Richard Osman: The Thursday Murder Club

Richard Osman: The Thursday Murder Club

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Beschreibung

vor 2 Jahren

Die typische Leserin des klassischen englischen Whodunnit ist, so
kann man annehmen, im Rentenalter. Das macht Sinn, und diese
Formulierung exakt so auch, denn es geht um englische Whodunnits
und es heißt in der Ursprungssprache nun mal nicht "this has
sense". Ok, das macht also Sinn, weil die Beantwortung der Frage
"Wer war's" ein zerebrale Tätigkeit ist und das ab einem
bestimmten Alter eine der wenigen, die man noch ohne Schmerzen
ausüben kann. Zudem braucht das Eliminieren von nie unter einem
Dutzend Verdächtigen, um dem Täter auf die Spur zu kommen, eine
gehörige Portion Menschenkenntnis, die man sich auf einem langen
Lebensweg ganz nebenbei aneignete, genau wie den einen oder
anderen special skill, den der talentierte Autor in seiner murder
mystery gewinnbringend integrieren sollte.


Da man mit zunehmenden Alter der eigenen Gebrechlichkeit gewahr
wird, neigt man im Allgemeinen dazu, all diejenigen, denen diese
Erfahrung noch bevor steht, zu verabscheuen. "Diese Jugend!"
stößt man asthmatisch dem BMX-Fahrer in der Fußgängerzone
hinterher, auch wenn der das gar nicht hört, weil er einen
Walkman auf hat. Am allerwenigsten will man also von "Dieser
Jugend!" lesen, wenn man es denn zurück in den sicheren
Ohrensessel geschafft hat und so ist Sherlock Holmes angenehme
sechzig Jahre alt und Miss Marple wird einfach nur als "an old
lady" beschrieben, man kann ihr als Leser also selbst ein
kindersicheres Alter von 50 bis 90 geben. Clever.


Erträgt man den Anblick von hyperaktiven, jüngeren Menschen gar
nicht mehr, zieht man sich als Rentner mit Gleichgesinnten in ein
Altersheim zurück, welches von eben diesen hyperaktiven jüngeren
Menschen in Funk und Film immer nur als palliativer Limbo
dargestellt wird, mit einem Röhrenfernseher im Gemeinschaftsraum
auf dem "Richterin Barbara Salesch" in Dauerschleife läuft, bis
das Bingo beginnt.


Was aber, wenn das ein ganz falsches Bild ist, wenn man
überraschend sieht, dass die geriatrischen Jungs und Mädels eine
Menge fun haben? Wie soll das denn gehen? Zum Beispiel wie in
Staffel drei, Episode zwei von Inspektor Barnaby, ja, der
Rezensent fängt die britische Midsomer Murders Serie nochmal von
vorn an, ja, das ist popkulturelle Weiterbildung, keine
altersbedingte und winterinduzierte Melancholie. In besagter
Folge also, mit dem Titel "Blue Herrings", sind die Bewohner des
recht noblen Altersheims rüstige, hellwache, charmante,
wunderliche und regelrecht fröhliche siebzig-, achtzig- und
neunzigjährige, die, leider, den serientitelgebenden Morden zum
Opfer fallen. Aber mit welcher starrsinnigen Lakonie sie das
Verschwinden ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner zur Kenntnis
nehmen und ihrem Tagwerk nachgehen, namentlich Boules, Gin-Tonic
und sich gegenseitig verdächtigen, ringt Respekt ab. Wie machen
die das, fragen nicht nur wir Zuschauenden uns seit 1999, denn
die Serie läuft so lange schon in Dauerschleife in aller Welt,
und einer, von dem ich mir sicher bin, dass er sich genau diese
Frage beim Anschauen eben dieser Folge gefragt hat, kann ich
konkret benennen: Richard Osman.


Osman ist Brite und im dortigen TV eine ständige Präsenz. Er ist
der Co-Host einer täglichen Quizshow von korrektem Niveau und
strahlt dort eine britische middle class Freundlichkeit aus, wie
sie im realen Leben nicht existiert. Ein klassischer
Schwiegermutterliebling, gross gewachsen, fröhlich, allwissend
und - natürlich - kann er auch noch den perfekten britischen
Whodunnit in direkter Fortsetzung von Miss Marple, Detective
Poirot und Inspector Barnaby schreiben. Es ist zum Haareraufen.
Dass die seinen perfekt, dicht und ohne jede Spur von grau sind,
mit seinen 51 Jahren, versteht sich.


Was sich nicht versteht ist, wie er seinen ersten Roman mit dem
Titel "The Thursday Murder Club" nicht nur strukturell perfekt
hinbekommen hat, sondern auch noch in einem nachdenklichen
Optimismus, dass er es spontan auf die Liste der "Top Ten
gemütlichsten Kriminalromane" der Literaturbeilage des Guardian
schaffen konnte, von den üblichen Bestsellerlisten von Times bis
Spiegel gar nicht zu reden.


Der titelgebende Thursday Murder Club tagt im ziemlich poshen
Altersheim "Coopers Chase". Wie es sich für einen Whodunnit aus
dem Kulturkreis des Whodunnit gehört, ist in diesem Buch nur
wenig dem Zufall überlassen und Tradition wird großgeschrieben.
So gibt es zunächst den Kommissar, hier zeitgemäß und dennoch
beruhigend ein Team, bestehend aus einem alten weißen Mann (ok,
fünfzig, hüstel) und einer jungen schwarzen Polizistin, die sich
aus Liebeskummer aus dem roughen Süden von London nach Kent in
eine Kleinstadt nicht weit von der Kanalküste hat versetzen
lassen.


Jedoch sind diese nur wichtige Nebendarsteller, das Spotlight im
Buch gehört natürlich dem titelgebenden, alldonnerstäglich
tagenden Murder Club. Der besteht aus Ron, einem ordentlich
tätowierten ehemaligen Gewerkschaftsführer, was in England nichts
mit schnauzbärtigen Anzugträgern mit unaussprechlichen Namen zu
tun hat, die in der Tagesschau von Kompromissen träumen. Wer in
den Siebzigern in England streikte, teilte mindestens so viel
Hiebe aus wie er einsteckte. Zweiter im Bunde ist Ibrahim, ein
Psychotherapeut im Ruhestand, in den Sechzigern aus Kairo
eingewandert und Elizabeth, die inoffizielle Anführerin der
Bande, denn sie ist die mit Abstand cleverste, hintertriebendste
und skrupelloseste des Quartetts, in das soeben Joyce aufgenommen
wurde, weil sie die Frage, wie lange man mit einer Stichwunde in
der Brust überleben kann, kompetent beantwortete und die
dazugehörigen bluttriefenden Tatortfotos mit enthusiastischem
Interesse betrachtete - die Mindestanforderung um in den Club zu
kommen. Das Foto stammt aus dem Nachlass von Penny, Joyces
Vorgängerin im Club, die im Berufsleben Polizistin war und bei
ihrem Ausscheiden aus dem Dienst, mehr oder weniger illegal,
Akten von ungelösten Fällen hatte mitgehen lassen. Das passt zum
modus operandi des Thursday Murder Club, dessen Mitglieder ob
ihrer Herkunft und fortgeschrittenen Alters keinerlei s**t mehr
geben. Was für die Lösung eines Falles an Mitteln angezeigt
erscheint wird gemacht. Hier wird vorher nicht gefragt und sich
hinterher nicht entschuldigt, dafür ist das Leben zu kurz und
ohne ein bisschen Action außerdem zu langweilig.


Dieses Setting sorgt nicht nur für ausgelassenen britischen
Humor, es befreit den Autor auch vom drögen Konflikt zwischen
Mittelwahl und Zweckheiligung den klassische englische Kommissare
wie Inspektor Lewis oder DCI Thursday seitenweise ausleben
müssen. Und natürlich haben Kenner des Genres schon beim
Wochentag im Titel des hier besprochenen Buches die Verbindung
zum alternden Ziehvater von Inspector Morse, besagtem DCI
Thursday, geschlossen, was auf mehreren Ebenen kein Zufall ist.
Die Namenswahl ist natürlich literarische Reminiszenz, aber die
lebensweisen Mitglieder des Thursday Murder Club spielen, clever
geschrieben, immer auch die Rolle des Mentors für unser
ermittelndes Team, so wie DCI Thursday das für den späteren
berühmten Kommissar Morse war.


Das reizvolle an einer geriatrischen Krimiserie ist, dass man
sich intelligent nicht nur von vielen Klischees des Genres lösen
kann, man kann auch mit den Vorurteilen Schluss machen, dass alte
Leute nur rumsitzen und schlafen oder Kreuzworträtsel lösen. Das
machen sie natürlich in Mengen, auch im Buch, aber a) sind
deshalb gleich vier alte Leute im Team und eine ist immer munter
und b) hat nunmal jedes Alter so wie jeder Beruf, der mal
ausgeübt wurde, jedes Hobby dem man gefrönt hat, jeder
Schicksalsschlag, den man überlebt hat, das Potential für die
Lösung eines Kriminalfalls entscheidend zu sein.


Und genau aus dieser Philosophie macht Osman aus einem simplen
Zeitvertreib, einem Whodunnit, ein Buch, welches einem nicht die
Zeit verschwendet. Es sollte in der Anlage sicher kein
Moralitätenstück werden - ist es aber immer ein wenig. Wir lernen
im Buch, wie man mit Verlusten lebt, mit körperlichen
Einschränkungen und dass man ein langes Leben nicht ohne den
einen oder anderen moralischen Fehltritt übersteht. Und da wir
hier kein dreitausend-Seiten-Werk eines norwegischen
Möchtegernintellektuellen lesen, dessen Titel aus nur einem
bedeutungsschweren Wort besteht, sondern einen Krimi von
perfekter Länge, eines unerträglich talentierten Briten, steht
auf dessen Buchcover "Der Millionenerfolg aus England" und gibt
sich der deutsche Verlag überhaupt keine Mühe mehr, weil selbst
der spektakulär krude übersetzte Titel "Der Donnerstagsmordclub",
Club mit C geschrieben, es ist ein Wahnsinn, sich zu recht auch
so verkauft.


Jeder, der die mittlerweile zwei Bände gelesen hat wird sie, wie
ich, begeistert jung und alt weiterempfehlen, schenken und kann
sogar entspannt davon erzählen, denn, wie es sich gehört, sind
englische Krimis unspoilerbar. Zuviele rote Heringe, unauffällige
Bibliothekarinnen, hochverdächtige Priester und total normale
Gärtner produzieren eine Wendung nach der anderen, dass man zehn
Minuten nach dem Zuklappen des Buches nicht mehr weiß, wer der
Mörder eigentlich war.


Und selbst wenn das beginnende Demenz sein sollte, hat man nach
dem Lesen von The Thursday Murder Club ein bisschen weniger Angst
davor. So ein brillantes, wärmendes, kluges Buch ist das. Danke
Richard Osman und bis zum nächsten Band.


In der nächsten Woche widmet sich Anne Findeisen der deutschen
Erzählkunst und bespricht Benedict Wells‘ Roman „Vom Ende der
Einsamkeit“.


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