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Beschreibung
vor 6 Jahren
Gudrun wollte sich mit unserem neuen Kollegen über sein
hauptsächliches Forschungsthema, die kinetische Theorie
unterhalten. Diese Denkweise wurde zur Modellierung von Gasen
entwickelt und ist inspiriert von physikalischen Vorstellungen,
die kinetische Energie als inhärente Eigenschaft von Materie
ansieht. Die kinetische Gastheorie schaut auf die mikroskopische
Ebene, um schließlich makroskopische Größen wie Wärme und
Temperatur besser zu erklären.
Im sogenannten idealen Gas bewegen sich unfassbar viele kleine
Massepunkte entsprechend der Newtonschen Mechanik frei,
ungeordnet und zufällig im Raum, stoßen dabei ab und zu zusammen
und wir empfinden und messen den Grad der Bewegungsaktivität der
Teilchen als Wärme. Die Einheit, die man dieser Größe zunächst
zuwies war Kalorie von lat. Calor=Wärme. Heute ist die richtige
SI-Einheit für Energie (und damit auch Wärme) das Joule.
Die messbare Größe Temperatur ist damit vereinfacht ausgedrückt
die mechanische Engergie im Gassystem und das Modell liefert eine
kinetische Theorie der Wärme. Man kann es aber auch als
Vielteilchensystem von mikroskopischen Teilchen ansehen aus denen
sich in klar definierten (unterschiedlichen) Grenzwertprozessen
makroskopische Größen und deren Verhalten ableiten lassen. Die
Untersuchung dieser Grenzwerte ist eine mathematisch sehr
anspruchsvolle Aufgabe und bis heute ein offenes Forschungsfeld,
in dem nur Stück für Stück spezielle Fragen beantwortet werden.
Eine Schwierigkeit ist dabei nämlich, dass automatisch immer sehr
unterschiedliche Skalen nebeneinander existieren und in ihrer
Interaktion richtig gefaßt und verstanden werden müssen. Außerdem
ist in der Regel jeder Grenzwert, für den sich interessante
Forschungsergebnisse ergeben, innerhalb der Theorie eine
Singularität.
Schon Hilbert hatte 1900 die axiomatische Fassung der Physik
zwischen Mechanik und Wahrscheinlichkeitsrechnung als eines der
wichtigen mathematischen Probleme für das 20. Jahrhundert
dargestellt. Wir sind seitdem vorangekommen, aber es bleibt noch
sehr viel zu tun. Zum Beispiel ist die mögliche Korreliertheit
zwischen den Teilchenbewegungen für Gase eine offene Frage (außer
für kurze Zeiten).
Ein Vorteil gegenüber der Zeit Hilberts ist heute, dass wir
inzwischen auch den Computer benutzen können, um Modelle zu
entwickeln und zu analysieren. Dafür muss man natürlich geeignete
numerische Methoden entwickeln. In der Arbeit von Martin Frank
sind es in der Regel Integro-Differentialgleichungen mit
hyperbolischer partieller Differentialgleichung für die
Modellierung von Bewegungen ohne Dämpfung. Diese haben schon
durch die Formulierung viele Dimensionen, nämlich jeweils 3 Orts-
und 3 Geschwindigkeitskomponenten an jedem Ort des
Rechengebietes. Deshalb sind diese Simulationen nur auf großen
Parallelrechnern umsetzbar und nutzen High Performance Computing
(HPC). Hieraus erklärt sich auch die Doppelrolle von Martin Frank
in der Verantwortung für die Weiterentwicklung der HPC-Gruppe am
Rechenzentrum des KIT und der Anwendung von Mathematik auf
Probleme, die sich nur mit Hilfe von HPC behandeln lassen.
Sehr interessant ist in dieser Theorie die gegenseitige
Beeinflussung von Numerik und Analysis in der Behandlung kleiner
Parameter. Außerdem gibt es Anknüpfungspunkte zur Lattice
Boltzmann Research Group die am KIT das Software-Paket OpenLB
entwickeln und anwenden.
Auch wenn sich geschichtlich gesehen die kinetische Theorie vor
allem als Gastheorie etabliert hat, ist die Modellierung nicht
nur in Anwendung auf Gase sinnvoll. Beispielsweise lassen sich
Finanzmärkte aus sehr vielen unabhängig handelnden Agenten
zusammensetzen. Das Ergebnis der Handlungen der Agenten ist der
Aktienpreis - sozusagen die Temperatur des Aktienmarktes. Es
lassen sich dann aufgrund dieses Modells Eigenschaften
untersuchen wie: Warum gibt es so viele Reiche?
Außerdem geht es auch darum, die richtigen Modellannahmen für
neue Anwendungen zu finden. Zum Beispiel ist ein Resultat der
klassischen Gastheorie das Beer-Lambertsche Gesetz. Es besagt,
dass Photonen durch Wolken exponentiell abgeschwächen werden.
Messungen zeigen aber, dass dies bei unseren Wolken gar nicht
gilt. Wieso? Dafür muss man schon sehr genau hinschauen. Zunächst
heißt das wohl: Die zugrunde liegende Boltzmann-Gleichung ist für
Wolken eine zu starke Vereinfachung. Konkret ist es die Annahme,
dass man sich die Wolken als homogenes Medium vorstellt
wahrscheinlich nicht zutreffend, d.h. die Streuzentren (das sind
die Wassertropfen) sind nicht homogen verteilt. Um ein besseres
Modell als die Boltzmann-Gleichung herzuleiten müsste man nun
natürlich wissen: Welche Art der Inhomogenität liegt vor?
Martin Frank hat Mathematik und Physik an der TU Darmstadt
studiert, weil er schon in der Schulzeit großes Interesse an
theoretischer Physik hatte. Im Studium hat er sich schließlich
auf Angewandte Analysis spezialisiert und darin auch nach dem
Diplom in Mathematik an der TU Darmstadt weiter gearbeitet. In
dieser Zeit hat er auch das Diplom in Physik abgeschlossen. In
der Promotion an der TU Kaiserslautern wurde es aber die
numerische Mathematik, der er sich hauptsächlich zuwandte. In der
eigenen universitären Lehre - aber auch in speziellen Angeboten
für Schülerinnen und Schüler - pendelt er zwischen Projekt- und
Theorie-zentriertem Lehren und Lernen.
Literatur und weiterführende Informationen
M. Frank, C. Roeckerath: Gemeinsam mit Profis reale Probleme
lösen, Mathematik Lehren 174, 2012.
M. Frank, M. Hattebuhr, C. Roeckerath: Augmenting Mathematics
Courses by Project-Based Learning, Proceedings of 2015
International Conference on Interactive Collaborative Learning,
2015.
Simulating Heavy Ion Beams Numerically using Minimum Entropy
Reconstructions - SHINE
M. Frank, W. Sun:Fractional Diffusion Limits of Non-Classical
Transport Equations
P. Otte, M. Frank: Derivation and analysis of Lattice
Boltzmann schemes for the linearized Euler equations, Comput.
Math. Appl. Volume 72, 311–327, 2016.
M. Frank e.a.: The Non-Classical Boltzmann Equation, and
Diffusion-Based approximations to the Boltzmann Equation, SIAM J.
Appl. Math. 75, 1329–1345, 2015.
M. Frank, T. Goudon: On a generalized Boltzmann equation for
non-classical particle transport, Kinet. Relat. Models 3,
395-407, 2010.
M. Frank: Approximate models for radiative transfer, Bull.
Inst. Math. Acad. Sinica (New Series) 2, 409-432, 2007.
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