Poiseuillestrom

Poiseuillestrom

Modellansatz 215
47 Minuten
Podcast
Podcaster

Beschreibung

vor 5 Jahren

In dieser Folge spricht Gudrun mit Ayca Akboyraz und Alejandro
Castillo. Beide sind im Masterstudiengang Chemieingenieurwesen
bzw. Bioingenieurwesen am KIT eingeschrieben und haben 2019 das
Projektorientierte Softwarepraktikum in Gudruns Arbeitsgruppe
absolviert. Das Gespräch dreht sich um ihre Erfahrungen in dieser
Lehrveranstaltung.


Ayca stammt aus der Türkei und Alejandro ist in Mexico
aufgewachsen. Beide haben in ihren Heimatländern deutsche Schulen
besucht. Anschließend haben sie sich jeweils um ein Studium in
Deutschland beworben. Ayca hatte sich zunächst für
Wirtschaftsingenieurwesen entschieden, hat aber nach einiger Zeit
gemerkt, dass ihr Chemieingenieurwesen viel mehr liegt.


Das Projektorientierte Softwarepraktikum wurde 2010 als
forschungsnaher Lernort konzipiert. Studierende unterschiedlicher
Studiengänge arbeiten dort ein Semester lang an konkreten
Strömungssimulationen. Es wird regelmäßig im Sommersemester
angeboten. Seit 2014 liegt als Programmiersprache die Open Source
Software OpenLB zugrunde, die ständig u.a. in der Karlsruher
Lattice Boltzmann Research Group weiter entwickelt wird. Außerdem
wird das Praktikum seit 2012 vom Land Baden-Württemberg gefördert
als eine Möglichkeit für Studierende, sich im Studium schon an
Forschung zu beteiligen.


Konkret läuft das Praktikum etwa folgendermaßen ab:
Die Studierenden erhalten eine theoretische Einführung in
Strömungsmodelle und die Idee von Lattice-Boltzmann-Methoden und
finden sich für ein einführendes kleines Projekt in Zweiergruppen
zusammen. Anschließend wählen sie aus einem Katalog eine Frage
aus, die sie bis zum Ende des Semesters mit Hilfe von
Computersimulationen gemeinsam beantworten. Diese Fragen sind
Teile von Forschungsthemen der Gruppe, z.B. aus
Promotionsprojekten oder Drittmittelforschung. Während der
Projektphase werden die Studierenden von dem Doktoranden/der
Doktorandin der Gruppe, die die jeweilige Frage gestellt haben,
betreut. Am Ende des Semesters werden die Ergebnisse in Vorträgen
vorgestellt und diskutiert. Hier ist die ganze Arbeitsgruppe
beteiligt. In einer Ausarbeitung werden außerdem die
Modellbildung, die Umsetzung in OpenLB und die konkreten
Simulationsergebnisse ausführlich dargelegt und in den aktuellen
Forschungsstand eingeordnet. Diese Ausarbeitung wird benotet. Die
Veranstaltung wird mit 4 ECTS angerechnet.


In der klassischen Theorie der Strömungsmechanik werden auf der
Grundlage der Erhaltung von Masse, Impuls und Energie und unter
berücksichtigung typischer Materialeigenschaften die
Navier-Stokes-Gleichungen als Modell für das Strömungsverhalten
von z.B. Wasser hergeleitet. Die beiden unbekannten Größen in
diesem System partieller Differentialgleichungen sind das
Geschwindigkeitsfeld und der Druckgradient. Wenn geeigneten Rand-
und Anfangsbedingungen für die Geschwindigkeit vorgeschrieben
werden, liegt im Prinzip die Lösung des Gleichungssystem fest.
Sie kann aber in der Regel nur numerisch angenähert berechnet
werden.


Eine wichtige Ausnahme ist die Strömung durch einen Zylinder mit
kreisförmigem Querschnitt. Wenn am Rand des Zylinders als
Randbedingung vorgeschrieben wird, dass dort das Fluid anhaftet,
also die Geschwindigkeit ganz am Rand Null ist, dann stellt sich
eine zeitlich unveränderliche (stationäre) Strömung ein, die am
Rand des Zylinders still steht und in der Mitte am schnellsten
ist. Der Verlauf zwischen diesen beiden Extremen entspricht genau
dem einer Parabel. Diese Lösung heißt Poiseuille-Strömung. Der
Durchfluss ergibt sich dann aus dem Druckgradienten.


Wenn der Querschnitt des Kanals nicht genau kreisförmig ist,
lässt sich das Prinzip noch übertragen, aber in der Regel ist die
Lösung dann nicht mehr analytisch berechenbar.


Die Poiseuille-Strömung ist ein häufiges Test- oder
Benchmark-Problem in der numerischen Strömungsmechanik, zumal
diese Strömungskonfiguration einer der wenigen Fälle der
Navier-Stokes-Gleichungen ist, die analytisch gelöst werden
können. Der Sinn des Tests besteht darin, zunächst
sicherzustellen, dass die Berechnung mit Hilfe von OpenLB, eine
gewisse Genauigkeit aufweist. Zweitens wird die Genauigkeit der
Methode überprüft, indem analysiert wird, wie der numerische
Fehler mit der Gitterverfeinerung skaliert.


Ayca und Alejandro haben in ihrem Projekt diesen Benchmark
vollzogen und dafür Simulationen im 2D und 3D Fall mit
verschiedenen Randbedingungen, die in der Lattice Boltzmann
Methode vorkommen (und in OpenLB implementiert vorliegen), und
Gitterverfeinerungen mit Auflösung von 25, 50, 75, 100
Unterteilungen durchgeführt. Obwohl die Randbedingungen in
numerischen Verfahren die gleichen grundlegenden Ziele wie im
analytischen Fall haben, entwickeln sie sich entlang
konzeptionell degenerativer Linien. Während analytische
Randbedingungen die zugehörige Lösung aus einer Schar von
zulässigen Lösungen der Gleichungen auswählen, wirken die
Randbedingungen im Lattice Boltzmann Modell dynamisch mit. Sie
sind ein Teil des Lösungsprozesses, der für die Änderung des
Systemzustands in Richtung der Lösung zuständig ist. Eine der
häufigsten Ursachen für die Divergenz der numerischen Lösung ist
die falsche Umsetzung von Randbedingungen. Daher ist es für die
Genauigkeit und Konvergenz sehr wichtig, dass die geeigneten
Randbedingungen für die untersuchte Geometrie und den
Strömungsfall ausgewählt werden.


Es gibt eine große Familie Randbedingungen, die für die Lattice
Boltzmann Methode entwickelt wurden. Für das Praktikum liegt der
Fokus für die Wand auf den Randbedingungen "bounce-back"
(Haftbedingung), "local", "interpolated" und "bouzidi". Alle
genannten Randbedingungen erzeugen ein parabolisches
Strömungsprofil passend zur analytischer Lösung. Unterschiede
zeigen sich darin, wie groß die numerische Fehler ist, und in
welchem Maß sich der numerische Fehler durch Gitterverfeinerung
reduzieren lässt. Der graphische Vergleich der
Simultionsergebnisse mit der analytischen Lösung hat gezeigt,
dass bouzidi Randbedingung den kleinsten numerischen Fehler und
die höchste Konvergenzordnung für den 3D-Fall erzeugt, während
local und interpolated Randbedingungen für den 2D-Fall bessere
Ergebnisse liefern. Zu beachten ist aber, dass mit erhöhter
Gitterverfeinerung die Unterschiede zwischen diesen
Randbedingungen verschwinden. Bei der Auswahl der Randbedingung
sollte dementsprechend ein Kompromiss zwischen Aufwand und Güte
der Lösung gefunden werden.



Literatur und weiterführende Informationen

T. Krüger e.a.: The Lattice Boltzmann Method. Graduate Texts
in Physics. Springer, 2017.

M. Portinari: 2D and 3D Verification and Validation of the
Lattice Boltzmann Method. Master Thesis, Montréal 2015.

C.J. Amick: Steady solutions of the Navier-Stokes equations
in unbounded channels and pipes. Ann. Scuola Norm. Sup. Pisa Cl.
Sci. (4), 4, 473–513 (1977).

A. Akboyraz und A. Castillo, Ausarbeitung Softwarepraktikum
2019.

M.J. Krause e.a.: OpenLB Release 1.3: Open Source Lattice
Boltzmann Code.




Podcasts

L. Dietz, J. Jeppener, G. Thäter: Flache Photobioreaktoren -
Gespräch im Modellansatz Podcast, Folge 213, Fakultät für
Mathematik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2019.

T. Hoffmann, G. Thäter: Luftspalt, Gespräch im Modellansatz
Podcast, Folge 153, Fakultät für Mathematik, Karlsruher Institut
für Technologie (KIT), 2017.

Weitere Episoden

Wahlmodelle
16 Minuten
vor 10 Monaten
Podcast Lehre
1 Stunde 42 Minuten
vor 1 Jahr
Instandhaltung
50 Minuten
vor 2 Jahren
CSE
42 Minuten
vor 2 Jahren
Mentoring
35 Minuten
vor 2 Jahren
15
15
:
: