Beschreibung

vor 3 Jahren

Fernreise





Karg und kalt ist dieses Zimmer. Nur Du in diesem Bett und ich
auf diesem immer härter werdenden Stuhl. Dann noch diese
unendlichen Schläuche, die von irgendwelchen Beuteln und
blinkenden sowie piependen Geräten ausgehend irgendwo in Deinem
Körper enden.


Nicht einmal ein Fenster ist in diesem Raum, in dem Du Deinen
letzten Atem aushauchen wirst. Nur eine Neonröhre, an der
bestimmt irgendwann mal weiß gewesenen Decke, spendet das
notwendige, wenn auch unsagbar kalte Licht, damit wir uns sehen
können.


Selbst jetzt, wo Du so schwach bist, dass Du nicht mal mehr
sprechen kannst,
lächelst Du mich, in den wenigen Sekunden, die Du noch wach bist,
an, während Deine müden Augen direkt auf mein Gesicht gerichtet
sind.


Diese Augen, deren Blick stets so unstetig und gehetzt war,
reisen jetzt bald zusammen mit Dir


ins Jenseits, ohne im Diesseits jemals wirklich angekommen zu
sein.


Zuhause war für Dich nie ankommen sondern immer rastlos unterwegs
zu sein. Dabei hast Du nie nach hinten geblickt und bist nie
heimgekehrt.


Alles was ich über das Land weiß aus dem Du geflohen bist, weiß
ich aus den Medien. Du hast nie von Deiner Heimat erzählt.


Worte waren auch nicht nötig, die unzähligen Narben Deines
Körpers sprachen für sich. Mehrere davon waren Schusswunden. Es
waren Waffen und Munition „Made in Germany“, die damals Deinen
Körper durchsiebt und fast tödlich verletzt haben.


Und doch endete Deine Flucht ausgerechnet in diesem Land und Du
hast mich, einen Deutschen, zum Mann genommen.


Du hast nie erzählt, wie schwer sie es Dir gemacht haben Dich
hier zu integrieren, in diesem Land, dessen Wohlstand auch darauf
basiert, dass seine Rüstungskonzerne boomen.


Und obwohl Dein Körper Bände davon sprechen konnte, welch
immensen Schaden dieser Boom anrichten kann, hat Dir dieser Staat
Dein dauerhaftes Bleiberecht lange verwehrt.


Letzten Endes war es unsere Eheschließung, die Deinen
fortwährenden Aufenthalt hier legitimiert hat.


Es gibt heute noch Leute, die mal mehr, mal weniger deutlich zum
Ausdruck bringen, dass Du hier nichts zu suchen hast und dahin
zurückkehren sollst, wo Du hergekommen bist.


Du bist geblieben. Hier bei mir.


Und so kommt es, dass wir jetzt in diesem kargen kalten Zimmer
beisammen sind.


Ich sehe seit Wochen dabei zu, wie Du immer weniger wirst und das
Leben aus Dir weicht. Mit jedem Deiner, immer schwächer werdenden
Atemzüge, kommst Du unausweichlich dem Ende des irdischen Daseins
näher.


Du hast so lange gekämpft. Warst so mutig und unendlich stark.
Doch jetzt schwinden Deine Kräfte und Du hast den imaginären
Koffer mit all den Erinnerungen Deines Lebens bereits für diese
letzte Reise gepackt.


Du wirst diese Welt verlassen, und somit auch mich.


Ich muss Dich loslassen und bleibe hier zurück. Ohne Dich.


Ich bin der, der lebt und weine.


Du bist die die stirbt und lächelt.


Ein Lächeln, ein letztes im Diesseits, ein Lächeln nur für mich.


Sterben gehört zum Leben dazu


Niemand weiß das besser als Du


Und während ich jetzt zum letzten mal den Blick Deiner Augen
sehen darf, bevor Du sie für immer schließt,


wünsche ich Dir nichts mehr, als dass Du im Jenseits Deinen Platz
an einem gedeckten Tisch findest, in der Mitte all der Menschen,
die Du in dieser Welt verloren hast und die Deine Geschichte
kennen.


Halt einen Platz für mich frei meine geliebte Frau. Damit ich
irgendwann wieder an Deiner Seite sein kann.


Schlockback

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