Klaus von Dohnanyi: "Die Zeiten werden sehr stürmisch werden"

Klaus von Dohnanyi: "Die Zeiten werden sehr stürmisch werden"

12 Minuten
Podcast
Podcaster
Das "Interview" ist ein Video Podcasting Angebot der Deutschen Welle. Hier finden Sie jede Woche Interviews zu aktuellen Themen. Die Gästeliste liest sich wie ein "Wer ist Wer?" Deutschlands und Europas.

Beschreibung

vor 6 Jahren
Für die Herausforderungen der Zukunft sieht der SPD-Politiker Klaus
von Dohnanyi die liberalen Demokratien schlecht gerüstet. Sie
müssten sich grundlegend reformieren. Erst dann ließen sich die
Probleme meistern.Nicht über Politik zu sprechen, ist sehr
vernünftig - jedenfalls gelegentlich und unter Freunden.
Stattdessen, sagt Klaus von Dohnanyi, Jahrgang 1928 und ehemaliger
Minister unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, gehe
er mit Angela Merkel lieber ins Konzert. Über Musik und Kunst könne
er sich mit der deutschen Kanzlerin sehr gut verständigen - so gut,
dass beide seit langem in inniger Freundschaft verbunden sind. Und
noch etwas verbinde die beiden, erklärt von Dohnanyi im "Interview
der Woche" der DW: "Wir betrachten die Welt sehr pragmatisch".
Pragmatik ist für von Dohnanyi, seit 60 Jahren SPD-Mitglied,
Grundlage aller vernünftigen Politik: "Wenn man Politik machen
will, muss man sie so machen, dass sie sich mit den Wirklichkeiten
auseinandersetzt und nicht mit irgendwelchen enttäuschenden
Hoffnungen." Diese Haltung vertrete auch die Kanzlerin. Allerdings
sei es heute sehr viel schwieriger als früher, Politik zu
gestalten. Das liege vor allem daran, dass die Welt komplizierter
geworden sei. "Es gibt viel mehr Staaten. Es gibt viel mehr
Bedürfnis auch großer Staaten sich wieder zurückzuziehen auf ihre
eigenen Interessen. Das sieht man an Amerika, aber auch an anderen
Ländern." Paradoxerweise führe die Globalisierung dazu, dass die
verschiedenen Regionen sich wieder selbst regieren wollten. "Ihnen
ist alles zu weit weg. Brüssel ist zu weit weg. Washington ist zu
weit weg. Sie wollen lieber wieder selbst, und das macht die Arbeit
natürlich schwer." USA werden zum Problem für die Europäer Eine
wesentliche Herausforderung für Europa sei der neue Kurs der USA
unter Donald Trump. Das gehe vor allem auf die US-Sanktionspolitik
zurück. Mit Hilfe der Sanktionen zwängen die Amerikaner die
Europäer und andere dazu, "Dinge zu tun, die die Staaten nicht tun
wollen. Das ist Sinn der Sanktionspolitik." Für weniger
problematisch hält von Dohnanyi zumindest vom Grundsatz her das
Verhältnis zu Russland. "Mit Putin müsste man sehr viel mehr
reden." Allerdings: "Da sind die Amerikaner im Wege, weil sie die
Gespräche, die Verhandlungen mit Putin blockieren." Dabei sähen
auch viele amerikanische Politiker Gespräche als einzige
Möglichkeit, das westlich-russische Verhältnis wieder neu zu
ordnen. Ein schwaches Europa Europa sieht von Dohnanyi derzeit in
einer schwachen Position. Das habe vor allem einen Grund: "Die
Europäer können sich nicht auf eine gemeinsame Außen- und
Verteidigungspolitik einigen." Solle sich das ändern, erfordere
dies eine verstärkte Führungsrolle von Deutschland und Frankreich.
"Deutschland und Frankreich müssen die Dinge in die Hand nehmen,
müssen Europa führen. Es hat noch nie eine Einigung eines großen
Raumes gegeben ohne einen Hegemonialpartner. Und ehe die Franzosen
nicht verstehen welche Chance sie dort haben, auch mit Deutschland
hätten, ehe das nicht geschieht, wird auch Europa nicht
vorankommen." Ein geeintes Europa sei auch nötig, weil sich Alte
und Neue Welt derzeit auseinanderlebten. Beide seien nicht mehr
durch identische Interessen verbunden. Das gehe durchaus auch auf
geographische Voraussetzungen zurück: "Nach Amerika kommt kein
Flüchtling mit dem Ruderboot. Bei uns sind sie alle sofort im
Lande." Die Frage, ob die liberalen Demokratien für die
Herausforderungen der Zukunft hinreichend gerüstet seien,
beantwortet von Dohnanyi zurückhaltend. Deren Hauptproblem - "nicht
nur in Europa, auch in Australien, in Neuseeland, in Island also wo
immer Sie hinschauen" - sei, dass sie keine festen
Verfassungsstrukturen für die neue Zeit hätten. "Wir müssen sehen,
ob unserer Form zu wählen, unsere Form Regierungen zu bilden noch
stabil genug sind für diese stürmischen Zeiten, die vor uns liegen,
und die Zeiten werden sehr stürmisch werden, sehr stürmisch."
Niedergang der Sozialdemokratie Just in diese aufgewühlte Zeit
fällt der Niedergang der Sozialdemokratie. Diesen sieht von
Dohnanyi vor allem dadurch begründet, dass zentrale
sozialdemokratische Anliegen - etwa die wachsende Ungleichheit oder
das Problem einer gerechteren Verteilung - in einer liberalen
Demokratie sehr schwer zu organisieren seien. Zwar stehe
Deutschland bei der Einkommensungleichheit sehr gut da. "Aber bei
der Vermögensungleichheit haben wir die Probleme aus den
vergangenen vielen Krisen. Diese Folgen haben wir noch nicht
wirklich im Griff - und das ist ein großes Problem." Für den
Niedergang der deutschen Sozialdemokratie sieht von Dohnanyi auch
personelle Gründe. Indem sie auf Martin Schulz als SPD-Chef und
Kanzlerkandidat setzte, habe die SPD "einen kardinalen Fehler"
gemacht. "Der Mann war nicht geeignet eine Partei zu führen, nicht
geeignet die SPD zu führen, nicht geeignet, politische
Entscheidungen wirklich sorgfältig zu durchdenken. Der ist halt ein
netter Kerl, aber kein guter Politiker. Den hätte man da nie an der
Spitze haben dürfen." Skeptisch zeigt sich von Dohnanyi gegenüber
dem Vorschlag einer linken Sammlungsbewegung aus SPD, Grünen und
Linken. Dass diese komme könnte, hält der SPD-Mann für denkbar.
Allerdings: "Ich glaube man muss da sehr aufpassen, dass da nicht
wie meist in diesem Zusammenhang eher die Radikalen bestimmen, wo
es hin gehen soll." Die Geschichte lehre, dass bei einer
gemeinsamen Regierung von Sozialdemokraten und Kommunisten immer
die Kommunisten regiert hätten - "obwohl sie ursprünglich einen
kleineren Anteil hatten". "SPD muss Herausforderungen der
Globalisierung verstehen" Seiner Partei macht SPD-Mann von Dohnanyi
vor allem einen Vorwurf: Sie habe die Erfordernisse der
globalisierten Welt nicht hinreichend verstanden. Als Beispiel
nennt er die Senkung der Unternehmenssteuer in den USA. In Reaktion
auf sie denke Deutschland sofort darüber nach, sie ebenfalls zu
senken. "Das heißt, die Wettbewerbsbedingungen in der Welt
bestimmen eigentlich, was man tun kann. Das muss man als
Ausgangspunkt akzeptieren." Sachzwänge könne und dürfe man nicht
leugnen. Eben das tue aber die SPD, und das sei ihr wesentlicher
Fehler. "Natürlich gibt es Sachzwänge, und mit denen muss man sich
konstruktiv auseinandersetzen." Dieser Herausforderung müsse sich
die SPD noch stellen. "Wenn die SPD einmal dazu sich durchgerungen
hat, festzustellen, dass Wettbewerb und Markt und Freiheit
zusammenhängen und dazu zwingen, Dinge zu tun die man vielleicht
lieber anders machen würde - dann kann man auch anfangen wieder
richtig mit der SPD zu segeln." Wesentlich geprägt sieht sich Klaus
von Dohnanyi durch seinen Vater, den Juristen und
Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Hans von Dohnanyi. Er wurde
von den Nazis hingerichtet, als sein Sohn Klaus sechzehn Jahre alt
war. Von ihm habe er vor allem eines gelernt: "zu seiner Meinung zu
stehen und sich nicht zu fürchten, wenn andere anderer Meinung
sind."

Kommentare (0)

Lade Inhalte...
15
15
:
: