#01 Belgischer Zöllner in Kalterherberg

#01 Belgischer Zöllner in Kalterherberg

4 Minuten

Beschreibung

vor 3 Jahren

Halt Stopp! Ab hier geht es für Sie nur mit Passierschein
weiter!


"Wenn ich heute darüber nachdenke, fühle ich mich noch immer
schlecht. Dabei war das 1946 und ist schon so lange her. Da
musste ich einer Mutter mit drei kleinen Kindern am Heiligen
Abend verbieten, ihre Großeltern in Küchelscheid zu besuchen, nur
weil eines der Kinder keinen gültigen Passierschein hatte. Ich
hätte selbst weinen können, aber musste den harten Zöllner mimen.
Nur wegen dieser leidigen Grenzgeschichte hier im Osten Belgiens.


Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland mit dem Versailler
Vertrag die Kreise Eupen, Malmedy und St. Vith an uns Belgier
abtreten. Kurzerhand übernahm Belgien 1921 dann auch den winzig
schmalen Korridor, auf dem die Trasse der Vennbahn verlief und
erklärte ihn zu belgischem Staatsgebiet.


Es entstanden fünf deutsche Exklaven, die nur durch wenige Meter
der Bahntrasse von ihrem zugehörigen Staat getrennt wurden. Daran
ändert auch der Zweite Weltkrieg nichts. Eher im Gegenteil: Nach
1945 waren die Grenzkontrollen besonders streng, die
Abscheulichkeiten des Krieges waren einfach noch zu frisch. Kein
Belgier wollte mit dem ehemaligen Feind ein einziges Wort reden,
nicht auf Französisch, nicht auf Niederländisch und schon gar
nicht auf Deutsch.


Sie müssen sich das einmal vorstellen: Die Leute brauchten damals
für jeden Grenzübertritt einen Passierschein, selbst wenn sie zum
Bahnhof gehen wollten; die Scheine waren aber immer nur 48
Stunden gültig. Fahrräder durften nicht ohne Erlaubnis über die
Grenze mitgenommen werden, das hätte ja eine materielle Einfuhr
nach Belgien bedeutet; der Organist aus Kalterherberg musste mir
jedes Mal seine Sondergenehmigung vorzeigen, um auf belgischer
Seite während der Messe die Orgel spielen zu können; die Bauern
mussten jedes Mal die Grenze passieren, wenn sie ihre Wiesen
bearbeiten wollten, weil die sich von einen auf den anderen Tag
in einem anderen Land befanden.


Dabei war das Zusammenleben zwischen Deutschen und Belgiern im
Alltag immer recht problemlos. Besonders Kalterherberg und
Küchelscheid fühlten sich trotz Grenze immer wie ein Dorf. Das
war besonders bei den Kindern spürbar, die sich aus dem
Fußballverein, dem Musikverein oder der Kirchengemeinde kannten.
Die Grenze gab es nur in den Amtsstuben. Aber von dort wurden wir
Zöllner geschickt.


1995 waren Belgien und Deutschland dann unter den ersten neun
Ländern der EU, in denen mit Inkrafttreten des Schengener
Durchführungsabkommens die Grenzen wegfielen. Wir Grenzbeamten
stehen seitdem nicht mehr hier – die Grenzsituation mit der
Vennbahn jedoch blieb erhalten. Der Grund: Staatsrechtlich kann
das nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil die Staaten, die
den Vertrag einst unterschrieben, in dieser Form nicht mehr
existieren. Und so werden die fünf Exklaven auch weiterhin
bestehen bleiben: als stumme Zeugen des Grenzwandels hier im
Monschauer Land."


Lust auf mehr? Dann hör Dir auch gleich noch die anderen
Geschichten an! Oder erlebe sie einfach selbst auf Deiner Tour
zwischen der Quelle im Hohen Venn bei Botrange in Belgien und der
Mündung in die Maas bei Roermond in den Niederlanden. An den
interaktiven Rast- und Erlebnisstationen entlang der Strecke
erzählen Zeitzeugen eindrucksvoll über ihr Leben an und mit der
Rur. 


Bis bald und eine gute Fahrt für Dich auf dem RurUfer-Radweg!





Alle Infos und Tipps für Deine individuelle Tour auf dem
RurUfer-Radweg findest Du auf www.rurufer-radweg.de

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