sah Menschen in schlimmen
Lebensumständen in herzlicher Umarmung, angstvolle Augen trotz
herrlicher Aussicht, Ablehnung und Kopfschütteln oder glückliches
Staunen angesichts der überwältigenden Kuppel der Kathedrale. Ich
erlebte mein eigenes Gemüt schwankend zwischen Begeisterung,
Nachdenklichkeit, Trauer und - ja manchmal auch Unverständnis.


Wie entsteht sie eigentlich, unsere Art Dinge zu deuten, zu
interpetieren? Wie kommt es, dass die einen das berühmte Glas
halb leer bzw. halb voll wahrnehmen? Wir Eltern und Grosseltern
haben bestimmt viel damit zu tun, unsere eigene Erziehung und
wohl auch die Erziehung unserer Eltern. Je länger ich mich mit
all diesen Zusammenhängen beschäftige, desto mehr wird mir
bewusst, dass es nicht in erster Linie darum gehen kann, nur die
äusseren Umstände der Kinder richtigzustellen, sondern ihnen
vielmehr zu helfen, die Dinge so zu deuten, dass Zuversicht und
Lebensfreude nicht beeinträchtigt werden, dass die Herzen der
Kinder weich und verletzlich bleiben und deshalb reifen
können. 


Das würde wohl bedeuten, dass wir bei uns selber anfangen, bei
unserer Kindheit und einem gnädigen Blick auf unsere eigenen
Eltern und uns fragen: Könnte man die Ereignisse auch ganz anders
deuten? Wie soll das Kind den zornigen Blick des Vaters deuten?
Das Knurren des Hundes? Den Kuss der Nachbarin? Könnte es sein,
dass unser Grosser tatsächlich so wenig Schlaf braucht und ich
nur meine Mutter sagen höre, dass die Kinder um sieben ins Bett
gehören? Könnte es sein, dass sich unser Sohn aus Fürsorge mit
dem Übelsten der Klasse zusammentut? Könnte es sein, dass mein
Kind sich nicht auf die Lehrerin einlassen will, weil ich sie
nicht ausstehen kann? Ja, und was triggert diese Frau in
mir? 


Wie könnte meine Mutter das gemeint haben, wenn sie mir verbot,
mit Toni zu spielen? Was könnte mein Papa gedacht haben, als er
mir den Aufsatz zerriss? Damals fühlte ich mich gedemütigt.
Vielleicht wollte er mir nur helfen meine Nachlässigkeit zu
überwinden.

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