#140: Interview mit Katherine Hentzschel zur Bedeutung der Neuropsychologie bei MS

#140: Interview mit Katherine Hentzschel zur Bedeutung der Neuropsychologie bei MS

Katherine Hentzschel beantwortet meine Fragen zur Neuropsychologie und welche Relevanz sie bei der Diagnose und Behandlung von MS hat. Heute ist Katherine Hentzschel, leitende Neuropsychologin am Carolinum Dr. Ebel Fachkliniken in...
39 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Katherine Hentzschel beantwortet meine Fragen zur
Neuropsychologie und welche Relevanz sie bei der Diagnose und
Behandlung von MS hat.















Heute ist Katherine Hentzschel,
leitende Neuropsychologin am Carolinum
Dr. Ebel Fachkliniken in Bad
Karlshafen, zu Gast bei mir im
Interview. Sie gibt einen Einblick in
den Fachbereich der Neuropsychologie
und welche Bewandtnis er für die
Diagnose und Behandlung von
MS-Symptomen hat.


Du erfährst, welche Möglichkeiten und
Grenzen die Neuropsychologie hat,
welche Untersuchungen dazu gehören und
wann es Sinn macht für eine Check zum
Neuropsychologen zu gehen.


Erfahre mehr über diesen spannenden
Bereich. Schließlich führen kognitive
Probleme bei MS häufig zu
Einschränkungen im Leben. Information
und rechtzeitiges Entgegenwirken können
Dir helfen, die Auswirkungen zu
minimieren.

















Inhaltsverzeichnis





Vorstellung




Allgemeines zur Neuropsychologie




Neuropsychologie spezifisch für
MS-Patienten




Blitzlicht-Runde




Verabschiedung


















Vorstellung






Ich bin ledig, gerne draußen im Garten
oder Mountain Bike fahren, lese gerne
alles von Klassikern bis
Psychothrillern und ich liebe Hunde.
Leider habe ich aufgrund der Arbeit
keinen, aber zu Studienzeiten hatte ich
einen Dackel






Ausbildung & wichtigste berufliche
Stationen






2014 habe ich das Psychologiestudium
abgeschlossen und anschließend ein Jahr
Work-and Travel in Neuseeland gemacht.
Es folgte eine 3-jährige Weiterbildung
zur Klinischen Neuropsychologin.
Anschließend arbeitete ich in einer
Klinik für neuropsychologische
Frührehabilitation. 2019 begann ich
meine Approbation (Ausbildung zur
psychologischen Psychotherapeutin).
Dadurch startete ich meine Arbeit in
der Psychiatrie in einer geschützt
geführten Station. Und ich war 2 Jahre
ganztags in der ambulanten
medizinischen und beruflichen
Rehabilitation für psychisch Kranke
(auch neuropsychologische Patienten)
tätig. Dabei ging es um die soziale und
berufliche Reintegration der Teilnehmer
bis zu 1,5 Jahre. Zusätzlich machte ich
traumatherapeutische Fortbildungen im
Rahmen der Jahresgruppe sowie von
Sonderseminaren (Organisierte
Ausbeutung) bei Michaela Huber.
















Allgemeines zur Neuropsychologie




Was ist Neuropsychologie? Womit beschäftigt
sich dieses Wissenschaftsgebiet?






Die Neuropsychologie beschäftigt sich
mit kognitiven und emotional affektiven
Funktionen und deren Auswirkungen auf
das Verhalten. Die neuropsychologische
Therapie ist eine wissenschaftlich
begründete psychologische Therapie. Es
erfolgt eine systematische Untersuchung
von verschiedene Funktionsbereichen,
wie z.B. Aufmerksamkeit, visuelle
Wahrnehmung, Neglect,
Gedächtnisstörungen, exekutive
Störungen, Rechenstörungen, motorische
Störungen, Neurolinguistik,
Krankheitseinsicht und –verarbeitung,
Verhaltensstörungen, affektive und
emotionale Störungen.


NeuropsychologInnen haben ein
5-jähriges Psychologiestudium
absolviert. Zusätzlich folgte eine
Weiterbildung mit 3-jähriger
beruflicher Tätigkeit mit 100 Stunden
Supervision sowie 400 Stunden Theorie
mit Spezialisierung auf Diagnostik und
Therapie von Patienten mit Verletzungen
oder Erkrankungen des Gehirns. Zudem
gibt es in der Weiterbildung die
schriftliche Dokumentation von
Behandlungsfällen und nach einer
mündlichen Prüfung wird das Zertifikat
„Klinischer Neuropsychologe GNP“
verliehen. Viele Kollegen sind auch
approbierte Psychologische
Psychotherapeuten, was eine
Voraussetzung für die Kostenübernahme
einer ambulanten neuropsychologischen
Therapie darstellt.






Mittels welcher Untersuchungen können
Defizite gemessen werden?






Um eine Aussage treffen zu können, ist
es wichtig sich ein umfassendes Bild zu
machen. Dies geschieht mit Hilfe von:


der Anamnese, also: geschilderten
Beschwerden, Lebensgestaltung, Familie,
Beruf, etc.

der Fremdbefunde und Fremdanamnese

der Verhaltensbeobachtung
„klinischer Befund“,
psychopathologischer Befund

der Psychometrische Untersuchungen







Wie ist das weitere Vorgehen, falls
Defizite festgestellt werden?






Es werden neuropsychologische
restitutive und kompensatorische
Therapiemaßnahmen mit Einbezug von
integrativen Verfahren eingeleitet.


Restitution bedeutet „Training des
Gehirns“, durch hochfrequentes Training
und störungsspezifische
Wiederholungen der Übungen.


Kompensation steht für den Einsatz von
Ersatzstrategien, d.h. beeinträchtigte
kognitive Funktionen werden durch z.B.
externe Hilfen, Anpassungen des
Arbeitsplatzes und der
Arbeitsbedingungen ausgeglichen, um
Überforderung und somit Chronifizierung
von möglichen psychischen Erkrankungen
zu vermeiden.


Bei den integrativen Verfahren werden
psychotherapeutische Interventionen im
Einzel und Gruppensetting oder/und mit
Einbindung der Angehörigen eingesetzt.






Wie aufwendig ist eine neuropsychologische
Therapie?






Da individuelle Behandlungsansätze
nicht pauschalisiert werden können und
sollten, kann man eher von mehreren
Monaten ausgehen.  






Welche Erfolge sind möglich und wo liegen
die Grenzen der neuropsychologischen
Therapie?






Das übergeordnete Ziel ist die soziale
und berufliche Integration oder
Reintegration.


Wir können nicht über Grenzen reden bei
einem Fach, das noch nicht mal
etabliert ist. Das ist so als ob man
über einen 3-jährigen spricht und
fragt, wo ist das Ende seiner Kariere.
Wir sind erst am Aufbau, also die
Grenzen liegen nicht in der
Behandlungsmethode, sondern an den
Umgebungsfaktoren.


Eigentlich ist die Neuropsychologie mit
der neuen Weiterbildungsverordnung gut
aufgestellt, allerdings bedarf die
Umsetzung einer ganzen Menge Einsatz
von alten und neuen Kollegen.






Neuropsychologie spezifisch für
MS-Patienten




Welche typischen Probleme treten bei
MS-Patienten auf aus Sicht der
Neuropsychologie?






Aus Sicht der Neuropsychologie gibt es
zwei Bereiche:


Beeinträchtigung der
Aufmerksamkeits- und
Gedächtnisleistungen,
Exekutivfunktionen (planerisches
Denken, Arbeitsgedächtnis,
Produktivität), visuo-räumliche
Wahrnehmung (eher geringer Anteil:
Studie Gil Moreno et al., 2013).

MS-assoziierte Depression und
Fatigue.



Das neuropsychologische Leistungsniveau
kann sich interindividuell
unterschiedlich darstellen. Das hat zu
tun mit interindividuell
unterschiedliche Ausprägung der
kortikalen Läsionslast und
unterschiedlich ausgeprägtem
Kompensationspotential.






Wie viele Untersuchungen müssen
durchgeführt werden und sind Wiederholungen
nötig, um ein genaues Bild zu erhalten?






Wie bereits zuvor erwähnt sind
individuelle Behandlungsansätze
notwendig, unter Einbezug der
psychosozialen Situation und der
Kontextfaktoren. Dafür benötigt es eine
umfassende Untersuchung.






Was kann die Neuropsychologie im Rahmen
einer Reha leisten und wie geht es im
Anschluss an die vier Wochen weiter?






Im Rahmen der stationären
Rehabilitationsmaßnahme ist es möglich
eine ausführliche neuropsychologische
Diagnostik sowie theoriegestützte
Trainingsprogramme, überwiegend
PC-gestützte Trainings, durchzuführen.


Dabei können wir die jeweiligen
Ressourcen und Strategien zur
Kompensation sowie der Kontextfaktoren
evaluieren. Anschließend erarbeiten wir
individuelle Behandlungsziele und
vermitteln Grundkenntnissen (z.B.
Pausenmanagement, Tagesstrukturierung)
und Psychoedukation. Auch
achtsamkeitsbasierte Interventionen
gehören dazu. Außerdem nehmen wir eine
sozialmedizinische Beurteilung
(berufliche Leistungsfähigkeit) vor,
und an der Stelle spielt die
Neuropsychologie eine wichtige Rolle.






Wie sieht die Therapieempfehlung bei MS
aus? Geht es um eine einmalige Therapie
oder kann eine regelmäßige Wiederholung
sinnvoll sein?






Ganzheitlicher Ansatz ist grundlegend,
also nicht nur das Gehirn zu sehen und
die Medikamentengabe, sondern die
Berücksichtigung der psychosozialen
Situation des jeweiligen MS-Patienten
mit Bezug auf die Kontextfaktoren.






Wann sollten sich MS-Patienten an einen
Neuropsychologen wenden, bei welcher Art
von Problemen, die ihnen im Alltag
auffallen?






Es gibt viele mögliche Auslöser um die
Unterstützung der Neuropsychologie in
Anspruch zu nehmen. Um einige Beispiele
zu nennen:


Faden verlieren,
Konzentrationsspanne vermindert,
Ablenkbarkeit, Ermüdung,
Auffassungserschwernis, Namensverluste,
Wiederholungen, Kalenderbenutzung,
Lücken in der
Krankengeschichte/Biografie, Termine
vergessen, Impulskontrolle/Enthemmung,
Verbal- oder Handlungsaggressionen,
Affektlabilität (mit Euphorie und
Agitiertheit),
Affektverflachung/Gleichgültigkeit,
depressive Symptome, Angststörungen,
etc.







Wie findet man einen geeigneten
Neuropsychologen und braucht man eine
Überweisung vom Allgemeinarzt oder
Neurologen?






Dafür benötigt man keine Überweisung.
Die ambulanten Kollegen sind
zertifizierte klinische
Neuropsychologinnen durch die
Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP)
sowie approbiert. Auf der
Homepage www.gnp.de finden
sich unter Behandlerliste eine
Übersicht der Neuropsychologinnen.






Welchen Durchbruch in der Forschung oder
Behandlung von Patienten der
Neuropsychologie wünschen Sie sich in den
kommenden 5 Jahren?






Die Neuropsychologie ist gut erforscht
und die Säulen sind klar, da es
individuelle Behandlungsansätze sind.
Außerdem stehen die neuropsychologische
Behandlungsformen.


Wir brauchen in der Integration
einen Durchbruch!


Wichtig ist vor allem, dass die
Neuropsychologie im ambulanten Sektor
und in der Versorgung der Patienten
etabliert wird, denn den Patienten ist
nur geholfen, wenn sie eine Behandlung
bekommen. Das ist für mich die
wichtigste Entwicklung, die passieren
sollte.


Hier ein Buchtipp:
„Psychoneuroimmunologischen Ansätze und
Psychotherapie“ von Ch. Schubert. Herr
Schubert forscht auf medizinischer
Ebene, distanziert sich von der
Molekularmedizin und bis hin zu
neuropsychosozialen Ansätzen.
















Blitzlicht-Runde




Vervollständigen Sie den Satz: „Für mich
ist die Multiple Sklerose... “






„…eine Erkrankung die endstigmatisiert
werden sollte. Es sollte darüber frei
gesprochen werden können, nicht
geschwiegen und ohne das man sich
schlecht fühlen muss, weil man diese
Diagnose hat. Stattdessen sollten die
Menschen aktiv eingebunden werden.“






Wo können sich Patienten über die
Neuropsychologie informieren, wenn sie mehr
erfahren wollen?







www.ratgeber-neuropsychologie.de


www.gnp.de







Wie lautet Ihr aktuelles Lebensmotto?






Stichwort: Lebensqualität.






Mit welcher Person würden Sie gern einmal
ein Kamingespräch führen und zu welchem
Thema?






Andreas Kieling. Ich würde gerne über
seine Abenteuer und seine Begeisterung
für die Natur sprechen.






Welches Buch oder Hörbuch, das Sie kürzlich
gelesen haben, können Sie uns empfehlen und
worum geht es darin?






Vor kurzem habe ich „Kielings
kleine Waldschule“ gelesen,
kann ich nur empfehlen. Auch alle
anderen Bücher von ihm haben mich
fasziniert und inspiriert.






Verabschiedung




Möchten Sie den Hörerinnen und Hörern noch
etwas mit auf dem Weg geben?






Passen Sie gut auf sich auf!


















++++++++++++++++++++
Vielen Dank an Katherine Hentzschel für
die Einblicke in die Grundlagen der
Neuropsychologie und welche Rolle sie
bei der MS spielt!


Also, wenn Du Probleme mit geistigen
Fähigkeiten hast oder von Fatigue oder
Depression betroffen bist, dann schau
auf der Seite der Gesellschaft für
Neuropsychologie vorbei und lass Dich
durchchecken. Nur wer das Problem
kennt, kann gezielt nach Lösungen
schauen.


Ich wünsche Dir bestmögliche geistige
Gesundheit,
Nele


Mehr Informationen rund um das Thema MS
erhältst du in
meinem kostenlosen
MS-Letter.


Hier findest Du eine Übersicht
über alle bisherigen
Podcastfolgen.













Kommentare (0)

Lade Inhalte...

Abonnenten

15
15
:
: