Erleben und Verhalten bei Angehörigen von Menschen mit Demenz in Konfliktsituationen

Erleben und Verhalten bei Angehörigen von Menschen mit Demenz in Konfliktsituationen

Beschreibung

vor 12 Jahren
Die Zahl der Demenzerkrankungen in unserer Gesellschaft wird sich
in den nächsten Jahrzehnten nach bisherigen Prognosen deutlich
erhöhen, womit auch der Unterstützungsbedarf für diese
Personengruppe ansteigt. Davon betroffen sind auch die betreuenden
Angehörigen, die vielfältigen Belastungen durch die Erkrankung des
nahestehenden Familienmitglieds ausgesetzt sind. Das Ziel der
vorliegenden Arbeit ist es, einen Bereich der Belastungsforschung
in Bezug auf Angehörige zu erhellen, der bisher vernachlässigt
wurde und so Grundlagenwissen für die Entwicklung von
Interventionen zu liefern. Dabei handelt es sich um das Auftreten
von Konflikten in Paarbeziehungen in Form von Ärgerreaktionen der
Angehörigen gegenüber den Erkrankten. Neben dem Zusammenhang
zwischen dem Ärgererleben der Angehörigen und ihren darauf
folgenden Verhaltensreaktionen war der Einfluss verschiedener
Faktoren auf diese Variablen Gegenstand der Untersuchung. Es wurden
zwei Studien mit Angehörigen, die einen an Demenz erkrankten
Partner zu Hause betreuten, durchgeführt (Studie 1: n=37; Studie 2:
n=73). Der Zusammenhang zwischen Ärgerreaktionen und zahlreichen
Einflussfaktoren wurde dabei mit Hilfe von Korrelationsberechnungen
und Strukturgleichungsmodellen analysiert. Das Ärgererleben der
Angehörigen war in beiden Studien deutlich mit den darauf folgenden
Verhaltensreaktionen gegenüber dem erkrankten Partner assoziiert:
Je mehr Ärger die Angehörigen erlebten, umso ungünstiger verhielten
sie sich gegenüber dem Betroffenen. Umgekehrt hing eine geringere
Ausprägung erlebten Ärgers mit günstigeren Verhaltensweisen
zusammen. Das Ärgererleben ist nach den vorliegenden Ergebnissen
multifaktoriell bedingt. Neben der Symptomatik und Schwere der
Demenzerkrankung zeigten folgende Einflussfaktoren auf Seite der
Angehörigen einen Zusammenhang mit dem erlebten Ärger:
Persönlichkeitsmerkmale (Ärgerneigung, Aggressivität,
Neurotizismus, Erregbarkeit, Beanspruchung),
Bewältigungsstrategien, Attributionen, Belastungserleben und
Depressivität, Resentment/Groll über die mit der Erkrankung
verbundenen Einschränkungen, wahrgenommene aktuelle
Beziehungsqualität zum Erkrankten, soziale Unterstützung und
soziale Belastungen sowie die subjektiv wahrgenommene Kompetenz im
Umgang mit dem Erkrankten. Besonders starke Assoziationen waren
dabei zwischen der Ärgerneigung im Sinne eines
Persönlichkeitsmerkmals und dem Ärgererleben in problematischen
Situationen feststellbar. Einen relativ großen Einfluss scheinen
zudem ungünstige Bewältigungsstrategien (emotionales Betroffensein,
Resignieren) und ungünstige Attributionen, vor allem in Sinne
mangelnden Verständnisses für das Verhalten des Erkrankten, sowie
eine als niedrig eingestufte aktuelle Beziehungsqualität zu haben.
Ungünstiges Verhalten stand außer mit dem Ärgererleben noch in
einem Zusammenhang mit der Ärgerneigung, niedriger
Beziehungsqualität und ungünstigen Attributionen, welche wiederum
mit einem höheren Ausmaß störenden Verhaltens des Betroffenen
assoziiert waren. Günstiges Verhalten wurde außer durch das
Ärgererleben und eine geringere Ärgerneigung zusätzlich noch durch
günstige Attributionen beeinflusst und stand in Zusammenhang mit
mehr kognitiver Symptomatik des Betroffenen und positiven
Bewältigungsstrategien im Sinne von kognitiver Um- und Abwertung
sowie Kontrollstrategien. Im Rahmen einer zusätzlichen qualitativen
Untersuchung wurden mit 15 Angehörigen problemfokussierte
Interviews über das Erleben von Ärger geführt und mit der Methode
des thematischen Codierens analysiert. Die Interviewdaten
bestätigten den auch in der empirischen Untersuchung gefundenen
Zusammenhang zwischen mangelndem Verständnis für die Erkrankung,
vermehrtem Ärger und ungünstigem Verhalten. Außerdem zeigte die
Analyse hinsichtlich der Bewältigung von kritischen Situationen und
Ärgerreaktionen, dass es unterschiedliche Typen von Angehörigen zu
geben scheint: eine jeweils kleine Gruppe, die Ärger entweder sehr
gut oder sehr schlecht bewältigt sowie eine relativ breite Mitte
mit mehr oder weniger suboptimalem Umgang mit Ärger. Über die
Hälfte der interviewten Angehörigen gab zu, oft wider besseren
Wissens Ärgerreaktionen gegenüber dem Betroffenen zu zeigen, was in
den meisten Fällen im Zusammenhang mit Überforderungen in
stressigen Alltagssituationen geschildert wurde. Aufgrund der
methodischen Einschränkungen der vorliegenden Studien, wobei
insbesondere die geringen Stichprobengrößen hervorzuheben sind,
können die gefundenen Ergebnisse nur im Sinne von Tendenzen
interpretiert werden und bedürfen weiterer Replikation. Dennoch
lässt sich für die therapeutische Versorgung Angehöriger von
Menschen mit Demenz ableiten, dass das Thema „Ärgerbewältigung“
eine Rolle spielen sollte und zukünftig stärker als in bisher
publizierten Ansätzen berücksichtigt werden sollte. Vorschläge zu
möglichen therapeutischen Interventionen werden in der
abschließenden Diskussion gemacht.

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