Gedicht zur Folge: Kein Krieg, oder: Auf dem Kipferl der Lust 

Gedicht zur Folge: Kein Krieg, oder: Auf dem Kipferl der Lust 

AMB Kolumne "Überall ist Wunderland"
14 Sekunden
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Beschreibung

vor 2 Jahren


Überall ist Wunderland, Folge 12


Mir reicht’s. Jetzt lasse ich die Glöckchen klingeln.
Kinder, Corona, Klimakrise – das kann doch nicht mein Leben
sein!
Ich starte umgehend das Weihnachts-Hardcoreprogramm:
Bienenwachskerzen, Oratorium und Zucker. Dominosteine,
Marzipankugeln, Vanillekipferl – ich bin zu Großem in der Lage.
Wenn nichts Süßes mehr geht: Riesengarnelen in Knoblauchsahne
küsst Brot von glücklichem Sauerteig.

Diese Trennkost halte ich mindestens eine Woche durch. Zum
Abschluss wird eine Rakete zum Mond geschossen, mit den drei
Königen drauf. Dann beginnt schon die Fastenzeit, radikaler
Entzug und täglich vier Runden um die Alster, herrlich! Ich
schätze am 24.12. bin ich schon beim Osterfest angekommen.
Narzissen, Eier, Spazieren mit Goethe. Pfingsten fällt dieses
Jahr auf Neujahr, endlich wird das mal gebührend befeuert, äh
gefeiert! Und dann habe ich auch schon Geburtstag und wünsche mir
einen liebevoll gebastelten Adventskalender von der ganzen
Familie. Und Weihnachten beginnt Ende Januar von vorn.

Ich feiere den Exzess. Alternative Ideen, wie man durch diese
Zeit kommt, habe ich ausprobiert, aber die maßvolle Mitte macht
für mich einfach keinen Sinn mehr.

Aktives Zuhören: Masochismus.
Autogenes Training: Innen sieht’s aus wie Draußen.
Achtsamkeit: „Süß“, knirschen die Wölfe und zerfetzen das
Lämmlein.

Und die Strategien der Mitmenschen? Manche rüsten auf und drohen
wutschnaubend in Richtung der Gegner – wo auch immer sie diese
vermuten. Viele wollen alles richtig machen und wühlen sich
verunsichert durch das wandelbare Regelwerk. Und nicht wenige
kämpfen intensiv ums Überleben. Wir haben keinen Krieg, aber es
klingt so.

Während ich das hier schreibe, stehe ich im Bücherregal. Der
Laptop ist eingeklemmt zwischen „Männerabend“ und „Unterleuten“.
Auf meinem Rücken schläft Kind 2 in der Trage – und
sollte ich es wagen eine andere Position als die Stehende
einzunehmen, ist es aus mit MeTime und diesem
Text.
Es geht mir gut. Ich liebe, und wie!
Mir fehlt eigentlich nur eines: Mehr Licht.

„Damit bin ich doch in guter Gesellschaft“, säusele ich
beruhigend und zünde zu Weihnachtsklängen die Tannenbaumkerzen
an. „Goethe ging es bis zuletzt genauso.“ Dann greife ich
verträumt in den Putzeimer mit Vanillekipferln. Schon fast leer,
morgen früh backe ich neue. Kind 2 rülpst zärtlich in meinen
Nacken. Alles wird gut.    


Ich wälze nicht schwere Probleme
und spreche nicht über die Zeit.
Ich weiß nicht, wohin ich dann käme,
ich weiß nur, ich käme nicht weit. 
Heinz Erhardt

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