Gedicht zur Folge: Rennt, oder: Friedhof der Küchentiere

Gedicht zur Folge: Rennt, oder: Friedhof der Küchentiere

AMB Kolumne "Überall ist Wunderland"
66 Sekunden
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Beschreibung

vor 3 Jahren

Überall ist Wunderland, Folge 11
 


Rennt! Oder: Friedhof der Küchentiere


 


Wir haben Motten. Sie kriechen wurmartig die Decke entlang,
versammeln sich zum Gelage in den Schränken, kopulieren auf
unseren Türrahmen und machen uns madig. Stimmt nicht, madig gilt
dem Kalauer, in Wahrheit machen sie uns völlig verrückt. Wir
springen hektisch hoch beim Essen, schlagen verzweifelt um uns
und brüllen Urlaute, wenn wir wieder eines der Tiere mit bloßen
Händen erschlagen haben. Mit Fortschreiten der Plage werden wir
aggressiver, die Klatscher bersten wie Schüsse durch die Luft und
manchmal erwische ich mich, wie ich ein totes Tier mit dem Fuß zu
Staub zermalme.
Die Motten wehren sich durch Masse. Sie werden größer und einfach
immer mehr. Sie verstecken ihre Eier in den Löchern und Ritzen
unserer jahrzehntealten Mietwohnungsküche und übernehmen durch
Megapopulation den Raum. Chapeau, könnte man sagen, aber so neu
ist das Prinzip nicht. Machen wir ja ähnlich. Was den Motten die
Altbauküche, ist dem Menschen die Erde.
Wir haben jetzt Feinde im Internet bestellt. Schlupfwespen. Die
sind winzig, hungrig und fungieren als Spürhunde der
Küchenschränke. Sie finden die Eier, nisten sich ein und die
Mottenbabys haben keine Chance auf Leben. Es scheint zu
funktionieren, wir können wieder in Ruhe essen und der Pfeifton
in meinem Ohr ist verstummt. Wenn die Schlupfwespen ihre Arbeit
gemacht haben, sind alle Motteneier weg und sie verhungern.
Einmal die Schränke durchwischen – und alle Spuren des Lebens und
Sterbens sind beseitigt.

Wer oder was ist eigentlich der natürliche Feind der menschlichen
Megapopulation?
Es gibt keine riesige Hand, die uns bei der Paarung erschlägt,
dass hätten wir mitbekommen. Auch unsere Eier werden nicht
systematisch befallen.
„Der größte Feind des Menschen ist der Mensch selbst“, sagt ein
Sprichwort. Wir sind so schlau, dass wir uns selbst schlupfwespen
können. Krankheiten raffen uns nieder, auch solche, die wir
selbst verschuldet haben. Aber mehr geht immer: unter anderem
indem wir äußerst effizient und rasend schnell unsere
Lebensgrundlage zerstören.
Wir brauchen wieder natürliche Feinde! 


Verstecken wir Skorpione in Schuhgeschäften, setzten Krokodile in
Kanäle, und holen Grizzlybären in unsere Grünanlagen. Was
Paintball für die Projektgruppe ist, sind Raubtiere für unser
Rudel. In kürzester Zeit werden wir ein super Team, saugen Gift
aus fremden Beinen, zerren Kinder aus tödlichen Klauen, und sind
allgemein viel zu beschäftigt, um dem Planeten endgültig den
Garaus zu machen.
Auch wenn die Idee erst einmal unkonventionell klingt: Medien
lieben Fressen und gefressen werden, die Politik wird
heilfroh sein, wenn sie die Windräder los ist und der Rest von
uns: rennt.

Zu anstrengend? Dann warten wir gemütlich auf die Hand, die uns
beim Liebesspiel erschlägt.
Alles wahrscheinlicher, als Tempo 130 auf der Autobahn.

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