(44) Kurt Tucholsky »Kreuzworträtsel«
9 Minuten
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Lesung - Klassiker, Philosophie, Gedichte | Gelesen von Elisa Demonki
Beschreibung
vor 15 Jahren
Kreuzworträtsel mit Gewalt Der Arzt versank in meinem Bauch. Dann
richtete er sich hochaufatmend wieder auf. »Es sind die Nerven,
Herr Panter«, sagte er. »An den Organen ist nichts. Ruhe –
Ausspannen – Massage – Rohkost – Gemüse – Gymnastik – kohlensaure
Bäder … passen Sie auf: wir kriegen Sie schon wieder hoch.
Schwester –!« Da saß ich in dem Klapskasten, und nun war es zu
spät. (…) Das konnte heiter werden. Es wurde sehr heiter. Ich
absolvierte täglich ein längeres Zirkusprogramm, von morgens um
sieben bis mittags um halb eins. Der Turnlehrer; die
Wiegeschwester; der Bademeister; der Masseur; der Assistenzarzt;
die Zimmerschwester … sie alle waren emsig um mich bemüht. Ich kam
mir recht krank vor, und wenn ich mir krank vorkam, dann schnauzten
sie mich an, was mir wohl einfiele – es ginge mir schon viel, viel
besser. Was war da zu machen? Was war vor allem an den langen
Nachmittagen zu machen, die etwa acht- bis neunmal so lang waren
wie die reichlich gefüllten Vormittage? Lesen. Das Salatorium – man
sollte niemals: Sanatorium schreiben – das Salatorium hatte eine
Bibliothek. Die ersten acht Tage ging das ganz gut, denn sie hatten
da die ›Allgemeine Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens‹,
eine Art Familienzeitschrift aus den neunziger Jahren – und so
beruhigend! Darin war von der neuen, schreckeinflößenden Erfindung
des Telefons die Rede; von einem Wagen, der sich vermittels einer
Maschine allein bewegen konnte, einem sogenannten ›Automobil‹; vorn
war ein Roman mit Bildern: »Agathe liebkoste die entblätterte Rose
und ließ sich auch durch das Zureden des Assessors von Waldern
nicht trösten … Seite 95« (…) . Dies beschäftigte mich acht Tage
lang. Dann war es aus. (…) Was nun –? Eines Tages sah ich beim
Bademeister auf dem Fensterbrett der Badekabine eine
Rätselzeitschrift liegen. Ich hatte nie gewußt, dass es so etwas
gäbe. Aber das gabs. Darin waren Silbenrätsel enthalten und andre
schöne Zeitvertreibe. »Darf ich vielleicht … könnten Sie mir das
wohl mal leihen … ?« fragte ich. Er lieh. Ich hatte kaum mein Müsli
und den Salat und die halbe Pflaume gegessen, als ich auf mein
Zimmer eilte, den Bleistift spitzte und löste. Ich verfüge über
eine sehr lückenhafte Bildung. Ich weiß nicht, wo Karakorum liegt;
ich weiß nicht, was eine ›Ephenide‹ ist; ich verwechsle immer
›Phänomenologie‹ mit ›Pharmazeutik‹, und es ist überhaupt ein
Jammer. Aber ich begann zu lösen. Anfangs ging das ganz gut. Alles,
was ich auf Anhieb wußte, schrieb ich in die kleinen Quadrate, und
wenn ich nicht weiter konnte, ließ ich das angebissene Rätsel
liegen und machte mich an das nächste. So hatte ich viele vergnügte
Nachmittage. Der Bademeister brachte mir, trinkgeldlüstern, noch
weitere achtzehn Rätselzeitschriften, aber tückischerweise hatten
sie keinen Zusammenhang untereinander, denn es fehlten immer grade
die Nummern, in denen die Lösungen jener enthalten waren, an denen
ich grade knabberte … also mußte ich versuchen, allein damit fertig
zu werden, und ich war ganz auf mich selber angewiesen. Ich habe
das nicht gerne – wer auf mich gebaut hat, hat noch stets auf Sand
gebaut. Aber ich löste. Als ich die Zeitschriften vollgemalt hatte,
hatte ich fünf Kreuzworträtsel zu Ende gelöst. Alle andern – und es
waren deren eine Menge – wiesen bedrohliche Flecke auf. Was nun?
Nun zerbiß ich meinen Bleistift; dann den Federhalter des Sala…
(weiterlesen auf
https://podcast-lesung.de/44-kurt-tucholsky-kreuzwortraetsel/)
richtete er sich hochaufatmend wieder auf. »Es sind die Nerven,
Herr Panter«, sagte er. »An den Organen ist nichts. Ruhe –
Ausspannen – Massage – Rohkost – Gemüse – Gymnastik – kohlensaure
Bäder … passen Sie auf: wir kriegen Sie schon wieder hoch.
Schwester –!« Da saß ich in dem Klapskasten, und nun war es zu
spät. (…) Das konnte heiter werden. Es wurde sehr heiter. Ich
absolvierte täglich ein längeres Zirkusprogramm, von morgens um
sieben bis mittags um halb eins. Der Turnlehrer; die
Wiegeschwester; der Bademeister; der Masseur; der Assistenzarzt;
die Zimmerschwester … sie alle waren emsig um mich bemüht. Ich kam
mir recht krank vor, und wenn ich mir krank vorkam, dann schnauzten
sie mich an, was mir wohl einfiele – es ginge mir schon viel, viel
besser. Was war da zu machen? Was war vor allem an den langen
Nachmittagen zu machen, die etwa acht- bis neunmal so lang waren
wie die reichlich gefüllten Vormittage? Lesen. Das Salatorium – man
sollte niemals: Sanatorium schreiben – das Salatorium hatte eine
Bibliothek. Die ersten acht Tage ging das ganz gut, denn sie hatten
da die ›Allgemeine Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens‹,
eine Art Familienzeitschrift aus den neunziger Jahren – und so
beruhigend! Darin war von der neuen, schreckeinflößenden Erfindung
des Telefons die Rede; von einem Wagen, der sich vermittels einer
Maschine allein bewegen konnte, einem sogenannten ›Automobil‹; vorn
war ein Roman mit Bildern: »Agathe liebkoste die entblätterte Rose
und ließ sich auch durch das Zureden des Assessors von Waldern
nicht trösten … Seite 95« (…) . Dies beschäftigte mich acht Tage
lang. Dann war es aus. (…) Was nun –? Eines Tages sah ich beim
Bademeister auf dem Fensterbrett der Badekabine eine
Rätselzeitschrift liegen. Ich hatte nie gewußt, dass es so etwas
gäbe. Aber das gabs. Darin waren Silbenrätsel enthalten und andre
schöne Zeitvertreibe. »Darf ich vielleicht … könnten Sie mir das
wohl mal leihen … ?« fragte ich. Er lieh. Ich hatte kaum mein Müsli
und den Salat und die halbe Pflaume gegessen, als ich auf mein
Zimmer eilte, den Bleistift spitzte und löste. Ich verfüge über
eine sehr lückenhafte Bildung. Ich weiß nicht, wo Karakorum liegt;
ich weiß nicht, was eine ›Ephenide‹ ist; ich verwechsle immer
›Phänomenologie‹ mit ›Pharmazeutik‹, und es ist überhaupt ein
Jammer. Aber ich begann zu lösen. Anfangs ging das ganz gut. Alles,
was ich auf Anhieb wußte, schrieb ich in die kleinen Quadrate, und
wenn ich nicht weiter konnte, ließ ich das angebissene Rätsel
liegen und machte mich an das nächste. So hatte ich viele vergnügte
Nachmittage. Der Bademeister brachte mir, trinkgeldlüstern, noch
weitere achtzehn Rätselzeitschriften, aber tückischerweise hatten
sie keinen Zusammenhang untereinander, denn es fehlten immer grade
die Nummern, in denen die Lösungen jener enthalten waren, an denen
ich grade knabberte … also mußte ich versuchen, allein damit fertig
zu werden, und ich war ganz auf mich selber angewiesen. Ich habe
das nicht gerne – wer auf mich gebaut hat, hat noch stets auf Sand
gebaut. Aber ich löste. Als ich die Zeitschriften vollgemalt hatte,
hatte ich fünf Kreuzworträtsel zu Ende gelöst. Alle andern – und es
waren deren eine Menge – wiesen bedrohliche Flecke auf. Was nun?
Nun zerbiß ich meinen Bleistift; dann den Federhalter des Sala…
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