Wir denken nicht mehr

Wir denken nicht mehr

3 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Die Überfülle an Informationen und die Vielzahl an
Weltanschauungen, die uns heute über das Internet zur Verfügung
stehen, produzieren keine kohärente Konsensrealität (mehr),
sondern eine Wirklichkeit, die vom fundamentalistischen Beharren
auf simplifizierenden Narrativen, Verschwörungstheorien und
postfaktischer Politik zerfressen ist.


Beim Lesen dieses Satzes im Buch New Dark Age von James Bridle
erinnere ich mich an die Behauptung, wir hätten verlernt zu
denken. Denken ist meine Prämisse für das tätige Zusammenhandeln,
auf das ich nicht nur im beruflichen Kontext beharre. Damit meine
ich nicht das Denken an den ersten Kaffee am Morgen oder das
Schwelgen in Erinnerungen.


Denken, das eher Sinn ist als Tätigkeit.

Denken, das gar nicht erst stattfindet, weil wir von zu
vielen Informationen umgeben sind, die erst einmal bewertet
werden wollen, bevor wir uns den dahinterliegenden Bedeutungen
zuwenden.



Und dann ist auch schon Abend und der Kopf rast. Wir kommen nicht
zur Ruhe und die Gedanken laufen durch, wie Shorts oder Reels
oder wie auch immer wir die medial in Szene gesetzte Wirklichkeit
anderer Menschen nennen.


Die jetzt ausgehende Postmoderne hält einige Aufgaben für uns
bereit. Dazu zählt auch, dass wir die Versprechungen der
Aufklärung noch einmal hinterfragen. Mit Aufklärung verknüpfte
sich der Gedanke, mit bislang nicht zugänglichen Informationen
sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, um sich aus der
selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien.


Jetzt, am Ende der Zukunft, taumeln wir erneut. Ein Zurück gibt
es nicht. Wir werden wieder denken müssen und dafür in Kauf
nehmen, nicht alle Informationen zu haben. Informationen, die uns
vom eigentlichen Akt abhalten. Wer aber hilft uns, zu sortieren,
worauf es ankommt?


Ich plädiere dafür, stets eine Frage voranzustellen, die oft
vergessen wird, wenn wir erinnert werden an Kants Dreiklang aus:


Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?



Die vierte Frage ist etwas, an das es sich zu lohnen denkt und
deshalb stelle ich sie einfach jetzt und hier als Inspiration und
Kompass. Vielleicht ist die Frage eine Orientierung, die Dir
dabei hilft, die Überfülle an Informationen einfach mal zu
ignorieren und die Vielzahl der Weltanschauungen, die auf Dich
einprasseln, unberücksichtigt zu lassen. Vielleicht hilft die
Frage auch, das Plateau einer kohärenten Konsensrealität zu
erreichen, wo man nicht gleich das Gefühl haben muss, einem
fundamentalistischen Beharren ausgesetzt zu sein, das auf
vereinfachten Erzählungen basiert.


Die Frage lautet:


Was ist der Mensch?

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