R. F. Kuang: Babel: Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators' Revolution

R. F. Kuang: Babel: Or the Necessity of Violence: An Arcane History of the Oxford Translators' Revolution

7 Minuten
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Beschreibung

vor 1 Jahr

Liebe Leserinnen und Leser,


vor knapp 2 Wochen ist der im letzten Jahr im englischen Original
erschienene Roman von Rebecca F. Kuang mit vielen
Vorschusslorbeeren nun auf deutsch erschienen. Flankiert von
einer riesigen Marketingkampagne des Eichborn Verlags, mit der
comichaften Darstellung der 4 Hauptcharaktere, die die Jüngeren
abholen soll und dem Lob Denis Schecks, der das Buch als "Das
Aufregendste im Fantasy Genre seit Harry Potter" bezeichnet.


Nun habe ich die Aufregung um Harry Potter nicht nachvollziehen
können (schon heute kann man den Streit in der Diskussion mit dem
Rest des Studio B Kollektivs erahnen), aber der für mich also
hinkende Vergleich ist Wurst, denn: Lest das Werk, es ist
überraschend, voller Dramatik, Magie und Spannung.


Viele Dinge sind dem Deutschen suspekt, angefangen von ihm
unbekannten Gewürzen und Speisen bis hin zu eigentlich allem, was
er nicht kennt. Vielleicht ist dies der Grund, warum der
Untertitel des heute vorgestellten Werkes - "Or the Necessity of
Violence: An Arcane History of the Oxford Translators'
Revolution" - es nicht auf den Buchdeckel der deutschen Ausgabe
geschafft hat. Ansonsten ist die deutsche Übersetzung aber sehr
gut, und das Buch ja sowieso, weshalb ich es gleich 3x gelesen
habe. Im Original nach dem Erscheinen, dann jetzt nochmal (weil
mein Gedächtnis auch nicht mehr ist, was es noch nie war) und
interessehalber noch die 2. Hälfte des Werkes auf deutsch.


An den Untertitel hat sich aber auch die spanische Ausgabe nicht
rangetraut, sondern eher verschämt "una historia arcana" unter
"Babel" gesetzt.


Gut, Babel also, trotz der sehr knappen Beschreibung in der
Bibel, doch eine der bekanntesten Stories des Alten Testaments:
ein Volk schickte sich an, einen Turm bis in den Himmel zu bauen.
Gott fand das nicht dufte (sprich, hatte Angst um seine Macht,
denn danach wäre nichts dem Menschen unerreichbar) und schickte
eine Sprachverwirrung, aufgrund derer der Turmbau wegen
Verständnisschwierigkeiten zum Erliegen kam und verstreute die
Menschen auf der ganzen Welt.


In der alternativen Welt, die uns Rebecca F. Kuang zaubert,
existiert der Turm, Babel genannt, und zwar inmitten von Oxford.
Er ist das höchste und mächtigste Gebäude, denn in ihm werden
Silberbarren mit Aufschriften versehen. Dabei handelt es sich um
Wortpaare aus unterschiedlichen Sprachen, die sich ähneln, aber
durch die Bedeutungsänderung, die jede Übersetzung mit sich
bringt, bestimmte Effekte hervorrufen können: Kutschen werden
schneller, Lichter strahlen heller, Maschinen funktionieren
besser und: Kugeln und Pistolen aus Kanonen treffen genauer. All
dies bringt dem British Empire, dessen Königin Victoria heißt
(auch sonst ist die alternative Welt “Babels” wenig von ihrem
historischen Original Englands im Jahre 1830 entfernt) enorme
Vorteile, nämlich die Sicherung ihres Territoriums und ihrer
gewaltvollen Herrschaft. Gebraucht wird dafür - richtig - Silber.


Und Übersetzer: Eines der Probleme mit den Wortpaaren auf den
Silberbarren besteht darin, dass sie weniger wirken, je bekannter
die beiden Worte sind, sprich: in dem sich die englische Sprache
durch die Unterwerfung der Welt ausbreitet, desto weniger potent
ist sie. Deshalb werden Menschen gesucht, deren Muttersprache
eine in der westlichen Welt wenig bekannte ist, und die sich
gleichzeitig in Sprachen wie Latein und Altgriechisch zu Hause
fühlen. Weil der Spracherwerb für Kinder einfacher ist, werden
diese (sofern sie als geeignete Kandidaten befundet werden)
geraubt und ausgebildet, um später in Babel zu arbeiten. Und hier
beginnt das Dilemma: aus ärmlichen Verhältnissen zu großer Macht
gelangt: ist es besser dankbar zu sein, am Tisch der Macht zu
sitzen, “es geschafft zu haben”? Oder fordert die Erkenntnis,
Teil eines zerstörerischen Systems zu sein,
Widerstandshandlungen, Sabotage oder gar Revolution?


Douglas Adams hat einmal eine Reihe von Regeln aufgestellt, wie
man - je nach Altersgruppe - auf neue Technologien reagiert.
“Alles, was in der Welt ist, wenn man geboren wird, ist normal
und gewöhnlich und ein natürlicher Teil der Welt. Alles was
erfunden wird, wenn man zwischen 15 und 35 ist, ist neu,
aufregend und revolutionär und wahrscheinlich kann man eine
Karriere damit starten. Alles was erfunden wird, nachdem man 35
ist, ist gegen den natürlichen Lauf der Dinge.” Ich glaube, dass
dieses Bonmot auch für Wissen, Überzeugungen und die Akzeptanz
neuer Forschungserkenntnisse gilt. Für die Älteren werden Welten
in Frage gestellt, zu Kindheitsüberzeugungen konträre Ansichten
sollten auf einmal wahr sein, das ist sicherlich hart. Für die
Jüngeren wird es selbstverständlich sein, Kolonialismus und die
Folgen, ob lokal oder global, mitzudenken.


Und so ist “Babel” ein Werk für jüngere Leserinnen und alte
Hasen, die offen sind.


“Babel” kann dazu beitragen, Erkenntnisse über die Auswirkungen
von Kolonialismus und dessen Brutalität zu etablieren. Auch das
implizite Einverständnis, wenn man auf der Sonnenseite steht und
die intergenerationellen Auswirkungen systematischer Rassismus-
und Patriarchatserfahrungen werden verständlich. Für die älteren
Leser hält “Babel” Überraschungen bereit. In einer Vielzahl von
Fußnoten, aber auch direkt in der fantastischen Welt warten
Erkenntnisse und ein besseres Verstehen unserer Welt.


Dabei ist die Alternativgeschichte, die Rebecca F. Kuang
erschaffen hat, nicht so weit von der uns bekannten Historie
entfernt. Mag es keine Silberwerker geben, die mithilfe von
Übersetzungen Dinge und Handlungen erfolgreicher gestalten
können, so ist doch die Macht und Magie der Worte auch in unserer
Welt präsent und präsentiert den Zusammenhang zwischen Sprache
und Macht: Wie sprechen die, die über andere herrschen? Was für
Folgen hat diese Sprache? Konkrete Beispiele bedarf es hier
vielleicht nicht, ich gehe davon aus, dass die Verschiebung des
Diskurses nach rechts, was wann wo und wie gesagt werden kann, in
den letzten Jahren offensichtlich geworden ist. Gleichzeitig ist
es einfacher geworden, sich Gehör zu verschaffen bzw. Mittel und
Wege zu finden, seine Überzeugungen zu präsentieren, wenn man
nicht nur den Weg über die etablierten Wege der Papierzeitungen
oder Fernsehsender kennt.


Ist Gewalt notwendig, um eine Revolution herbeizuführen? Lest
“Babel”, ihr werdet es herausfinden.


Und so kam diese Rezension aus, ohne auch nur die 4
Hauptheld*innen des Werkes - Robin, Ramy, Victoire und Letty -
überhaupt eingeführt zu haben, denn: Gönnt euch das Werk!


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