Durian Sukegawa - Die Katzen von Shinjuku
7 Minuten
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Beschreibung
vor 1 Jahr
Durian Sukegawa, der in Japan nicht nur Romane und Gedichte
schreibt, sondern auch als Schauspieler, Punkmusiker und Fernseh-
sowie Radiomoderator bekannt ist, gelang mit Kirschblüten und
rote Bohnen in seiner Heimat ein Bestseller, welcher von Naomi
Kawase für die Filmfestspiele in Cannes verfilmt wurde. Zufällig
stieß ich auf sein jüngstes Werk Die Katzen von Shinjuku, welches
2021 im Dumont Verlag auf deutsch veröffentlicht wurde und
entschied mich kurzerhand mein Rezensionsjahr so fortzusetzen,
wie ich es begonnen habe und mich erneut der Besprechung
japanischer Literatur zu widmen.
Mitte der 1980er Jahre begann in Japan die so genannte Bubble
Economy, eine Volkswirtschaft bei der am Aktien- und
Immobilienmarkt spekuliert wurde und die kurzfristig von der
Spekulationsblase profitierte, nach Platzen selbiger aber zu
wirtschaftlichen Rückschlägen führte. Genau in dieser Zeit
siedelt Durian Sukegawa seine Geschichte im tokioter Stadtviertel
Shinjuku an, das unter anderem für seine unzähligen Bars und
Kneipen bekannt ist, zu denen man am Abend durch ein Meer von
Lichtern und Menschen gelangen kann.
Einer seiner Protagonisten ist Yama, der 27-jährige Ich-Erzähler
und ein Mann, dessen eigentlicher Traum es ist, kreativ zu
arbeiten, Drehbücher zu schreiben und bei Film- und
Fernsehproduktionen unterzukommen. Als es schließlich jedoch um
Bewerbungen bei Fernsehen und Verlagen geht, muss er schockiert
feststellen, dass diese vor allem eins eint, nämlich der Satz:
„Farbfehlsichtige sind vom Eignungstest ausgeschlossen“, was für
Yama als Farbenblinden einer Katastrophe gleich kommt. Er selbst
hatte die Sache folgendermaßen eingeschätzt: „Tatsächlich hieß
es, dass jede fünfhundertste Japanerin und jeder zwanzigste
Japaner eine solche Farbschwäche hätten. Deshalb hatte ich die
Sache unterschätzt. Da Farbschwäche bei uns Jungen so häufig
vorkam, hielt ich diese Beeinträchtigung für harmlos.“ (S. 23)
Nachdem er sich eine Weile mit Aushilfsjobs über Wasser hält,
findet er zwar einen Mentor – einen viel beschäftigten Autor für
Fernsehshows – der ihm eine Chance gibt, doch ist die Arbeit für
ihn mehr als unbefriedigend, da sie vor allem aus Laufburschen
Tätigkeiten oder dem Erarbeiten von Unmengen an Quizfragen für
eine TV Sendung besteht. Gleichzeitig hat sein Mentor Nagasawa
ein Aggressionsproblem und wird Yama gegenüber nicht nur verbal
ausfällig, sondern schlägt ihn auch.
Eine weitere Protagonistin ist Yume, eine junge Frau Anfang 20,
die als zurückhaltend und eher wortkarg beschrieben wird und in
Shinjuku in einer kleinen Bar namens Karinka als Kellnerin und
Köchin arbeitet. In dieser winzigen und schlauchförmigen Bar
treffen Yama und Yume auch das erste Mal aufeinander. Doch was
Yama zunächst viel mehr an der Bar interessiert, sind nicht nur
die
unterschiedlichsten Menschen und schrägen Vögel, die sie
aufsuchen, sondern ein Spiel, welches bei den Gästen sehr beliebt
ist. Es nennt sich Miau Jongg. An einem in die Rückwand der Küche
eingelassenen Fenster, welches auf die Betonumfriedung und die
Rückwand des Nachbargebäudes zeigt, lassen sich regelmäßig die
unterschiedlichsten Katzen blicken. Zu erraten, welche als
nächstes erscheinen wird, ist der Sinn des Spiels und weckt bei
den Gästen helle Begeisterung. Um die Katzen, die
selbstverständlich alle Namen tragen, zu unterscheiden, hängt ein
von Yume eigens gezeichneter Katzenplan am Kühlschrank, der vor
allem für Yama besonders faszinierend ist und der gleich bemerkt,
dass es mit den Katzen noch mehr auf sich haben muss.
Soweit zum Setting, in dem Yama und Yume leben und sich kennen
lernen. Beide sind letztlich Außenseiter, aber während wir über
Yumes Lebensumstände lange Zeit wenig erfahren, wird bei Yama
schnell klar – so beschreibt er es letztlich auch selbst – dass
er kein Gewinner des Wirtschaftsbooms ist. Aber Sukegawas Kritik
reicht über diesen Punkt hinaus, sondern verdeutlicht uns ja
bereits am Anfang des Romans, dass Yama aufgrund seiner
Rot-Grün-Blindheit in vielen Bereichen diskriminiert wird, was
schließlich für ihn zur Folge hat, dass er sich widrigstens
Arbeitsbedienungen beugen muss, bis hin zu einem tyrannischen
Chef, um sich doch noch in dem Bereich zu etablieren, der seinen
beruflichen Wünschen entspricht. Was er wirklich denkt, hält er
dabei seinem Chef gegenüber lange zurück und verhält sich so, wie
es von ihm erwartet wird – dankbar und unterwürfig.
Durch das Karinka erfährt Yamas trostlose Geschichte jedoch
schließlich eine Wendung. Zum Einen beginnt sich ganz langsam
eine Beziehung zwischen Yume und Yama zu entwickeln, in Folge
derer sie ihm auch zeigt, dass die Katzen in einem geschlossenen
und baufälligen Love Hotel ihren Unterschlupf haben, in dem es
auch zu einer Annäherung zwischen den beiden kommt. Zum Anderen
motiviert sie ihn, sich nicht alles gefallen zu lassen und Kunst
nicht mehr als Massenware zu begreifen, sondern als etwas, das
für den Einzelnen gemacht wird. Tragischerweise endet die fragile
Liebesbeziehung zwischen Yama und Yume bevor sie richtig beginnt,
wodurch uns Durian Sukegawa aber einen Blick in Yumes
Vergangenheit gewährt, die leider auch durch sexuelle Gewalt
geprägt ist. Als sie sich beispielsweise bei einem
Vergewaltigungsversuch gegen ihren Peiniger zur Wehr setzt, wird
sie von diesem wegen Körperverletzung angezeigt. Sukegawa
thematisiert an dieser Stelle das lange gültige, aber veraltete
und restriktive Sexualstrafrecht, welches erst 2017 reformiert
wurde und damit die Strafverfolgung erleichtert. Dennoch
beeinflusst Yumes Vergangenheit ihr Handeln in der Gegenwart, was
auch den Fortgang der Geschichte maßgeblich bestimmt.
Die Katzen von Shinjuku sind letztlich eine Metapher für die
Menschen, über die Sukegawa in seinem Roman schreibt. Es sind
nicht nur Yume und Yama, die sich vorsichtig beschnuppern, es
sind auch all die anderen Gäste im Karinka, die vorbei streunen,
wenn es ihnen passt und die Menschen in Shinjuku überhaupt, die
kommen und gehen und wo man nie weiß, wer wo auftauchen wird. Die
Bar fungiert dabei als Sammelbecken für die unterschiedlichsten
und auch skurrilsten Persönlichkeiten, die hier ihre
Daseinsberechtigung haben.
Letztlich lässt Sukegawa seine Protagonisten aber ein tröstliches
Ende finden, was neben all der von ihm aufgeworfenen Kritik nicht
selbstverständlich ist und die Hoffnung in sich birgt, dass
widrige Umstände überwunden werden können.
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