Claire Keegan - Kleine Dinge wie diese
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Die irische Autorin Claire Keegan, die vor allem durch ihre
Kurzgeschichten Bekanntheit erlangte und dafür vielfach
ausgezeichnet wurde, veröffentlichte 2021 ihren ersten Roman
Small things like these. Dieser erschien 2022 im Steidl Verlag
unter dem Titel Kleine Dinge wie diese auch auf deutsch und
erreichte im selben Jahr die Shortlist des Booker Prize. Im
Mittelpunkt ihrer fiktiven Geschichte steht dabei nicht nur ihr
Protagonist Bill Furlong, sondern auch die historische Realität
der Magdalenenheime oder Magdalenen Wäschereien wie sie oft
genannt wurden, da die Heime oder Klöster meist Wäschereien
betrieben. Bis 1996, als schließlich das letzte dieser Heime in
Irland geschlossen wurde, standen sie im Ruf von
Besserungsanstalten, vor allem für Prostituierte oder auch ledige
Mütter – oft Opfer von Vergewaltigungen. Wie später bekannt
wurde, wurden die Frauen jedoch meist zu harter körperlicher
Arbeit gezwungen, körperlich gezüchtigt und in den Heimen
geborene Babys wurden oft zur Adoption an reiche Familien
freigegeben, wenn sie nicht in den Heimen starben. Genaue Zahlen
sind nicht bekannt. Fakt ist jedoch, dass diese Einrichtungen von
der katholischen Kirche und dem irischen Staat gemeinsam
betrieben und finanziert wurden und das lange darüber geschwiegen
wurde, was in solchen Einrichtungen tatsächlich stattfand.
Keegans Protagonist Bill Furlong, dessen Mutter als
Hausangestellte bei der protestantischen Witwe Mrs. Wilson
arbeitet, als sie mit ihm schwanger wird, ergeht es jedoch anders
und sie hat Glück. Während sich die Familie von Furlongs Mutter,
nach Bekanntwerden ihrer Schwangerschaft, von ihr abwendet, lässt
Mrs. Wilson sie weiter bei sich arbeiten. Sie ist es auch, die
sie ins Krankenhaus bringen lässt und sie und Furlong nach dessen
Geburt am 01. April 1946 zu sich nach Hause holt. Sie nimmt ihn
unter ihre Fittiche, stärkt sein Selbstbewusstsein und motiviert
ihn, sich selbstständig Wissen anzueignen. Als er 12 Jahre als
ist, stirbt seine Mutter, ohne dass er jemals erfährt, wer sein
Vater ist und als er sich Jahre später verlobt, schenkt Mrs.
Wilson ihm Geld, damit er sich eine Existenz aufbauen kann.
Der Hauptteil der Handlung spielt aber um 1985, als Bill Furlong
schließlich erfolgreich als Kohlen- und Brennstoffhändler
arbeitet und mit seiner Frau Eileen fünf Töchter hat. Es ist die
Zeit kurz vor Weihnachten und Claire Keegan schafft es mühelos,
den Leser in die Atmosphäre des Städtchens New Ross zu entführen,
die durch die rauchenden Schornsteine, kahlen Bäume und kalten
Winde und den Fluss Barrow, der „dunkel [ist] wie Stout“,
besticht. Als Furlong kurz vor Weihnachten eine Fuhre Kohlen zum
Kloster liefern muss, entdeckt er dabei zufällig eine junge Frau,
die, vermutlich schon seit mehreren Tagen, in einen Schuppen
gesperrt wurde. Er befreit sie und bringt sie an die Pforte, wo
er und die völlig verängstigte junge Frau von der Oberin selbst
eingelassen werden, die den Vorfall jedoch herunterspielt und das
Geschehene banalisiert. Furlong ist so schockiert von dem
Erlebten, dass sich in ihm nicht nur Entsetzen, sondern ein
regelrechter Widerwille regen, den er nicht mehr abschütteln
kann, nachdem er das Kloster verlassen hat und der den Fortgang
der Geschichte bestimmen wird.
Etwas mehr als 100 Seiten genügen Claire Keegan, um dem Leser
eine ganze Welt zu eröffnen, die, nicht zuletzt, auch von ihren
Naturbeschreibungen getragen wird. Dabei dient die Natur nicht
nur dazu, die herrschende Stimmung zu untermauern. bzw zu tragen,
sondern kann geradezu als Metapher für Unheil und die
unterschwellige Bedrohung gelesen werden. Ein Beispiel hierfür
ist die beschriebene Vielzahl an Krähen, die nicht nur in
„schwarzen Schwärmen“ die Stadt belagern, wie man es noch nie
gesehen hat und Aas fressen, sondern auch ihren Schlafplatz in
den Bäumen rund um das Kloster haben. Wodurch das Kloster noch
bedrohlicher erscheint und das zu Recht, wie wir wissen. Auch den
Bewohnern von New Ross sind bereits Gerüchte über das Kloster und
die Nonnen zu Ohren gekommen. Sie werden jedoch ignoriert bzw.
halten die Menschen es für besser, sich nicht um fremde
Angelegenheiten zu kümmern. So hält es auch Furlongs Frau Eileen,
die bemerkt, dass ihren Mann das Vorgehen im Kloster beschäftigt,
ihm jedoch dazu rät, sich um seine eigene Familie zu kümmern.
Doch Keegan schafft mit Furlong einen Protagonisten, dem dies
nicht möglich ist. Er steht als Prototyp für viele Iren, die zu
lange die Vorgänge um sich herum ignoriert oder geduldet haben
und verkörpert gleichzeitig das Ideal eines Menschen, der sich
nun dagegen auflehnt. Er wird uns als dankbarer Mensch
beschrieben, für den es selbstverständlich ist, Anderen zu helfen
und denjenigen, denen es schlechter geht als ihm, seine letzten
Münzen zu steckt. Dies hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, wie
er selbst aufgewachsen ist, damit, dass vielleicht auch seine
Mutter und somit er selbst nur knapp dem Schicksal in einer
solchen Wäscherei entgangen sind und, dass Mrs. Wilson ihn
geradezu wie ihr eigenes Kind behandelt hat, ohne etwas darauf zu
geben, was Andere darüber denken. Er ist demütig für das, was er
in seinem Leben erreicht hat, sorgt sich aber auch um seine fünf
Töchter und ob sie in der Welt zurechtkommen werden. Seine
Familie und die damit einhergehende Verantwortung bringt ihm auch
das Unverständnis seiner Frau ein, denn sie und auch Bill wissen
um die Macht der katholischen Kirche und wie fragil ihr
bisheriges Leben ist, möchte er doch selbst seine Töchter auf dem
katholischen Internat anmelden: „Furlong wusste, dass es das
Einfachste von der ganzen Welt war, alles zu verlieren.“ (S.12)
Und doch siegt in ihm das Verlangen, dem Leid, von dem er vorher
nur gerüchteweise gehört hat und das er nun mit eigenen Augen
gesehen hat, nicht länger tatenlos gegenüberzustehen. Zudem löst
es ein Unbehagen gegenüber seinen Mitmenschen in ihm aus, die
sich fromm geben, aber nicht entsprechend handeln:
„Während sie weitergingen und immer mehr Menschen begegneten, die
Furlong kannte und doch nicht wirklich kannte, fragte er sich, ob
es überhaupt einen Sinn hatte, am Leben zu sein, wenn man
einander nicht half. War es möglich, all die Jahre, die
Jahrzehnte, ein ganzes Leben lang weiterzumachen, ohne wenigstens
einmal den Mut aufzubringen, gegen die Gegebenheiten anzugehen,
und sich dennoch Christ zu nennen und sich im Spiegel
anzuschauen?“ (S.78)
Claire Keegan führt uns durch ihren Protagonisten auf
beeindruckende Weise vor Augen, wie Gesellschaften funktionieren
und wie es möglich sein konnte, dass es in der Geschichte Irlands
zu einem solchen Skandal kommen konnte. Es ist die Mischung aus
Verdrängung, Verschweigen, Abhängigkeit und Angst, für die Keegan
keine 700 Worte braucht – denn es sind die kleinen Dinge – und
doch so eindringlich, knapp und deutlich formuliert, dass man –
oder zumindest ich – sofort die inneren Konflikte ihres
Protagonisten nachfühlen konnte und deren Werk noch eine Weile in
mir nachhallen wird, weswegen ich es nur jedem dringend ans Herz
legen kann.
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