Studio B Klassiker: Stephen King - The Outsider
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Beschreibung
vor 1 Jahr
Manchmal will der Zeitplan nicht wie wir, weshalb Irmgard Lumpini
heute statt einer neuen Rezension einen Klassiker aus dem Sommer
2018 präsentiert, der es mehr als wert ist, nochmal empfohlen zu
werden.
Es ist Sommer, die Verlagshäuser veröffentlichen was das Zeug
hält, die Feuilletons sind gefüllt mit Empfehlungen für die
Leserschar, mal nach Zielgruppen, mal nach potentiellem
Reiseziel, mal nach Genre geordnet oder gleich in Best-Of-Listen
aufgeführt.
Leicht überfordert ob des Überangebots und gefangen im
Optimierungswahn der Gesellschaft, der einen zwingen möchte,
seine Zeit sinnvoll zu nutzen, dann die Erleichterung: Stephen
King, in unserer Sendung schon oft gepriesen, hat ein neues Buch
veröffentlicht.
Halleluja! The Outsider, Ende Mai im Scribner Verlag
veröffentlicht. Auch die deutsche Übersetzung erscheint Ende
August noch rechtzeitig, um an den Wogen der Ostsee verschlungen
zu werden, und hat dankenswerterweise den englischen
Originaltitel behalten.
The Outsider, als übernatürlicher Thriller angepriesen, lässt
sich ohne Spoiler kaum rezensieren.
Deshalb sei hier das Fazit vorweggenommen: Leseempfehlung ohne
Einschränkung für alle, egal ob Fan oder Kennerin des
Großmeisters oder Novize. Bitte schalten Sie jetzt ab, in den
folgenden Minuten und auch unserer Diskussion der Werke wird sich
sicher die eine oder andere Enthüllung finden. Vielen Dank für
Euer Interesse. --- piep ---
Liebe Hörerinnen und Hörer, die ihr immer noch neugierig lauscht:
Stephen Kings letzte Veröffentlichung The Outsider ist ein prall
gefüllter Poproman. Eine unglaubliche Vielzahl von popkulturellen
Referenzen aus Literatur, Sport, Film, Fernsehen, Märchen und
aktuellen politischen Gesellschaftsdebatten näht Stephen King zu
einem Thriller zusammen, in dem es vordergründig um die
Aufklärung eines brutalen Sexualmordes, letztendlich aber um die
Macht des Bösen in all seinen Facetten und Ausprägungen bis hin
zum Übernatürlichen und um die Frage geht, ob Freundschaft,
Liebe, Solidarität, Vertrauen und Kooperation in unterschiedlich
großen Zusammenhängen von der Zweierbeziehung bis hin zu
Landkreisen über verschiedene Klassenschichten und Parteigrenzen
hinweg eine Chance haben, das Böse zu besiegen.
Die Antwort ist eindeutig: na klar, das wird schon. Wie sonst
will Stephen King Trost spenden in einer Zeit, in der die Räder
nur rückwärts zu fahren scheinen und sich in immer schnelleren
Schienen auf das dystopische Szenario des Films Idiocrazy
zubewegen, in der die Menschheit vergessen hat, dass Pflanzen nur
wachsen, wenn sie mit Wasser gegossen, nicht aber mit Limonade
besprüht werden.
Eher banal geht es los, eine Verbeugung vor Pulp: im Prolog
beobachten 2 Jungs in einem Park ein herannahendes Polizeiauto
und beschließen zu verduften, denn - und hier kommt der erste
Hinweis, dass Stephen King mit seinen 70 Jahren nicht nur aus
seinen Erinnerungen schöpft, sondern die Welt um sich herum noch
immer genau wahrnimmt - black lives matter.
In kurzen Verhörprotokollen, die selten länger als eine Seite
sind, schildert Stephen King dann die Rekonstruktion eines
unfassbar grausamen Verbrechens durch die Polizei, die dazu
führen, dass die Insassen des besagten Polizeiautos den
Baseball-Kinder- und Jugendtrainer Schrägstrich Englischlehrer
Terry Maitland, der gleichzeitig eines der beliebtesten
Mitglieder seiner Stadt ist, während des wichtigstens Spiels der
Saison vor den Augen seiner Familie und Freunde festnehmen.
Detective Ralph Anderson und seine Kollegen sind überzeugt, dass
er den elfjährigen Frank Peterson ermordet und missbraucht hat.
Dafür haben sie zahlreiche Zeugen, die die Wege des Mörders
aufgrund der Bekanntheit des Jugendtrainers und Lehrers
hundertprozentig sicher bezeugen können. Diese Story ist ohne
Zweifel eine große Verbeugung Stephen Kings vor der 3. Staffel
der Serie Veronika Mars, in der die Protagonistin den Little
League Trainer und Bürgermeisterkandidaten als Täter
identifizieren konnte.
Das trotz der eindeutigen Zeugenaussagen der Verhaftete, für
dessen Familie und Freunde eine Welt zusammenbricht und
Misstrauen unter den Stadtbewohnern wächst, nicht der Täter
gewesen sein kann, ist natürlich auch klar.
Stephen King schafft es trotzdem, den Punkt sehr weit nach hinten
zu verschieben, an dem selbst dem mittlerweile beurlaubten
Detective Anderson Zweifel kommen und er sich der Möglichkeit der
Existenz übernatürlicher Wesen öffnet, auch wenn da schon lange
klar ist, dass Terry Maitland ebenso zweifelsfrei an einer
Konferenz in einer anderen Stadt war. Ein größeres Ensemble von
handelnden Personen wird eingeführt, und dabei ist Stephen King
so von seinen literarischen Gestalten überzeugt, dass einige
wieder eingeführt werden, die schon in den jüngeren seiner Werke,
hier: der Mercedes-Trilogie, seziert wurden.
Stephen King schreibt nichts wirklich Neues und ist dabei
absolutely mindfucking: So besteht Terry Maitlands Alibi aus dem
Besuch einer Lesung des Schriftsteller Harlan Coben, während der
er auf Video aufgenommen wurde. Harlan Coben hat nicht nur viele
Preise gewonnen, sondern ist auch dadurch bekannt, dass er seine
Werke in einem Universum ansiedelt, indem Charaktere aus
unterschiedlichen Büchern immer wieder mal auftauchen. Robert
Ludlum wird erwähnt, in dessen Werken Einzelne gegen übermächtig
erscheinende Organisationen kämpfen. Bücher in Büchern, dazu die
teilweise wahnwitzigen Verweise auf klassische Literatur wie
Agatha Christie und folk tales, kleinere Horror Stories und
Fabeln in der großen. Auch Filme und Serienempfehlungen werden
von Stephen King in großer Zahl genannt, wer es noch nicht
gesehen hat, The Good Fight ist wirklich stark. Dabei ist es für
den Genuss der Lektüre aber nicht entscheidend, ob man mit den
zahlreichen Verweisen, von denen ich einige natürlich selbst
gegoogelt und mit Sicherheit andere übersehen habe, etwas
anfangen kann.
Eines der besten Kapitel schildert die Anreise von Polizei,
Staatsanwaltschaft und mutmaßlichem Mörders vor dem Hintergrund
von demonstrierenden Einwohnern und der verzweifelten Familie des
Angeklagten. Hier schreibt Stephen King so detailversessen, dass
wenige Minuten tatsächlicher Handlung sich ausdehnen wie die
berühmte Treppenszene in Panzerkreuzer Potemkin, bis schließlich
die nächste Katastrophe eintritt.
Während des gespannten Lesens das parallele Suchen nach möglichen
Lösungen in den Untiefen des eigenen Gehirns, die oft genug
eintreten, dann aber überraschenderweise doch nicht oder ganz
anders. Ein klassischer Stephen King, der aber im Gegensatz zu
anderen Schriftstellern seiner Generation aktuelle Debatten
antizipiert und mit seiner Haltung zur Welt nicht hinter dem Berg
hält: Frauen, die Männer überzeugen, die Welt zu retten und es am
Ende selbst tun. Dialoge, die er schreibt, und deren Sexismus er
dann gleich benennt, wenn zum Beispiel Detective Anderson seine
Frau um Hilfe bittet, weil - Zitat “Frauen aufmerksamer sein
können” - Zitatende und diese das sofort als “zweifelhaft, wenn
nicht sogar sexistisch” einschätzt. Durch die metoo Bewegung
verängstigte Männer dürfen trotzdem beruhigt sein. The Outsider
von Stephen King ist keinesfalls schulmeisterlich, die hier
zitierte Stelle ist das einzige Mal, wo er so deutlich wird. Für
alle vom Patriarchat angepissten ist es schön ein Buch zu lesen,
indem sich die Protagonisten überwiegend mit dem Respekt
begegnen, der ihnen gebührt.
Und weil Stephen King um das Grauen der Welt weiß und auch, dass
wir Trost brauchen, schreibt er uns ein schönes Ende, mit Zitat
“mit dem richtigen Pathos, ohne dabei zu schlampig zu werden.”
Zitatende. Ja, so ist das. Halleluja.
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