Beschreibung

vor 9 Jahren
Die herausragende Bedeutung der Geschwisternschaft für die
Persönlichkeitsentwicklung ist unbestritten. Sie ist in der Regel
die längste familiäre Beziehung im Laufe eines Lebens und fördert
durch intensive Erfahrungen von Nähe und Rivalität in der Kindheit
die sozial-emotionale Entwicklung und psychische Resilienz. Wie
sich das Verhältnis zwischen Geschwistern entwickelt, hängt von
spezifischen Faktoren ab. Allem voran steht der familiäre Kontext,
den Eltern durch ihr Erziehungsverhalten bedingen und beeinflussen.
Diese Arbeit rückt eine Thematik in den Mittelpunkt, die in der
elterlichen »Choreografie« der Geschwisterbeziehung äußerst
problematisch eingeschätzt wird: die elterliche Ungleichbehandlung
von Geschwistern. Bei der Entstehung elterlicher Ungleichbehandlung
werden Persönlichkeitsmerkmale der Kinder, d.h. die im Kind
begründeten Anlagen oder Charaktereigenschaften, die elterliche
Bevorzugung oder Ablehnung hervorrufen, Persönlichkeitsmerkmale der
Eltern und sozioökonomische Hintergründe spielen eine wechselseitig
wirksame Rolle. Die vorliegende Arbeit untersucht, welche
Bedingungsfaktoren bei der Entstehung elterlicher
Ungleichbehandlung eine Rolle spielen und welche negativen Effekte
sich daraus für die Geschwisterbeziehung und die einzelnen Kinder
ergeben. Es soll deshalb ermittelt werden, wie ungerechte
elterliche Verhaltensweisen in bestimmten Kontexten und Bereichen
bewertet werden und inwiefern kindliche Persönlichkeitsmerkmale das
(Un)gerechtigkeitserleben bei elterlicher Ungleichbehandlung
determinieren. Dem bedeutsamen intra-psychischen Prozess des
kindlichen (Un)gerechtigkeitserleben, der negative Effekte auf die
Kinder und familiären Beziehungen erst vermittelt, konnte durch die
Entwicklung gezielter Erhebungsinstrumente erstmals Rechnung
getragen werden. Durch das erstellte Forschungsdesign der
qualitativen Studie gelingt es weiterhin ein besonderes Augenmerk
auf die bevorzugten Kinder zu richten und die strukturellen
Bedingungen der Bevorzugung besser zu erfassen. Die empirische
Untersuchung hat eine quantitative Erhebung (Studie 1) mit
Grundschulkindern der dritten und vierten Klassenstufen (N= 806)
und eine qualitative Erhebung (Studie 2) mit Studierenden (N= 7)
zum Gegenstand. Die Auswertung der Befragungen ergab bzgl. eines
elterlichen Erziehungsverhaltens, das ungerecht erlebt wird und
negative Auswirkungen hat, ein einheitliches Befundbild. Sofern das
elterliche Verhalten durch kindliche Bedürfnisunterschiede
nachvollzogen werden konnte, wurde ein ungleiches elterliches
Verhalten nicht per se ungerecht bewertet. Ein Ungleichgewicht
hinsichtlich elterlicher Zuneigung wurde im Vergleich zu einem
Ungleichgewicht im Bereich Kontrolle von Kindern und Studierenden
ungerechter bewertet. Des Weiteren konnten bestimmte
Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensweisen der Kinder mit
elterlicher Ungleichbehandlung in einen Zusammenhang gebracht
werden. Das elterliche Selbstkonzept, die berufliche Belastung der
Väter und das damit einhergehende Verhalten in der Familie, sowie
konservative und autoritäre Erziehungseinstellungen waren ebenfalls
entscheidende Faktoren für die Entstehung elterlicher
Ungleichbehandlung. Für benachteiligte Kinder sowie für bevorzugte
Kinder sowie auf die Geschwisterbeziehung ergaben sich eindeutige
negative Auswirkungen. Auswirkungen von elterlicher
Ungleichbehandlung auf die Geschwisterbeziehung wurden im mittleren
Kindesalter negativer beschrieben als im mittleren
Erwachsenenalter. Insgesamt konnten wesentliche Faktoren zu
Bedingungen und Folgen elterlicher Bevorzugung aufgeklärt werden,
die für einen bedürfnisorientierten und gleichberechtigten Umgang
mit mehreren Kindern einer Geschwisterreihe unabdingbar sind.

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