#41 – Gerd Bingemann «Mich stört, wenn man blinde Menschen nicht ernst nimmt»

#41 – Gerd Bingemann «Mich stört, wenn man blinde Menschen nicht ernst nimmt»

34 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

«Ich vermisse das Radfahren, Menschen zu erkennen und einen
lieben Blick von meiner Frau»


Gerd Bingemann, blinder Musiker und Komponist, ist zu Gast im
fadegrad-Podcast.


Mehr über Gerd Bingemann: http://www.bingemann.ch/gerd/


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Gerd Bingemann aus Wil SG war nicht sein ganzes Leben lang blind.
Durch eine Macula-Degeneration erblindete er langsam, über viele
Jahre hinweg. In der zweiten oder dritten Primarschulklasse
merkte er erstmals, dass mit seinen Augen etwas nicht stimmte:
«Ich konnte von der Schulbank aus nicht mehr erkennen, was an der
Wandtafel stand. Als ich ich von meinem Sitznachbarn abschreiben
wollte, war ich erstaunt, dass spicken auch nicht mehr möglich
war», erzählt er im fadegrad-Podcast.


Es war ein langsames Loslassen: den Blick seiner Frau nicht mehr
sehen zu können, Hell-Dunkel nicht mehr unterscheiden zu können,
aus Sicherheitsgründen nicht mehr Velo fahren zu können. Heute
legt Gerd Bingemann nur mehr drei Wege völlig selbständig zurück.


Der 62-jährige wirkt jedoch alles andere als verbittert: Halt und
Hoffnung findet er in der Musik, seiner Frau und seinem Glauben.
«Meine Frau, die Malerin ist, hat mir eine andere Weise des
Sehens beigebracht. Ich als Musiker habe dafür ihre Wahrnehmung
für das Hören geschärft», erzählt er.


Musik prägt das Leben von Gerd Bingemann. Als er noch sehen
konnte, lernte er beim Blockflötespielen auch das Notenlesen.
Klavierunterricht erhielt er im Blindenschulheim. Gitarre, die
«Blues Harp»-Mundharmonika und Hang (Handpan) brachte er sich
selbst bei.


2021 musste der Jurist, der bis dahin bei SZBLIND, dem
Schweizerischen Zentralverein für das Blindenwesen, gearbeitet
hatte, seinen Beruf aufgeben: Als zur Erblindung eine
Hörbehinderung hinzu kam, liess er sich frühpensionieren. Ein
Leben ohne Musik könnte er sich jedoch nicht vorstellen:


«Ich hätte eine Sprache nicht mehr, mit der ich meinen Frust,
meine Freude, meine Dankbarkeit, meine Ängste, Hoffnungen, Sorgen
und Zukunftsperspektiven, meine Liebe und Romantik ausdrücken
könnte», so Bingemann.


Warum passiert das mir?


Gerd Bingemann bezeichnet sich selbst als gläubige Person. Der
Glaube an Gott fliesst auch in seine Kompositionen ein. Ein Stück
auf seiner CD heisst «Tanz auf dem Wasser», damit meint er «einen
Glaubensschritt auf die Unwegsamkeiten des Lebens hin, den ich
jeden Tag neu machen muss». Mit Blick auf die biblische Erzählung
von Petrus, der auf dem Wasser geht, sagt Gerd Bingemann: «Ich
habe die romantische Vorstellung, dass Gott über diese
Unwegsamkeiten hinweg mit mir tanzt».


Im fadegrad-Podcast spricht Gerd Bingemann auch über seine
Glaubenszweifel und seine Glaubenskrise, welche Hilfsmittel er im
Alltag verwendet und was er sich als blinder Mann von der
Gesellschaft wünscht.


Themen des Podcasts:


08:08 Hörbehinderung


15:48 Hilfsmittel für Blinde


18:11 Je schlechter die Sehkraft, desto besser die
anderen Sinne?


23:46 Tanz auf dem Wasser


26:08 Heilungsgeschichten in der Bibel


27:44 Warum passiert das mir?


30:40 Verlosung


31:17 Was sich Gerd Bingemann von der Gesellschaft
wünscht


33:17 Verabschiedung und Ausblick

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