Beschreibung

vor 3 Jahren

Erst meine Heimat, dann der Tagebau, in 20 Jahren
Schiffe: So greifbar und doch so abstrakt wie hier, ist der
Begriff „Wandel“ wohl an kaum einem anderen Ort.


"Dort vorne, direkt vor Dir, wurde ich 1972 geboren: mitten im
Loch des Tagebaus. Naja zumindest dort, wo einst das Dorf
Alt-Inden stand. Denn dort bin ich aufgewachsen, zur Schule
gegangen und habe meinen ersten Freund heimlich hinter der alten
Turnhalle geküsst.


Schon seit den 50er Jahren wird hier in Inden Braunkohle
abgebaut. Mein ganzes Leben schon ist er da gewesen, der Tagebau.
Ich kenne diese Landschaft gar nicht ohne. Am Anfang wurde noch
dort gegraben, wo lediglich Wälder, Wiesen und Felder waren; im
Laufe der Zeit mussten dem Tagebau dann aber auch Orte weichen –
zehn insgesamt – und mit ihnen natürlich auch die Menschen, die
dort wohnten. Das Dorf in dem ich als kleines Kind aufgewachsen
bin und mit dem meine gesamten Kindheits- und Jugenderinnerungen
verbunden sind, war eines von diesen zehn. 1989 wurden wir
umgesiedelt; das letzte Dorf, Pier, verschwand 2015.


Die Region hat eine lange Bergbauhistorie, viele Arbeitsplätze
und ein Großteil des Wohlstandes, den sich die Leute hier
erarbeitet haben, sind und waren untrennbar mit dem Tagebau
verbunden. Er hat der Region viel gegeben! Und als die Umsiedlung
im Raum stand gefiel natürlich vielen der Gedanke, alt gegen neu
zu tauschen: in neu gebauten Häusern und neu angelegten
Siedlungen zu wohnen.


Aber dennoch kann ich nicht verhehlen, dass die Umsiedlung auch
mit Leid verbunden war. Es ist ja nicht nur so, dass Menschen nur
an materiellen Dingen hängen: an ihrem Zuhause, ihrer Dorfkneipe
oder an ihrer Kirche. Nein, auch gerade die menschlichen
Kontakte: die Nachbarn, die Dorfgemeinde, die Freunde aus dem
Fußball- oder Schützenverein. All das, war mit der Umsiedlung
Geschichte.


Meine Eltern, die mit mir umgesiedelt waren, hat es besonders
hart getroffen. Mit viel Herzblut hatten sie ihr altes Häuschen
in Alt-Inden aufgebaut. Es war vielleicht nicht sehr modern, aber
es genügte ihnen und es war ihr Zuhause. Mit der Umsiedlung
bekamen sie zwar eine gute Entschädigung, für die Errichtung
eines neuen Hauses mussten sie sich aber dennoch erneut
verschulden.


So richtig angekommen sind sie in ihrem neuen Zuhause auch heute
noch nicht. Neues Haus, neue Wege, neue Nachbarn, an so etwas
gewöhnt man sich im Alter ja nicht mehr so schnell.


Bei mir ist das anders: Ich erwische mich zwar immer noch dabei,
wie Wehmut in mir aufsteigt, wenn ich einen Blick auf das große
Loch werfe und an meine alte Heimat denke, aber den Wandel habe
ich schon deutlich besser weggesteckt als meine Eltern. Ich war
ja noch jünger und habe das anders verarbeitet, im Kopf, im
Herzen und in der Seele.


Und meine Kinder und Enkel? Die kennen es kaum mehr anders, für
sie ist Inden/Altdorf – der Ort in dem wir heute wohnen – ihre
Heimat.
Je länger es her ist, desto eher begreifen auch meine Eltern,
dass der Wandel hier noch lange nicht vorbei ist und so langsam
neue Zeiten anbrechen.


In 20 Jahren stehen wir hier nämlich direkt am Ufer eines Sees.
Wenn der Tagebau eingestellt ist, wird dieses riesige Loch mit
Wasser gefüllt und sich zum größten künstlichen Freizeitsee in
Nordrhein-Westfalen entwickeln. Ab 2035 wird der See
voraussichtlich schon genutzt werden können und 2065 soll dann
der endgültige Pegelstand erreicht sein. Baden, Segeln, am Strand
liegen und den Blick über das Wasser schweifen lassen – all das
wird dann hier am „Indeschen Ozean“ möglich sein!


Der See wird zu einem neuen Ankerpunkt für die ganze Region mit
hohem Freizeitwert und gänzlich neuen Perspektiven der Landschaft
– und damit sicher auch zu einem großen Pflaster für die Seelen
der Leute, die durch den Tagebau so vieles aufgeben mussten."


Infos und Tipps für Deine individuelle Tour auf dem
RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de

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