Tiefdruckbenetzung

Tiefdruckbenetzung

Modellansatz 244
49 Minuten
Podcast
Podcaster

Beschreibung

vor 2 Jahren

Gudrun spricht in dieser Folge mit Pauline Brumm von der TU
Darmstadt über Benetzung im Tiefdruck. Sie ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin am Institut für Druckmaschinen und Druckverfahren
und promoviert im SFB 1194 zur Mechanischen Zwangsbenetzung von
Oberflächen durch gravierte Tiefdruckzylinder im Teilprojekt C01.


Es handelt sich um eine Weiterführung des Gesprächs mit Dr.
Mathis Fricke im Modellansatz-Podcast Folge 242 über Dynamische
Benetzung. Herr Fricke hatte über die Arbeit im SFB 1194 aus
Sicht der Mathematik berichtet, Frau Brumm liefert in dieser
Folge nun einen Beitrag aus Sicht der Anwendung. Sie hat
Maschinenbau im Bachelor und Master an der TU Darmstadt studiert
und sich auf Drucktechnik spezialisiert.


Drucken wird seit hunderten von Jahren praktiziert und
angewendet, jedoch gibt es bisher noch keine umfassende
Modellbildung für viele Druckprozesse. Das bedeutet, dass ein
Großteil des Wissens empirisch geprägt ist. Firmen stützen sich
auf die Erfahrung von gelernten Drucktechnikern, jedoch ist diese
Erfahrung nur selten öffentlich zugänglich und es gibt wenige
Forschungsinstitute weltweit zum Thema Drucktechnik. Um
innovative Anwendungen zu entwickeln, zum Beispiel aus dem
Bereich der gedruckten Elektronik, bedarf es jedoch einer
detaillierten Modellvorstellung des Druckprozesses, um klassische
Druckverfahren aus dem grafischen Druck (Zeitungsdruck,
Verpackungsdruck etc.) für den sogenannten „funktionalen Druck“
nutzbar zu machen.


Die Schwierigkeit liegt darin, dass an den funktionalen Druck
ganz andere Anforderungen gestellt werden, zum Beispiel müssen
die gedruckten, häufig ultradünnen Schichten geschlossen,
fehlerfrei und von konstanter Schichtdicke sein. Ein häufiger
Druckfehler ist das sogenannte „Viscous Fingering“, eine
hochdynamische Grenzflächeninstabilität bei der Fluidübertragung,
die sich in Form von faszinierenden, verästelten, fingerartigen
Strukturen in der gedruckten Schicht bemerkbar macht. Sie sehen
so ähnlich aus wie die Arme eines Flussdeltas aus
Vogelperspektive oder die Wurzeln von Bäumen. In ihrer Forschung
untersucht Frau Brumm diese verästelten Strukturen im Tiefdruck,
um sie besser zu verstehen und um den Druckfehler in Zukunft zu
verhindern oder für spezielle Anwendungen nutzbar zu machen. Beim
Tiefdruck wird die Farbe über gravierte Näpfchen in einem
Druckzylinder übertragen. Die Näpfchen liegen vertieft und sind
nur wenige zehn Mikrometer groß. Beim Kontakt mit dem zu
bedruckenden Substrat (Papier, Folie, Glas…) wird die Druckfarbe
unter hohem Druck und hoher Geschwindigkeit aus den Näpfchen
herausgesaugt. Es kommt zur Zwangsbenetzung des Substrats.


Mit Stokes-Gleichungen kann man Parametermodelle herleiten,
welche das Skalierungsverhalten der verästelten, gedruckten
Strukturen beschreiben. Zum Beispiel skaliert der dominante
Abstand der gedruckten Strukturen mit der Druckgeschwindigkeit
hoch minus ein Halb laut Sauer et al. (2015), welches dem 60
Jahre alten Skalengesetz von Saffman und Taylor (1958)
entspricht. Mit Experimenten können diese Modelle bestätigt oder
widerlegt werden.


Die Planung von Experimenten geschieht zielgerichtet. Im Vorfeld
muss überlegt werden, welche Parameter im Experiment variiert
werden sollen und wie viele Messpunkte benötigt werden, um
statistisch abgesicherte Aussagen treffen zu können. Meistens ist
die Herausforderung, die Vielzahl der Parameterkombinationen auf
ein Minimum zu reduzieren und dennoch die gewünschten Aussagen
treffen zu können. Die gedruckten Proben werden hochauflösend mit
einem Flachbettscanner digitalisiert und danach werden
Bildverarbeitungsmethoden in den ingenieurstypischen
Programmiersprachen Matlab oder Python angewendet. Beispielsweise
wird eine Fast Fourier Transformation (FFT) benutzt, um den
dominanten Abstand der gedruckten Strukturen zu ermitteln. Die
Automatisierung des Experiments und vor allem der anschließenden
Auswertung ist ein weiterer wichtiger Punkt. Um zehntausende von
gedruckten Mustern zu analysieren, wurde ein hochautomatisierter
computergestützter Workflow entwickelt. Seit kurzem wird von Frau
Brumm auch Künstliche Intelligenz, genauer gesagt Deep Learning,
zur Klassifizierung der gedruckten Muster verwendet. Dies ist
notwendig, um die Skalierbarkeit hin zu industriellen Prozessen
zu ermöglichen, indem umfangreiche Versuchsreihen an
industriellen Maschinen durchgeführt und automatisiert
ausgewertet werden. Diese werden anschließend mit kleineren
Versuchsreihen an speziell entwickelten Labormaschinen
verglichen, bei denen teilweise auch Modellfluide anstelle von
realen Druckfarben verwendet werden. Bei Laborexperimenten werden
in Teilprojekt C01 im SFB 1194 auch Hochgeschwindigkeitsvideos
der hochdynamischen Grenzflächeninstabilität aufgenommen, die
noch tiefere Einblicke in die Strömungsdynamik bieten und die
industriellen Experimente ergänzen und erklären sollen.


Der Maschinenbau ist sehr breit gefächert und das Studium muss
dementsprechend auch breite Kenntnisse vermitteln. Beispielsweise
werden umfangreiche Methoden aus der Mathematik gelehrt, damit
ein/e Maschinenbau-Absolvent/in für die diversen
Anwendungsaufgaben gerüstet ist. In der modernen Forschung ist
die Fähigkeit zur interdisziplinären Zusammenarbeit und zur
Wissenschaftskommunikation sehr entscheidend.
Maschinenbauer/innen im SFB 1194 arbeiten beispielsweise mit
Mathematikern/innen, Physikern/innen und Informatikern/innen
zusammen, um eine größere Forschungsfrage zu beantworten. In
dieser Podcast-Folge wird auch an junge Frauen appelliert, ein
MINT-Studium auszuprobieren, um mehr Diversität im Studium,
Forschung und Industrie zu erreichen, um am Ende noch
innovativere Lösungen zu schaffen, die der Welt einen Nutzen
bringen.



Literatur und weiterführende Informationen

Pauline Brumm, Tim Eike Weber, Hans Martin Sauer, and Edgar
Dörsam: Ink splitting in gravure printing: localization of the
transition from dots to fingers. J. Print Media Technol. Res.
Vol. 10 No. 2 (2021), 81-93

Pauline Brumm, Hans Martin Sauer, and Edgar Dörsam: Scaling
Behavior of Pattern Formation in the Flexographic Ink Splitting
Process. Colloids and Interfaces, Vol. 3 No. 1 (2019), 37

Hans Martin Sauer; Dominik Daume, and Edgar Dörsam:
Lubrication theory of ink hydrodynamics in the flexographic
printing nip. Journal of Print and Media Technology Research,
Vol. 4 No. 3 (2015), 163-172

Julian Schäfer, Ilia V. Roisman, Hans Martin Sauer, and Edgar
Dörsam: Millisecond fluid pattern formation in the nip of a
gravure printing machine. Colloids and Surfaces A:
Physicochemical and Engineering Aspects, Vol. 575 (2019), 222-229

Philip Geoffrey Saffman, and Geoffrey Ingram Taylor: The
penetration of a fluid into a porous medium or Hele-Shaw cell
containing a more viscous liquid. Proceedings of the Royal
Society of London. Series A. Mathematical and Physical Sciences
Vol. 245 No. 1242 (1958), 312-329




Podcasts

M. Fricke, G. Thäter: Dynamische Benetzung, Gespräch im
Modellansatz Podcast, Folge 242, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2021.

M. Haragus, G. Thäter: Pattern Formation, Conversation im
Modellansatz Podcast, Episode 227, Department of Mathematics,
Karlsruhe Institute of Technology (KIT), 2019.

S. Winter: Fraktale Geometrie, Gespräch mit G. Thäter im
Modellansatz Podcast, Folge 120, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2016.

S. Lerch, G. Thaeter: Machine Learning, Gespräch im
Modellansatz Podcast, Folge 232, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2020.

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