Praktiken der Aneignung von Vergangenheiten
Barbara Christophe und Hans-Ulrich Wagner beschäftigen sich im
Leibniz-Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit“ damit, wie
Menschen Bezüge zur Vergangenheit herstellen. Sie beobachten dazu
den Geschichtsunterricht in der Schule, aber auch Memes.
47 Minuten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Barbara Christophe und Hans-Ulrich Wagner beschäftigen sich im
Leibniz-Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit“ damit, wie
Menschen Bezüge zur Vergangenheit herstellen. Sie beobachten dazu
den Geschichtsunterricht in der Schule, aber auch Memes und
Social-Media-Projekte. „Praktiken der Aneignung von
Vergangenheiten“ – hinter dieser sperrigen Formulierung steckt ein
durchdachtes Konzept. Der Begriff der Aneignung lasse sich
besonders gut in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Vergangenheit
anwenden, sagt Dr. habil. Barbara Christophe vom Leibniz-Institut
für Bildungsmedien. „Er impliziert eine Begegnung zwischen dem
Eigenen und dem Fremden. Man nimmt etwas zunächst Fremdes und passt
es der eigenen Lebenswirklichkeit an. Dadurch verändert man nicht
nur das Fremde, sondern natürlich auch sich selbst.“ Genau dies
geschehe nämlich bei der Bezugnahme auf Vergangenheit. Ähnlich
einer Reise in ein fremdes Land muss der- oder diejenige, der/die
sich mit Vergangenheit auseinandersetzt, die jeweiligen
Werthorizonte der Menschen – hier: in der Vergangenheit –
verstehen. Der Blick auf die Vergangenheit richtet sich jedoch
immer von einem konkreten Standpunkt in der Gegenwart aus. Ein
spezieller Fokus entsteht. „Darum ist der Begriff ‚Aneignung‘ so
spannend“, sagt Barbara Christophe. „Man kann fragen: Welche
Aspekte der Vergangenheit eignet sich jemand an und warum? Worauf
werden bei der Auseinandersetzung mit Vergangenheit die Akzente
gelegt?“ Diesen Fragen ist Christophe in einer Feldstudie im
Geschichtsunterricht verschiedener Berliner Schulklassen
nachgegangen und konnte dort beobachten, dass die unterschiedlichen
Standpunkte, von denen aus die Schüler*innen auf beispielsweise den
Kalten Krieg blicken, von den Lehrkräften nicht immer mitgedacht
wird. „Was für eine Geschichtslehrerin selbstverständlich ist, muss
für einen fünfzehnjährigen Schüler noch lange nicht
selbstverständlich sein.“ Aneignung von Vergangenheiten in
Online-Kommunikation „Vergangenheit hat Konjunktur und wir
beobachten regelmäßig, wie Menschen sich auf sie beziehen“, sagt
Dr. Hans-Ulrich Wagner. Als Beispiel nennt er etwa den Umgang in
Sozialen Medien mit „Jana aus Kassel“, einer jungen Frau, die sich
auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen mit der
Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglich. Dieser historische
Vergleich wurde im Internet spielerisch aufgegriffen. Innerhalb
kürzester Zeit kursierten eine Vielzahl an Memes die „Jana aus
Kassel“ und ihre eigenwillige Bezugnahme auf eine historische
Person ironisch konterkarierten. Eine spezielle Form der
„Aneignung“ sieht Hans-Ulrich Wagner im vieldiskutierten,
öffentlich-rechtlichen Instagram-Projekt „Ich bin Sophie Scholl“.
„Hier sehen wir das Element der Immersion“. Die historische Person
Sophie Scholl wird mit moderner Technologie ausgestattet und
begleitet, ähnlich heutigen Influencer*innen, ihren Alltag in der
Nazi-Zeit.
Leibniz-Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit“ damit, wie
Menschen Bezüge zur Vergangenheit herstellen. Sie beobachten dazu
den Geschichtsunterricht in der Schule, aber auch Memes und
Social-Media-Projekte. „Praktiken der Aneignung von
Vergangenheiten“ – hinter dieser sperrigen Formulierung steckt ein
durchdachtes Konzept. Der Begriff der Aneignung lasse sich
besonders gut in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Vergangenheit
anwenden, sagt Dr. habil. Barbara Christophe vom Leibniz-Institut
für Bildungsmedien. „Er impliziert eine Begegnung zwischen dem
Eigenen und dem Fremden. Man nimmt etwas zunächst Fremdes und passt
es der eigenen Lebenswirklichkeit an. Dadurch verändert man nicht
nur das Fremde, sondern natürlich auch sich selbst.“ Genau dies
geschehe nämlich bei der Bezugnahme auf Vergangenheit. Ähnlich
einer Reise in ein fremdes Land muss der- oder diejenige, der/die
sich mit Vergangenheit auseinandersetzt, die jeweiligen
Werthorizonte der Menschen – hier: in der Vergangenheit –
verstehen. Der Blick auf die Vergangenheit richtet sich jedoch
immer von einem konkreten Standpunkt in der Gegenwart aus. Ein
spezieller Fokus entsteht. „Darum ist der Begriff ‚Aneignung‘ so
spannend“, sagt Barbara Christophe. „Man kann fragen: Welche
Aspekte der Vergangenheit eignet sich jemand an und warum? Worauf
werden bei der Auseinandersetzung mit Vergangenheit die Akzente
gelegt?“ Diesen Fragen ist Christophe in einer Feldstudie im
Geschichtsunterricht verschiedener Berliner Schulklassen
nachgegangen und konnte dort beobachten, dass die unterschiedlichen
Standpunkte, von denen aus die Schüler*innen auf beispielsweise den
Kalten Krieg blicken, von den Lehrkräften nicht immer mitgedacht
wird. „Was für eine Geschichtslehrerin selbstverständlich ist, muss
für einen fünfzehnjährigen Schüler noch lange nicht
selbstverständlich sein.“ Aneignung von Vergangenheiten in
Online-Kommunikation „Vergangenheit hat Konjunktur und wir
beobachten regelmäßig, wie Menschen sich auf sie beziehen“, sagt
Dr. Hans-Ulrich Wagner. Als Beispiel nennt er etwa den Umgang in
Sozialen Medien mit „Jana aus Kassel“, einer jungen Frau, die sich
auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen mit der
Widerstandskämpferin Sophie Scholl verglich. Dieser historische
Vergleich wurde im Internet spielerisch aufgegriffen. Innerhalb
kürzester Zeit kursierten eine Vielzahl an Memes die „Jana aus
Kassel“ und ihre eigenwillige Bezugnahme auf eine historische
Person ironisch konterkarierten. Eine spezielle Form der
„Aneignung“ sieht Hans-Ulrich Wagner im vieldiskutierten,
öffentlich-rechtlichen Instagram-Projekt „Ich bin Sophie Scholl“.
„Hier sehen wir das Element der Immersion“. Die historische Person
Sophie Scholl wird mit moderner Technologie ausgestattet und
begleitet, ähnlich heutigen Influencer*innen, ihren Alltag in der
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