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Beschreibung
vor 7 Jahren
Ein Gespräch mit Oliver Beige über dynamische Prozesse in der
Mikroökonomik: Über Einfluss, Ideenpropagation und
Nachbarschaftseffekte.
Oliver Beige und Gudrun Thäter haben sich online über die große
gemeinsame Schnittmenge im Musikgeschmack gefunden. Obwohl Oliver
in Berlin lebt und Gudrun in Karlsruhe ist es schon vorgekommen,
dass sie im gleichen Konzert waren ohne das rechtzeitig zu
bemerken, weil sie sich persönlich noch nicht kannten. Im
vergangenen Jahr fand Gudrun dann interessante Überlegungen zur
aktuellen Anwendbarkeit der Ideen und Modelle von Malthus, die
Oliver veröffentlicht hatte. Diese erwiesen sich als spannende
Lektüre für die Studierenden der Modellbildungsvorlesung, die
Gudrun gerade hielt. Damit war der Plan geboren, dass man sich
nicht nur unbedingt einmal persönlich kennenlernen müsste,
sondern bei nächster Gelegenheit auch für den Podcast einmal
unterhalten sollte. Diese Gelegenheit bot sich im Juli 2017 nach
einem Freiluftkonzert in der Kulturbrauerei in Berlin.
Oliver ist Ökonom. Er hat 1993 in Karlsruhe sein Diplom in
Wirtschaftsingenieurwesen erworben und sich anschließend in den
Staaten umgesehen. Dort hat er 1997 einen Master of Business
Administration (University of Illinois) abgeschlossen und sich
schließlich im Rahmen seiner Promotion an der UC Berkeley mit der
mathematischen Modellierung von Ideenpropagation und
Entscheidungsprozessen in Netzwerken beschäftigt. Er hat dabei
auch zwei Wellen von Innovation im Silicon Valley hautnah
miterlebt.
Was so einfach und grundlegend klingt ist tatsächlich eine sehr
schwierig zu beantwortende Frage: Wie beeinflussen sich
Mitglieder in einer Gruppe gegenseitig beim Finden von
Entscheidungen? Während Soziologen gerne über gruppendynmische
Prozesse diskutieren, arbeiten Ökonomen traditionell unter der
vereinfachten Annahme, dass Entscheidungen als unabhängig
voneinander getroffen werden - gestützt auf einer rein
rationalen, isolierten Nutzenkalkulation. Erst seit Kurzem wird
diese Annahme in der Ökonmie durch neue Modelle in Frage
gestellt.
Was jedoch modellhaft einen Zugang zum dynamischen
Entscheidungsprozess in einer Gruppe verschaffen kann - in dem
natürlich ganz viel Rückkopplung eingebaut werden muss - sind
neuronale Netze - z.B. die Boltzmann-Maschine. Diese hatte Oliver
in Karlsruhe kennen- und schätzen gelernt. Sie bilden ein
stochastisches Feedback-Netzwerk, in dem man auch untersuchen
kann, wie man zu einem Equilibrium kommen kann.
Wie läuft denn so eine kollektive Entscheidung ab? Vorab hat
jede/r in der Gruppe Präferenz - z.B. für einen bestimmten Film,
den er oder sie gern in Begleitung anderer in der Gruppe sehen
würde. Darüber wird gesprochen und schließlich teilt sich die
Gruppe auf in Untergruppen, die im Kino den gleichen Film sehen.
Im Gespräch werden die Präferenzen der anderen jeweils gewichtet
in die eigene Entscheidung einfließen. Mathematisch wird das
ausgedrückt in einer Nutzenfunktion, deren Wert maximiert wird.
In der evolutionären Spieltheorie kann dieses dann als ein
stochastischer Prozess modelliert werden, der mittels einer
Potentialfunktion die Meinungsbildung der Gruppe als
Equilibriumspfad darstellt.
Von einem mehr abstrakten Level stellen sich auch die Fragen an
ein so gewonnenes Equilibrium:
a) Sind die Entscheidungen für die Gruppe die besten?
b) Inwieweit beeinflusst die Struktur des sozialen Netzwerkes die
Gruppenentscheidung?
c) Kann die Gruppendynamik dazu führen, dass einzelne Mitglieder
entgegen ihrer Präferenzen entscheiden (und damit das Axiom der
offenbarten Präferenzen verletzen)?
Zur Darstellung dieser Prozesse wandelte Oliver den
traditionellen Entscheidungsbaum unter Ausnutzung der
Markow-Eigenschaft in einen Entschediungsgraphen um. Dies war
damals ein komplett neuer Ansatz und hat sich auch im großen
Maßstab bis heute nicht durchgesetzt. Neu an der Arbeit war auch,
dass zum ersten Mal im Zusammenhang der Netzwerkeffekte die
Struktur des Netzwerkes betrachtet wurde. In der ursprünglichen
Konzeption in der Arbeit von Michael Katz und Carl Shapiro wurde
die Heterogenität des Netzwerkes noch explizit ausgeschlossen.
Wie wichtig Nachbarschaftseffekte sind, weiß man in der
Innovationsökonomik aber schon seit Zvi Griliches die
schrittweise Verbreitung des ertragreicheren Hybridmaises in den
USA über Mundpropaganda erforscht hatte. Diese Form der
Ideenpropagation ist auch ein wichtiger Baustein in Jared
Diamonds "Guns, Germs, & Steel" (das den Pulitzerpreis
gewann).
Großen Einfluss auf Olivers Arbeit haben die Arbeiten des
Pioniers der Spieltheorie Thomas Schelling (Nobelpreisträger
2005), der so wichtige Begriffe wie Nachbarschaftseffekte,
kritische Masse und das Konzept des Tipping points einführte.
Heute setzt Oliver seine Kenntnisse über dynamische Prozesse bei
Entscheidungen über Investitionen in Startups, insbesondere im
Bereich der verknüpften Mobilität und der Verbreitung neuer
Technologien wie z.B. Blockchain, ein.
Literatur und weitere Informationen
J. Diamond: Guns, Germs, and Steel. W.W. Norton, 1997.
Thomas Schelling, Nobelist and game theory pioneer, 95 .
Nachruf, Harvard Gazette 14.12.2016.
O. Beige: Resurrecting Malthus and Ricardo Medium, 2016.
O. Beige: Essays on Preference and Influence Dissertation an
der University of California, Berkeley, 2006.
J. H. Conway: Game of life
Podcasts
P. Stursberg: Social Choice, Gespräch mit G. Thäter im
Modellansatz Podcast, Folge 129, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2017.
V. Caspari: Perfekte Gleichgewichte, Gespräch mit G. Thäter
im Modellansatz Podcast, Folge 61, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2015.
K. Cindric: Kaufverhalten, Gespräch mit G. Thäter im
Modellansatz Podcast, Folge 45, Fakultät für Mathematik,
Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2015.
S. Ritterbusch: Digitale Währungssysteme, Gespräch mit G.
Thäter im Modellansatz Podcast, Folge 32, Fakultät für
Mathematik, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), 2014.
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