Ottessa Moshfegh: McGlue
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Beschreibung
vor 2 Jahren
Anfang des letzten Jahres las ich meinen ersten Roman von Ottessa
Moshfegh, der erst kurze Zeit vorher auch im Deutschen erschienen
war und bis heute ihre letzte Romanveröffentlichung darstellt. Im
Laufe der vergangenen Monate arbeitete bzw. las ich mich dann in
ihrem Oeuvre zurück, bis ich kürzlich bei ihrem 2014 im Original
und 2016 in deutscher Übersetzung im Liebeskind Verlag
veröffentlichten Roman McGlue angelangt war. Die amerikanische
Autorin mit iranischen und kroatischen Wurzeln hatte mich von
Anfang an durch ihre Art zu beschreiben und eine gewisse
Abgründigkeit in ihren Bann gezogen, weshalb ich auf ihr
Erstlingswerk umso gespannter war. Daneben ist natürlich zu
erwähnen, dass Ottessa Moshfegh vor ihrem Debüt als Romanautorin
zahlreiche Kurzgeschichten verfasst hat, die in diversen
renommierten Magazinen, wie dem New Yorker, erschienen sind.
Wir schreiben das Jahr 1851. McGlue, der Protagonist und
Namensgeber des Romans, seines Zeichens Matrose und ein Säufer
vor dem Herrn, erwacht zu Beginn der Geschichte und wird alsbald
unter Deck eines Schiffes gebracht, an dem er angeheuert hat.
Dort wird er eingesperrt, denn ihm wird vorgeworfen, seinen
besten Freund Johnson in Sansibar umgebracht zu haben. Da er aber
nicht nur ein schwerer Trinker ist, sondern auch eine schwere
Kopfverletzung hat, die er sich bei einem Sturz aus der Eisenbahn
zugezogen hat, kann er sich an die ihm zur Last gelegte Tat nicht
erinnern. Es folgt eine längere Schifffahrt, die er unter Deck
verbringt und, die nicht nur geprägt ist von seinem Versuch, sich
an das angeblich Geschehene zu erinnern, sondern auch, seinem
ständigen Drang nach etwas Flüssigem beizukommen und Moshfeghs
sehr eindrücklichen Beschreibungen der Gerüche, Stimmungen und
des rauen Umgangs der Beteiligten Personen untereinander. Als
McGlue schließlich an seinem Bestimmungsort Salem ankommt, wird
er in ein Verlies gesteckt, ein Anwalt wird ihm zur Seite
gestellt und es beginnt die Zeit des Wartens auf den Prozess,
gepaart mit dem, den Roman durchziehenden, Versuch, der Wahrheit
um das Ableben seines Freundes auf die Spur zu kommen.
Soweit die Rahmenhandlung, die die Autorin aber nicht linear
entfaltet, sondern, passend zu McGlues geistigen und körperlichen
Zustand, vor- und zurückspringen lässt. Aus der Vergangenheit
erfahren wir vor allem etwas über seine schwierigen
Familienverhältnisse, die von Verlust und Armut geprägt sind und
seinem Freund Johnson, der ihn quasi von der Straße aufliest –
ihn damit rettet – und stets für ihn sorgt. Dazu gehört natürlich
auch, dass er ihn regelmäßig mit Alkohol versorgt. So entsteht
nach und nach zumindest der Teil einer Biographie vor unserem
geistigen Auge, die nicht nur von vielen Leerstellen geprägt ist,
sondern bei der man sich als Leserin auch ständig fragen muss, wo
einen McGlue aufs Glatteis führen will und inwieweit seinen
Erinnerungen zu trauen ist. Sehr geschickt streut Ottessa
Moshfegh Zweifel an dem was uns ihr Protagonist glauben machen
will und dem, was Wirklichkeit sein könnte. Durch ihr
sprachliches Geschick und ihren Beschreibungsreichtum gelingt es
ihr, sich beim Lesen ähnlich verwirrt zu fühlen, wie sich wohl
McGlue selbst fühlen muss.
Neben diesen Versatzstücken des vermeintlich Erlebten und
Johnsons Tod gewinnt man als Leserin allmählich ein Gefühl dafür,
welche Themen neben dem vordergründigen Alkoholismus des
Protagonisten, dem Entzug von selbigem, den damit einhergehenden
Fantasien und Traumbildern ebenfalls wichtig sind, wenn nicht
sogar maßgeblich für sein Leben bis zum Zeitpunkt seiner
Verhaftung. Denn sie schreibt auch über eine Gesellschaft in der
für den Immobilienmarkt Leben geopfert werden, solange nur das
Geld stimmt. Über einen jungen Mann, der nicht nur als
Außenseiter lebt, sondern auch in seiner Familie keinen Rückhalt
findet; es vielleicht auch gar nicht erst versucht, sondern sich
gleich in sein Schicksal als Taugenichts und Säufer fügt. Fast
beginnt man sich zu fragen, ob es seinen Retter Johnson wirklich
gibt oder gab, oder ob er nicht ein Produkt McGlues lebhafter
Fantasie ist, die ihn sich als Rettungsanker selbst erschaffen
hat. Auch Homosexualität ist ein wichtiges Thema des Romans,
welches immer wieder anklingt, ohne aufdringlich oder plakativ zu
erscheinen. Das zumindest teilweise Ausleben selbiger scheint
jedoch keine Erleichterung oder Grund für Glück zu sein. Oder
liegt es am immanenten Wunsch lieber normal zu sein?
Ottessa Moshfeghs Roman ist kein Seefahrer/Piratenabenteuer wie
wir es aus vielen Hollywood Filmen kennen, obwohl definitiv
ähnlich viel getrunken wird. Es ist aber auch kein Kriminalroman
in dem die Leserin vielen Fährten nachgeht, um schließlich auf
die Spur des Mörders zu gelangen. Verwirrt und ein wenig ratlos
kann er einen aber dennoch zurücklassen, denn nichts ist gewiss
und auch am Ende wissen wir nicht, welchen Lauf McGlues Schicksal
nehmen wird. Aber wichtiger als dies zu wissen, sind die Themen
die Moshfegh bearbeitet, wie die Auseinandersetzung mit der
eigenen Existenz und dem aus Enttäuschung und einem Mangel an
Alternativen resultierenden Fatalismus. Aber auch dem Versuch,
das eigene Leben erträglich zu gestalten und sich in der
Beschäftigung mit der eigenen Biographie Bilder zu erschaffen,
die tröstlich sind. Ottessa Moshfegh ist eine Künstlerin in ihren
Beschreibungen zum Teil völlig alltäglicher Situationen, was
sicher auch aus ihren genauen Beobachtungen resultiert und sich
ebenfalls in ihren Beschreibungen zwischenmenschlicher Konflikte
und gesellschaftlicher Defizite manifestiert. Ihr Roman mag
zeitlich in der Vergangenheit angesiedelt sein, die aufmerksam
beobachteten Probleme in der Beschäftigung mit der eigenen
Existenz sowie sozialen Faktoren sind es aber nicht.
Nachdem ich nun alle von ihr bisher erschienenen Romane gelesen
habe, kann ich diese Autorin nur ausdrücklich empfehlen. Noch
mehr als McGlue haben mich jedoch ihre Romane Eileen und Mein
Jahr der Ruhe und Entspannung in ihren Bann gezogen. Eine geniale
Autorin von der wir hoffentlich noch viel lesen werden.
In der nächsten Woche stellt Irmgard Lumpini das Buch "Ich
träumte, ich hätte einen Wetterhahn gesehen" mit Erzählungen und
Kurzgeschichten von Margarete Beutler vor, der überwiegend
Erstveröffentlichungen aus ihrem Nachlass enthält.
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