Studio B Klassiker: Helmut Böttiger - Wir sagen uns Dunkles

Studio B Klassiker: Helmut Böttiger - Wir sagen uns Dunkles

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Beschreibung

vor 2 Jahren

Kürzlich erschien der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und
Max Frisch, einem der berühmtesten Liebespaare der
deutschsprachigen Literatur, als gebundene Ausgabe. Schon vor
einigen Jahren besprach ich Helmut Böttigers Werk “Wir sagen uns
Dunkles” in dem es um die, möglicherweise etwas weniger bekannte,
Beziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan geht. Eine
gute Gelegenheit sich auch diesem Werk wieder einmal zu widmen
und defintiv eine Empfehlung für den Gabentisch.


Schon seit vielen Jahren lese ich Gedichte. Mein Interesse gilt
dabei jedoch, offen gestanden, weniger der modernen Lyrik und
Neuerscheinungen, als vielmehr Dichterinnen und Dichtern, die vor
Jahrzehnten, wenn nicht sogar Jahrhunderten, geschrieben haben.
Mich fasziniert ihre Sprache und die Geschichten, die sie uns mit
ihrer Lyrik erzählen, ebenso wie deren persönliche
Lebensgeschichte. Und dass diese Faszination auch auf andere
übergreift, sehen wir dann unter anderem an
Buchveröffentlichungen, die sich auf neue Art und Weise
versuchen, den bereits Verstorbenen und ihrem Leben zu nähern.
Ein Beispiel hierfür ist das bereits vor einiger Zeit von mir
besprochene Werk Konzert ohne Dichter von Klaus Modick, welches
sich einerseits um den Maler Heinrich Vogeler, andererseits aber
auch um seinen Freund und Dichter Rainer Maria Rilke dreht und
ihn in ein, für mich, neues Licht rückt. Aber die Lyrik Rilkes
ist nicht nur heute noch beinahe zeitlos schön, sondern
inspirierte auch andere zum Schreiben. Einer dieser Dichter, der
zumindest in seiner frühen Phase von seiner Verehrung für Rilke
zehrte, war der Rumäne Paul Celan. Vielen, so auch mir, als
Dichter der Todesfuge und bedeutender Nachkriegslyriker bekannt,
kaufte ich mir vor einigen Monaten ein vom Insel Taschenbuch
verlegtes schmales Büchlein mit Liebesgedichten Celans, um seine
Lyrik besser kennenzulernen. Dieser schmale Gedichtband
beinhaltet unter anderem das Gedicht Corona, dessen Text
namensgebend für das wiederum von Helmut Böttiger 2017 von der
Deutschen Verlags-Anstalt veröffentlichte Werk Wir sagen uns
Dunkles ist.


In Böttigers Werk geht es konkret um die Liebesgeschichte und die
Verwobenheit der Leben Ingeborg Bachmanns und Paul Celans. Die
Geschichte bzw. den Mythos um die beiden Hauptpersonen bringt
Böttiger direkt zu Beginn seines Buches, ohne lange Umschweife
auf den Punkt. Sie, 22 jährig und aus Klagenfurt in Österreich
stammend. Er, 27 jährig und gebürtig aus Czernowitz, Rumänien.
Als sie sich 1948 in Wien treffen, sind beide der literarischen
Öffentlichkeit noch unbekannt und ihre gemeinsame Zeit dauert
gerade einmal sechs Wochen. Böttiger fügt hinzu, dass über diese
Zeit, aufgrund der Tatsache, dass die beiden literarisch noch
unbedeutend waren, nichts bekannt ist. Man könnte sich nun die
Frage stellen, wie er ein Buch über deren Liebesgeschichte
schreiben will, wo er uns doch bereits auf der zweiten Seite
deutlich macht, dass deren wichtigsten bzw. grundlegenden sechs
gemeinsamen Wochen im Dunkeln liegen.


Doch es ist das Besondere an diesem Buch, dass es ihm gelingt.
Und zwar zum einen anhand diverser Briefwechsel zwischen Bachmann
und Celan, die erst später einsetzen, aber durchaus einen Teil
des Erlebten anklingen lassen und zum anderen natürlich
Korrespondenzen, die die beiden mit Freunden, Verlegern und
anderen, ihnen nahestehenden Personen führten. Und es gibt noch
eine zweite Komponente, die er nutzt und die diese Art Literatur
so spannend für mich macht. Es ist die Sprache. Sehr genau
untersucht und analysiert er die Formulierungen in ihren
Gedichten. In Gegenüberstellungen zeigt er, wie sie aufeinander
Bezug nehmen, Motive des jeweils anderen aufgreifen, verändern,
variieren und zu einem neuen Schluss bringen, oder ihnen eine
neue Bedeutung geben. Wie lange würde ich selbst brauchen, um nur
ansatzweise jemals zu den Erkenntnissen zu kommen, die Helmut
Böttiger uns hier so deutlich und beinahe offensichtlich
präsentiert? Vermutlich nie. Wie viel würde mir von der
Tiefsinnigkeit ihrer Gedichte, ohne das Wissen um den anderen,
vielleicht sogar verborgen bleiben? Natürlich würde es meine
Begeisterung für deren Gedichte nicht schmälern, aber so wird
diese Begeisterung sogar noch gesteigert, weil Helmut Böttiger
mir auf circa 260 Seiten die Möglichkeit bietet, deren Wirken
noch tiefer zu durchdringen.


In Wir sagen uns Dunkles beschreibt Böttiger die Liebesgeschichte
Bachmanns und Celans von ihrem Kennenlernen im Mai 1948 bis zu
deren Tod. Immer geht es dabei aber auch um deren individuelle
Entwicklung. Beispielsweise um die Gruppe 47, die beide zur
selben Zeit das erste Mal besuchten, über Erfolge und Misserfolge
und damit verbundenem Neid und Solidarität, über Liebschaften und
Ehe, aber auch Heimatlosigkeit und Verlust wie Celan sie in einer
Weise erfuhr, die ihn für den Rest seines Lebens und auch in
seiner Dichtung stark prägen sollte.


Ich kann Helmut Böttigers Wir sagen uns Dunkles nur
uneingeschränkt weiterempfehlen. Ähnlich wie das von mir bereits
am Anfang angesprochene Buch Klaus Modicks, verbindet es Elemente
von Autorschaft, Privatleben und Dichtung und gibt dem Leser die
Möglichkeit, durch seine intensive Recherche, neue Zusammenhänge
zu erfahren und ein besseres Verständnis für die Protagonisten
und deren Werke zu entwickeln.


In dem von mir angesprochenen Gedichtband über Celan fand ich ein
Gedicht, welches mich schon beim ersten Lesen faszinierte und
nach Wir sagen uns Dunkles noch eine neue Nuance an Bedeutung
bekommt. Mit diesem Gedicht, mit dem Titel Aubade was im
Gegensatz zur Serenade steht und so viel wie Tageslied bedeutet,
möchte ich meine Rezension schließen.


Aubade


Im Dunkel nur bekenn ich mich zu dir.


In deinen Hörnern aber häuft sich Helle.


Die Morgenröte wittern wie ein Tier


dein Aug und meines vor der Tränenschwelle.


Du überspringst die Stunde, die jetzt schlug.


Wir knieen nun und können weinen . . .


Von Kummer ist schon übervoll mein Krug –


Und deine Tränen fließen auch in meinen . . .


Du nennst, ein Finstrer in den Rosenbränden,


das Dunkel Drüben und die Helle Hier . . .


Bis dir mein Herz verflackert in den Händen.


Im Dunkel nur bekenn ich mich zu dir.


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