Die Sorge der Raumnomaden - Dr. Michael Liegl im Gespräch
Die vierte Episode des Audio-Podcast "Das soziologische Duett"
1 Stunde 33 Minuten
Podcast
Podcaster
Unterhaltungen über soziologische Perspektiven wissenschaftlicher Weltbeobachtung
Beschreibung
vor 12 Jahren
Dr. Michael Liegl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Soziologie der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz unterhält
sich mit Dr. Udo Thiedeke über unsere Beziehung zum Raum und unsere
Sorge um den Raum, wie sie sich einstellen, seit wir zu Raumnomaden
geworden sind. Shownotes: #00:06:12# Erste
Siedlungen und Kultstätten, wie etwa Göbekli Tepe oder Nevalı Çori,
werden in Verbindung mit der sog. neolithischen Revolution ca.
10000 vor unserer Zeitrechnung gesehen, in der Ackerbau und
Viehzucht entstanden. Vgl. Göbekli Tepe Klaus Schmidt (Hrsg. für
ArchaeNova e.V.), 2009: Erste Tempel - Frühe Siedlungen. 12000
Jahre Kunst und Kultur. Ausgrabungen und Forschungen zwischen Donau
und Euphrat. Oldenburg: Isensee. #00:12:24# Der
"(Neo-)Kommunitarismus" ist eine sozialphilosophische Strömung, zu
deren prominentesten philosohischen Vertretern Alasdair Macintyre,
Charles Taylor und Michael Sandel zählen. Seit den 1980er Jahren
üben Vertreter dieser Strömung Kritik an etablierten liberalen
Ethikmodellen mit der Annahme, dass erlebte Gemeinschaft und
Solidarität die Voraussetzungen für Gerechtigkeit und Fairness (den
Prinzipien des Liberalismus) darstellen. Soziologische Vertreter
des Kommunitarismus sind etwa Amitai Etzioni (politischer Berater
der Clinton Administration) und Robert Putnam. Vgl. etwa: Etzioni,
Amitai, 1996: The new golden rule: Community and morality in a
democratic society. New York: Basic Books (AZ). Putnam, Robert D.,
2000: Bowling Alone. The Collapse and Revival of American
Community. New York: Simon&Schuster. #00:12:36# In Zeiten
großer Leerstände innerstädtischer Immobilien entstand in New York
nicht nur eine lebendige Hausbesetzerszene, diese ging auch mit
einer Bewegung von "Community Gardening" einher, bei der sich
Bewohner des Viertels zusammenschlossen und Ödflächen die nach dem
Abriss verrotteter Häuser zurückblieben zu räumen und zu
bepflanzen. Vgl. American Community Gardening Association (Hrsg.),
1998: National Community Garden Survey. Philadelphia, PA : American
Community Gardening Association. #00:13:35# Zum Konzept der
segmentären Vergesellschaftung bzw. segmentären gesellschaftlichen
Differenzierung siehe: Niklas Luhmann, 1997: Die Gesellschaft der
Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 634ff. #00:15:02# Hier ist
z.B. der Cocoon Club, in dem man "Cocooning" betreiben kann.
#00:15:30# Die "Soziologie und die Stadt": Einigen Soziologen gilt
die Stadt als Ort der Moderne und damit als Geburtsstätte der
Soziologie. Georg Simmel etwa behauptet eine besondere Mentalität
des Städtischen (Die Städte und das Geistesleben) und betrachtet
Formen städtischer Mobilität als Produktionsweise moderner
Individualität (Die Kreuzung sozialer Kreise). Robert E. Park,
einer der Begründer Chicagoer Urban Sociology, sieht gar die Stadt
als soziales Labor (The city as social laboratory). Park, Robert
E., 1929: The City as a Social Laboratory. In: Thomas V. Smith,
Leonard D. White (Hrsg.): Chicago: An Experiment in Social Science
Research. Chicago, Il.: Univ. of Chicago Press. S. 1-19. Simmel,
Georg, 1984: Die Großstädte und das Geistesleben. In: ders.: Das
Individuum und die Freiheit. Essais. Berlin: Wagenbach. S. 192-204
#00:16:31# "Civil Inattention" (deutsch: höfliche Gleichgültigkeit)
ist ein Konzept von Erving Goffman, das die (normale) Haltung in
der Begegnung einander Fremder in der Öffentlichkeit beschreibt.
Diese nehmen einander wahr, signalisieren dies und lassen einander
daraufhin in Ruhe. Siehe: Erving Goffman, 1963: Behavior in Public
Places. Notes on the Social Organization of Gatherings. New York:
The Free Press. S. 84 ff. #00:17:03# Zu den alten Städten des
vorderen Orients siehe die Episode "5412 Jahre Vertrauen in
Materialität - Prof. Dr. Markus Hilgert im Gespräch" in diesem
Podcast #00:18:05# Zur "Kreuzung der sozialen Kreise": Simmel,
Georg, 1992: Die Kreuzung sozialer Kreise. In: ders.: Soziologie.
Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung.
Gesamtausgabe Bd. II. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 456-511. [1908]
#00:30:20# Zur "europäischen Stadt" etwa im Vergleich zur
amerikanischen siehe: Häußermann, Hartmut, 2001: Die europäische
Stadt. Leviathan: Zeitschrift fur Sozialwissenschaft, 29. S.
237-255. Häußermann, Hartmut, 2011: Was bleibt von der europäischen
Stadt? In: Frey, Oliver; Koch, Florian (Hrsg.): Die Zukunft der
Europäischen Stadt. Stadtpolitik, Stadtplanung und
Stadtgesellschaft im Wandel. Wiesbaden: VS Verlag. S. 23-35.
#00:32:29# "Communities of choice" ist ein Konzept der
amerikanischen Moralphilosophin Marilyn Friedman, die sich
gleichermaßen gegen die zu dünn empfundene liberalen Konzepte
Freiheit und Gerechtigkeit und gegen zumal für Frauen oder
angehörige ethnischer Minderheiten zu einschränkenden
Gemeinschaftskonzepte der Kommunitaristen richtet. Vgl. Friedman,
Marilyn, 1989: Feminism and Modern Friendship: Dislocating the
Community. Ethics, 99: S. 275-290. #00:36:24# Michael Liegl, 2010:
Digital Cornerville.Technische Leidenschaft und musikalische
Vergemeinschaftung in New York. Stuttgart: Lucius&Lucius.
#00:38:15# Zum ortlosen Raum des Cyberspace: William Gibson, 1984:
Neuromancer. New York: The Berkley Publishing Group. #00:39:29# Als
"Megacities" werden im Allgemeinen Städte bezeichnet, die ungefähr
10 Millionen Einwohner haben. Neben diesem rein quantitativen
Bestimmung ist in der soziologischen Literatur die Rede von "Global
Cities" oder "Metropolen". Das eine bezeichnet eine spezifische
strategische Stellung in der globalen Wirtschaft, das andere zielt
auf eine besondere Qualität des Urbanen. Siehe: Sassen, Saskia,
1991: The Global City: New York, London, Tokyo. Princeton, NJ.:
Princeton Univ. Press. Sassen, Saskia, 1995: Metropole: Grenzen
eines Begriffs. In: Fuchs, Gotthard, Moltmann, Bernhard, Prigge,
Walter (Hrsg.): Mythos Metropole. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S.
165-177. #00:40:38# Zum neuen Mobilfunkstandard LTE (Long Term
Evolution) #00:41:54# "New York Grid": Grid zu deutsch Raster ist
die Anlage geplanter Städte wie Manhattan, aber auch Mannheim, wo
die Straßen parallel und orthogonal zueinander laufen und dadurch
ein Muster aus Rechtecken entsteht, das einem Schachbrett ähnelt.
Zur Entstehung des Grid siehe eine Austellung im "Museum of the
City of New York". #00:42:37# Wer suchet der findet! Zum Uniform
Resource Locator (URL) des Internets #00:43:45# "Share Community":
Über die Share Community schreibt Liegl in seinem Buch Digital
Cornerville. Das "Mutterschiff" und am längsten (seit 2001)
existierende lokale Knoten (node) eines mittlerweile globalen
Netzwerks lokaler Gemeinschaften ist Share NY. Online. #00:49:20#
Zu Interaktionsordnungen (Goffman), Interaktionssystemen (Luhmann),
einfachen Interaktionssystemen (Kieserling). Siehe: Goffman,
Erving, 1983: The Interaction Order. In: American Sociological
Review, 48. S. 1-17. Luhmann, Niklas, 1984: Soziale Systeme.
Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S.
551-592. Kieserling André, 1999. Kommunikation unter Anwesenden.
Studien über Interaktionssysteme. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
#01:05:50# Gute "Locations" von Share waren zunächst Open Air Bar
(East Village Manhattan) dann das hausofouch ein Künstlerloft in
Dumbo (Brooklyn) und die Bar Mundial (East Village Manhattan).
#01:06:52# Unter dem "Gentrification-Prozess" versteht man die
Aufwertung von maroden Stadtteilen, deren leerstehender Raum und
billige Mieten Kreative, Künstler und Subkulturen anziehen. Solche
Viertel werden durch die Aufwerkung und ein entsprechendes
Konsumangebot attraktiv für die besserverdienenden Mittelschichten,
was zu Mietsteigerungen und der Verdrängung einkommensschwächerer
Bewohner führt. Vgl.: Jürgen Friedrichs, Robert Kecskes (Hrsg.),
1996: Gentrification. Theorie und Forschungsergebnisse. Opladen:
Leske + Budrich. #01:08:30# "Warehouse-Party-Szene": In den frühen
1990er Jahren boten leerstehende Fabrik- und Lagerhallen in dem
weitgehend heruntergekommenen Brooklyner Stadtteil Williamsburg
Raum für große Soundinstallationen, Performances und Techno
Parties. #01:13:36# Mit dem "dritten Ort" sind Orte jenseits der
Arbeit und des Privaten gemeint, wie etwa das Café. Für manche
Theoretiker sind dies die Orte der Zivilgesellschaft. Vgl.:
Oldenburg, Ray, 1997: The Great Good Place: Cafes, coffee shops,
community centers, beauty parlors, general stores, bars, hangouts,
and how they get you through the day. New York: Marlowe & Co.
#01:17:22# "Wissensgesellschaft" ist eines der vielen Labels, die
Antwort auf die Frage "in welche Gesellschaft leben wir
eigentlich?" geben. Alternativ wird auch von
Informationsgesellschaft (Bühl) oder auch Post-Industrial Society
(Bell) gesprochen. Vgl.: Anina Engelhardt, Laura Kajetzke (Hrsg.),
2010: Handbuch Wissensgesellschaft. Theorien, Themen und Probleme.
Bielefeld: transcript. Bell Daniel, 1976: The Coming of
Post-Industrial Society. New York: Basic Books. Bühl, Walter L.,
1994: Wissenschaft und Technologie. An der Schwelle zur
Informationsgesellschaft. Göttingen: Schwartz. #01:17:43# Zur
"Neuen Selbständigkeit" vgl.: Bologna, Sergio, 2006: Die Zerstörung
der Mittelschichten: Thesen zur Neuen Selbstständigkeit. Graz/Wien:
Nausner&Nausner. #01:19:43# Zu neuen Wissens- und
Publikationsformen in der Wissenschaft siehe die Episode mit "Wir
Angestellte unserer Texte - Björn Krey im Gespräch" #01:21:14# Die
Sorge um den Raum Coworking Spaces: Liegl, Michael, 2011: Die Sorge
um den Raum: mediale Ortlosigkeit und Dispositive der Verortung.
testcard. Beiträge zur Popgeschichte # 20: S. 182 - 189. #01:27:07#
Zur "Broken Windows"-Theorie des Sozialpsychologen Philip Zimbardo
#01:27:55# Zu den Räumen des Architekten Ludwig Mies van der Rohe
#01:29:50# Zum Umgang mit Formen: Vilém Flusser, 1998:
Paradigmenwechsel, in: ders. Medienkultur, hrsg. v. Stefan
Bollmann. Frankfurt/M.: Fischer TB Verlag. S. 190-201 [alle Links
aktuell September/Oktober 2012] Dauer 01:33:42
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