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Beschreibung
vor 7 Jahren
Nikki Vercauteren erforscht an der Freien Universität Berlin die
mehrskalige Analyse von atmosphärischen Prozessen und traf sich
mit Sebastian Ritterbusch in der Urania Berlin, um über ihre
Forschung und ihre Experimente auf Gletschern zu sprechen.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme fand in der Urania das Banff Mountain
Film Festival, des Banff Centre for Arts and Creativity aus
Kanada, statt. Auf dem Campus des Banff Centre befindet sich auch
die Banff International Research Station (BIRS), ein
Forschungsinstitut und Tagungsort nach Vorbild des Mathematischen
Forschungsinstituts Oberwolfach, das sich der mathematischen
Forschung und internationalen Zusammenarbeit verschrieben hat,
und welches Nikki Vercauteren Anfang des Jahres zu einem Workshop
besuchen konnte.
Das Forschungsgebiet der Meteorologie umfasst viele Phänomene,
von denen einige durch Fluiddynamik beschrieben werden können.
Dabei geht es um eine große Menge von Skalen, von der globalen
Perspektive, über kontinentale Skalen zur Mesoskala im
Wetterbericht und der Mikroskala zu lokalen Phänomenen.
Die Skalen bilden sich auch in den Berechnungsmodellen für die
Wettervorhersage wieder. Das Europäische Zentrum für
mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) betrachtet die globale
Perspektive mit Hilfe von Ensemblevorhersagen. Von dort
verfeinert das aus dem lokalen Modell des Deutschen
Wetterdienstes (DWD) entstandene COSMO Modell die Vorhersage auf
die europäische und schließlich nationale Ebenen.
Hier geht es um die sehr lokale Analyse von
Windgeschwindigkeiten, die bis zu 20mal pro Sekunde gemessen
werden und damit die Analyse von lokalen Turbulenzen bis zum
natürlichem Infraschall ermöglichen. Die Erfassung erfolgt mit
Ultraschallanemometer bzw. ultrasonic anemometers, wo bei manchen
Typen durch die Erfassung des Doppler-Effekts bewegter
Staubteilchen die Bewegungsgeschwindigkeit der Luft durch mehrere
Sensoren räumlich bestimmt wird. Teilweise werden auch
Laser-Anemometer eingesetzt. Im Rahmen ihrer Promotion in
Umweltwissenschaften an der École Polytechnique Fédérale de
Lausanne (EPFL) bekam Sie die Gelegenheit selbst vor Ort eine
Messanlage auf einem Gletscher mit aufzubauen und in Stand zu
halten.
Der See- und Landwind sind typische Phänomene in der
mikroskaligen Meteorologie, die Nikki Vercauteren zu ihrer
Promotion am Genfersee zur Analyse von turbulenten Strömungen von
Wasserdampf untersucht hat. Mit mehreren
Laser-Doppler-Anemometern in einer Gitter-Aufstellung konnte sie
so die Parametrisierung einer Large Eddy Simulation dadurch
testen, in dem sie die im Modell angesetzte Energie in den
kleinen Skalen mit den tatsächlichen Messungen vergleichen
konnte.
Kernpunkt der Betrachtung ist dabei das Problem des
Turbulenzmodells: Als Verwirbelung in allen Skalen mit teilweise
chaotischem Verhalten ist sie nicht vorhersagbar und kaum
vollständig mathematisch beschreibbar. Sie spielt aber wegen der
wichtigen Eigenschaften der Vermischung und Energietransfers eine
elementare Rolle im Gesamtsystem. Glücklicherweise haben
Turbulenzen beobachtete statistische und gemittelte
Eigenschaften, die modelliert und damit im gewissen Rahmen und
diesem Sinne mit Hilfe verschiedener Modelle durch identifizierte
Parameter simuliert werden können.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Betrachtung der
Grenzschicht über dem Erdboden, die zum einen durch die
Sonneneinstrahlung besonders durch die Aufwärmung und Abkühlung
der Erdoberfläche beinflusst wird und gleichzeitig den Bereich
beschreibt, wo das bewegte Fluid Luft auf die stehenden Erde
reagiert. Eine meteorologische Eigenschaft der unteren
Grenzschicht ist das theoretische logarithmische Windprofil, das
aber bei Sonneneinstrahlung oder Nachts durch Verformung der
Turbulenzen Korrekturterme erforderlich macht.
In einer Temperaturinversion wird die Grenzschicht stabiler und
es bildet sich weniger Turbulenz aus, wodurch sich Schadstoffe
auch weniger verteilen können. In diesen Wetterlagen kann sich
durch den fehlenden Luftaustausch im Stadtgebiet leichter Smog
bilden.
Entgegen der Theorie kann es interessanterweise trotz stabiler
Schichtung zu Turbulenzen kommen: Ein Grund dafür sind Erhebungen
und Senken des Bodens, die Luftpakete beeinflussen und damit
lokale Turbulenzen erzeugen können. Eine besondere Fragestellung
ist hier die Frage nach der Intermittenz, wann ein stabiles
dynamisches System chaotisch werden kann und umgekehrt. Ein
anschauliches Beispiel von Intermittenz ist das Doppelpendel, das
von einem sehr stabilen Verhalten plötzlich in chaotisches
Verhalten umschwenken kann und umgekehrt:
Trajektorie eines Doppelpendels
CC-BY-SA 100 Miezekatzen
Leider ist bisher die Intermittenz in der Wettervorhersage nicht
alleine aus der Theorie zu berechnen, jedoch kann man die
Richardson-Zahl bestimmen, die den Temperaturgradienten in
Verhältnis zur Windscherung stellt. Dieses Verhältnis kann man
auch als Verhältnis der Energieverteilung zwischen kinetischer
Bewegungsenergie und potentieller Wärmeenergie sehen und daraus
Schlüsse auf die zu erwartende Turbulenz ziehen. Als ein
dynamisches System sollten wir ähnlich wie beim Räuber-Beute
Modell eine gegenseitige Beeinflussung der Parameter erkennen. Es
sollte hier aus der Theorie auch eine kritische Zahl geben, ab
der Intermittenz zu erwarten ist, doch die Messungen zeigen ein
anderes Ergebnis: Gerade nachts bei wenig Turbulenz entstehen
Zustände, die bisher nicht aus der Theorie zu erwarten sind. Das
ist ein Problem für die nächtliche Wettervorhersage.
In allgemeinen Strömungssimulationen sind es oft gerade die
laminaren Strömungen, die besonders gut simulierbar und
vorhersagbar sind. In der Wettervorhersage sind jedoch genau
diese Strömungen ein Problem, da die Annahmen von
Turbulenzmodellen nicht mehr stimmen, und beispielsweise die
Theorie für das logarithmische Windprofil nicht mehr erfüllt ist.
Diese Erkenntnisse führen auf einen neuen Ansatz, wie
kleinskalige Phänomene in der Wettervorhersage berücksichtigt
werden können: Die zentrale Frage, wie die in früheren Modellen
fehlende Dissipation hinzugefügt werden kann, wird abhängig von
der beobachteten Intermittenz mit einem statistischen Modell als
stochastischen Prozess beantwortet. Dieser Ansatz erscheint
besonders erfolgsversprechend, wenn man einen (nur) statistischen
Zusammenhang zwischen der Intermittenz und der erforderlichen
Dissipation aus den Beobachtungen nachweisen kann. Tatsächlich
konnte durch statistisches Clustering und Wavelet-Analyse
erstmalig nachgewiesen werden, dass im bisher gut verstanden
geglaubten so genannten stark stabilen Regime es mehrere Zustände
geben kann, die sich unterschiedlich verhalten.
Für die Entwicklung der Wavelet-Transformation erhielt Yves Meyer
den 2017 den Abelpreis. Im Gegensatz zur Fourier-Transformation
berücksichtig die Wavelet-Transformation z.B. mit dem
Haar-Wavelet die von der Frequenz abhängige zeitliche Auflösung
von Ereignissen. So können Ereignisse mit hohen Frequenzen
zeitlich viel genauer aufgelöst werden als Ereignisse mit tiefen
Frequenzen.
Das von Illia Horenko vorgeschlagene FEM-BV-VARX Verfahren kann
nun mit den Erkenntnissen angewendet werden, in dem die
verschiedenen Regimes als stochastische Modelle berücksichtigt
und durch beobachtete bzw. simulierte externe Einflüsse gesteuert
werden können.
Darüber hinaus konnten weitere interessante Zusammenhänge durch
die Analyse festgestellt werden: So scheinen im stabilen Regime
langsame Wellenphänomene über mehrere Skalen hinweg getrennt
zeitliche schnelle und lokale Turbulenzen auszulösen. Andere
Phänomene verlaufen mit stärkeren Übergängen zwischen den Skalen.
Aus der Mathematik ist Nikki Vercauteren über die Anwendungen in
der Physik, Meteorologie und Geographie nun wieder zurück in ein
mathematisches Institut zurückgekehrt, um die mathematischen
Verfahren weiter zu entwickeln.
Literatur und weiterführende Informationen
N. Vercauteren, L. Mahrt, R. Klein: Investigation of
interactions between scales of motion in the stable boundary
layer, Quarterly Journal of the Royal Meteorological Society
142.699: 2424-2433, 2016.
I. Horenko: On the identification of nonstationary factor
models and their application to atmospheric data analysis,
Journal of the Atmospheric Sciences 67.5: 1559-1574, 2010.
L. Mahrt: Turbulence and Local Circulations
Cesar Observatory, Cabauw site for meteorological research.
Podcasts
S. Hemri: Ensemblevorhersagen, Gespräch mit G. Thäter im
Modellansatz Podcast, Folge 96, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2016.
I. Waltschläger: Windsimulationen im Stadtgebiet, Gespräch
mit S. Ritterbusch im Modellansatz Podcast, Folge 14, Fakultät
für Mathematik, Karlsruhe Institut für Technologie (KIT), 2014.
L. Wege: Schwebestaub und Wassertröpfchen. Wie Wolken Wetter
machen. Folge 5 im KIT.audio Forschungspodcast des Karlsruher
Instituts für Technologie, 2017.
M. Wendisch: Meteorologie, omegatau Podcast von Markus
Voelter, Nora Ludewig, Episode 037, 2010.
R. Heise, K. Ohlmann, J. Hacker: Das Mountain Wave Project,
omegatau Podcast von Markus Voelter, Nora Ludewig, Episode 042,
2010.
B. Marzeion: Gletscher, Podcast Zeit für Wissenschaft von
Melanie Bartos, Universität Innsbruck, 2015.
B. Weinzierl: Die Atmosphäre, Raumzeit Podcast von Tim
Pritlove, Metaebene Personal Media, 2011.
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