Don Winslow: Tage der Toten
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Vordergründig, das heißt am Inhalt der ausgestoßenen Rezensionen
nicht wirklich ablesbar, hat sich hinter den Kulissen des Studio
B in den letzten Jahren eine unverhoffte kleine Liebe zum
amerikanischen Kriminalroman entwickelt. Den regelmäßigen Hörern
des Literaturmagazins mag der eine oder andere Nebensatz
aufgefallen sein, aber zur großen Rezension ist es nie gekommen,
weniger wegen einer artifiziellen Literaturschranke über welche
die billigen Paperback nicht springen konnten, eher weil.. ja wir
haben auch keine Ahnung.
Wie jede gute Abhängigkeit begann auch meine Sucht nach dem
schnellen Amerikanischen Suspense Thriller mit einem traumhaft
guten Hit aus der Crackpipe - dem Erstlingswerk von Lee Child
“Killing Floor” - einem Kammerspiel mit einem Haupthelden der so
ziemlich der coolste Typ unter der Sonne ist.
Was man nach der initialen Bong noch nicht weiss, ist, dass es
nie wieder einen so schönen Rausch geben wird wie den ersten,
dass man verdammt ist, ein Leben lang diesem adoleszenten Gefühl
hinterherzujagen. Mein Kindle ist übersät mit aussichtsloser
Dutzendware von Vince Flynn, für ein, zwei Romane ganz amüsanten
Thrillerreihen von Jonathan Kellerman und wirklich guten, aber
nicht ganz an den ersten S**t heranreichende Serien wie die Harry
Bosch und Lincoln Lawyer Reihe von Michael Connelly.
Irgendwo zwischen den letzen beiden Klassifikationen, also nicht
himmlisch gut, aber doch so amüsant, dass man bisher alles von
ihr gelesen hat, steht die “Neal Carey” Reihe von Don Winslow,
fünf Romane über einen Privatdetektiv, der nicht nur ziemlich
wider Willen zu einem solchen wurde, sondern auch noch ziemlich
Scheisse in seinem Job ist - dafür ein paar andere
Charaktereigenschaften hat, die einen jeweils drei-, vierhundert
Seiten lang seinen Abenteuern folgen lässt, namentlich,
Intelligenz, transzendiert von seinem Autor und transformiert in
zunächst verwirrende aber am Ende fasst essayhafte
Geschichtsstunden innerhalb der Romane, passend zur Location in
die es Neal Carey gerade verschlägt. Dreiviertel meines Wissens
über Maos Kulturrevolution stammen aus “Das Licht in Buddhas
Spiegel” dem zweiten Teil der Reihe.
Ziemlich zeitig jedoch wurde Don Winslow das Fortschreiben der
Geschichte eines einzigen Haupthelden zu langweilig, zumal
dieser, wie gesagt, lange kein Jack Reacher war. Es erschienen
zwischen 1996 und heute also einzeln stehende Romane, von denen
der im Original 2005 erschienene “The Power of the Dog”, wie
immer Haudrauf und hier auch noch faktisch daneben übersetzt im
Deutschen “Tage der Toten”, im letzten Jahr 2011 den Deutschen
Krimipreis erhielt - zu recht.
Wie schon die Romane seiner Neal Carey Reihe beginnt auch “Tage
der Toten” mit einem mir ganz persönlich gerade im Suspense Genre
äußerst unangenehmen Stilmittel, der Vorblende, von der man nicht
weiss, ob sie das Ende oder irgendeine Zukunft im Roman vorweg
nimmt, auf alle Fälle jedoch das Gefühl hinterlässt, es wäre ein
Stück der Spannung raus. Ist dieses Stilmitteln in besagter Neal
Carey Reihe noch unnötiger Zinnober, führt es in “Tage der Toten”
dankenswerterweise tatsächlich zur Erhöhung der Spannung.
Beschrieben wird eine Szene im Jahr 1997 in der der Drogenfahnder
Art Keller den Tatort eines Massenmordes an einer mexikanischen
Familie samt Hausstand beschreibt - den, so sein letzter Satz im
Prolog, er zu verantworten hat, ist es doch die Exekution eines
Snitches - eines Informanten - im mexikanischen Drogenkartell und
er, Art Keller, hat die Mörder auf die Spur des Informanten
gebracht. Bewußt.
Man ertappt sich im Laufe des nun chronologisch vom Jahr 1975 aus
geschriebenen Werkes beim Zurückblättern um die gewonnen
Erkenntnisse mit den anfänglich beschriebenen Ereignissen zu
verbinden, was der einzige, sinnhafte Zweck eines solchen
Vorworts ist - aber nun Schluss damit Herr Winslow, Vielen Dank.
Denn die Angst in einem Suspenseroman, man wisse zuviel, bleibt
zumindest bei mir pathologisch und erzeugt Magengeschwüre.
Ebensolche dürften 80% der handelnden Personen von “Tage der
Toten” haben, sei es durch ungesundes Essen, Drogengebrauch oder
dem aufregenden, gefährlichen, aber hochlukrativen Gewerbe, das
diese betreiben, sich gegenüberstehend an der Grenze zwischen
Drogenherstellern und Konsumenten, Südamerika und den USA.
Erzählt werden sich zunächst nur leicht berührende Stories aus
dem südlichen Mexiko, den Zwillingsstädten Tijuana auf
mexikanischer Seite, San Diego in den USA, dem Irischen Teil
Manhattans, Hells Kitchen, dem Einzugsgebiet der italienischen
Mafia in Queens und dem geographischen, wie narrativen
Mittelpunkt dieser Gebiete - der amerikanisch-mexikanischen
Grenze. Diese mit 100-Kilo-Paketen Kokain gewinnbringend zu
überwinden ist das Geschäftsfeld der Federacion, einem Kartell
von Narcotrafficantes, Drogenschmugglern aus Mexiko, die das
Gebiet der USA unter sich aufgeteilt haben.
Auf der Suche nach einem “guten Krieg” schließt sich 1975, nach
der Rückkehr aus dem nicht so guten im fernen Osten, Arthur
Keller, genannt Art, der DEA, der Drug Enforcement Administration
und derem War on Drugs an. Art ist halb Amerikaner, halb
Mexikaner und nicht nur wegen dieser Äußerlichkeiten der perfekte
Mann für den Job und feiert schnell Erfolge.
Callan und O-Bop, irische Jungs von der West Side Manhattans
haben währenddessen mehr oder weniger Ausversehen den rechten Arm
des Bosses der Irischen Mafia erschossen. Da Callan und O-Bop
diesen Fauxpas trotz eilig geschickter Muskelmänner nun schon
seit Tagen überleben, ruft der Irische Oberhonzo seine Kollegen
von der italienischen Mafia zur Hilfe. Aber Callan und O-Box
haben dem rechten Arm, ohne Kopf, des irischen Mafiabosses dessen
Schuldenbuch abgenommen und in dem steht der gesandte
italienische Mafiakiller mit stolzen 100.000 Dollar in der Kreide
verzeichnet. Zunächst nur ein lebensrettendes Druckmittel im
Showdown mit Little Peaches, dem Auftragskiller, wird es erste
Sprosse auf der Karriereleiter zur Ersetzung des alten irischen
Mafiabosses durch zwei kleine, nicht unclevere Irische Jungs
namens Callan und O-Bop.
Währenddessen erhält in Los Angeles ein sechzehnjähriges
frühreifes und wunderschönes Mädchen, Nora, einen Tipp, wie sie
aus den Geschenken von koksspendenen Sugardaddies, die der
16jährigen verfallen sind, eine handfestes Business als
Edelprostituierte machen kann.
Wir sind erst bei Seite 100 und haben schon 25 handelnde Personen
aus drei, vier Sphären der halbseidenen Art kennengelernt und es
hört damit nicht auf. Kein Wunder, dass die allgemeine Rezeption
und Rezension Don Winslow, dankbar für die gefundene Schublade
“James Ellroy”, in diese wirft, dessen LA Confidential das Genre
des hauptheldlosen Kriminalromans etabliert hat, legendär mit
seinen dutzenden handelnden, immer wiederkehrenden Personen, sich
annähernden und entfernenden Handlungssträngen, die nicht immer
für die Fortschreibung der Story nötig erscheinen.
Und so man sich auch sträubt, es spricht viel dafür, zumindest
“Tage der Toten” in ein Regal mit der LA Confidential Reihe von
James Ellroy zu stellen, das mäandern der Grundstory ist
mindestens so kunstvoll und wo in den genretypisch recht kurzen
Romanen der Neal Carey Serie die ausführlichsten Beschreibungen
von Zusammenhängen und geschichtlichen Hintergründen im
Verhältnis zur straighten Grundstory oft leicht deplaziert und
übertrieben ausführlich wirken, sind sie hier im genau richtigen
Verhältnis. Tage der Toten ist kein Roman für den Schlingeschlund
des serienbesessenen Suspenseliebhabers, es ist das Vollbad für
den Vielduscher, man soll es genießen, in die mexikanische Kultur
eingeführt zu werden, die Upper West Side den Hudson hoch geführt
zu werden und einen Abriß über die politischen Verwicklungen der
USA im Mittelamerika der 80er Jahre zu bekommen. Daß man dabei
regelmäßig den Beginn eines neuen Kapitels, der zu einer früher
eingeführten Gruppe von handelnden Personen zurückkehrt, ein
wenig langsamer lesen muss, als man es gewohnt ist, um sich die
Personen zu den Namen wieder in Erinnerung zu holen ist normal
und der Reiz des Ganzen, wir haben es mit einem Roman im
klassischen Sinne zu tun, einer komplexen, ausführlichen Story,
die nicht auf die Effizienz der ein-Buch-pro-Jahr-Suspense-Serie
getrimmt ist.
Dabei macht es Don Winslow Lesern, denen die James Ellroy Romane
zu kompromisslos ausufernd waren, einen Hauch leichter ohne den
Liebhabern des Subgenres den Spass zu nehmen. Wo es bei Elroy
fast keine herausgehobenen “Haupthelden” der klassischen
Thrillerschule gibt, nivelliert Winslow das Feld der handelnden
Personen nicht vollständig: Art Keller, der Ermittler der
amerikanischen Drogenbehörde ist noch die Person, die einem
Haupthelden am nächsten kommt, Nora, die Edelprostituierte ist
wie ein rotes Garn, das die Story vernäht und jede Gruppe im
großen Spiel um Geld, Macht und Drogen hat ihre besonders scharf
gekennzeichneten Protagonisten, Leuchttürme im dunklen Meer einer
erbarmungslos brutalen Story .
Wem es nach dem schnellen, kurzen Kick der jeweiligen
amerikanischen Lieblingskriminalserie mal wieder nach dem
Schwelgen in einer komplexen Story gelüstet, wer das Verfolgen
eines altersschwachen Kriminalpolizistenpaars auf dem geraden Weg
zur Lösung des Kriminalfalles in einer Bundesdeutschen Großstadt
für Zeitverschwendung hält, die ausführliche Beschreibung der
Gegenden und Zeiten in der ein hervorragender Autor die Pflöcke
seiner Story einschlägt jedoch für ein ganz außergewöhnliches
Vergnügen, für den ist “Tage der Toten” in einer guten deutschen
Übersetzung, oder für den verstehend Englischlesenden “The Power
of the Dog” im Original, ein garantiertes Vergnügen und uns eine
ausdrückliche Empfehlung!
In der nächsten Woche bespricht Anne Findeisen Ahley Audrains
Roman "Der Verdacht", welcher sich problematischen
Mutter-Tochter-Beziehungen widmet und damit schicksalhafte wie
abgründige Familienbande zu Tage fördert.
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