[S05E05] Individualismus (#49)

[S05E05] Individualismus (#49)

Worum geht’s in der heutigen Folge? In der 5. Staffel von [Projekt: Leben] geht es ja um die „Feinde" unserer Personal Projects, und auch dieses Mal ist wieder so ein Feind dran. Und der Feind heißt heute Individualismus. Und so möchte ich mir auch in
16 Minuten
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[Projekt: Leben] - Der Podcast für alle, die noch was vor haben im Leben.

Beschreibung

vor 5 Jahren

Worum geht’s in der heutigen Folge? In der 5. Staffel von
[Projekt: Leben] geht es ja um die „Feinde" unserer Personal
Projects, und auch dieses Mal ist wieder so ein Feind dran. Und
der Feind heißt heute Individualismus. Und so möchte ich mir auch
in dieser Folge ansehen... 
Was ist mit „Individualismus” gemeint, und was ist genau das
Problem damit?Wie wirkt sich Individualismus auf unsere Personal
Projects aus?Was können wir tun, um die negativen Auswirkungen des
Individualismus zu mildern?

 
Was ist mit „Individualismus” gemeint, und was ist eigentlich das
Problem damit?
 Gleich mal eines vorweg: Individualismus an sich, das ist
überhaupt kein Problem. Problematisch ist aus meiner Sicht, wenn
der Individualismus aus dem Ruder läuft. Aber zuerst mal: Was ist
mit Individualismus gemeint. Naja, kurz gesagt: Individualismus
ist das Gegenstück zum Kollektivismus. Kollektivismus
funktioniert nach dem Motto: Der Einzelne ist weniger wichtig als
die Gruppe. Die Interessen der Gruppe haben immer Vorrang vor den
Interessen eines Einzelnen. Auf diese Art und Weise war unsere
Gesellschaft über viele Jahrhunderte, ja Jahrtausende,
organisiert. Der Einzelne ist Teil der Gruppe und sorgt dafür,
dass es der Gruppe gut geht. Das ist die wichtigste Aufgabe, denn
das sichert das Überleben von ihm und allen anderen in der
Gruppe. Der Individualismus hingegen ist ein viel jüngerer
Gesellschaftsentwurf, der erst im 20. Jahrhundert so richtig Fuß
gefasst hat - und das auch vor allem in den so genannten
„westlichen Gesellschaften”. Viele Kulturen auf der ganzen Welt
sind bis heute stark kollektivistisch geprägt, da sind Sachen wie
Familie oder Dorfgemeinschaft oder die Gruppen, von denen man
sich als Teil sieht, nach wie vor sehr hohe Güter. Naja,
im Individualismus lautet das Motto: Der Einzelne ist
wichtiger als die Gruppe. Die Interessen des Einzelnen
müssen sich nicht den Zwängen irgendwelcher Gruppen oder
Organisationen oder Autoritäten unterordnen. Jeder ist seines
eigenen Glückes Schmied, und jeder kann das tun, was er oder sie
will und braucht nicht darauf hören, was die Eltern sagen oder
was die Großfamilie sagt oder was die Kirche oder die Partei oder
„der Staat” sagt. Diese ganzen gesellschaftlichen Institutionen,
also Familie, Kirche, Partei, Pfadfinder, Ortsgemeinschaft und so
weiter, die sind im Individualismus ziemlich abgemeldet. Nicht,
dass es sie nicht mehr gäbe und dass sie ganz unwichtig wären.
Das nicht, das ist auch bei jedem Menschen natürlich ein bisschen
anders. Aber generell lautet das Credo: Wenn du eine Entscheidung
in deinem Leben zu treffen hast, z.B. wenn es darum geht, welchen
Beruf du ergreifen willst, dann bist in erster Linie du selbst
gefordert, die Entscheidung zu treffen. Du hast alle
Möglichkeiten, aber du musst selbst auswählen und wissen, was für
dich das Beste ist. Deine Eltern schreiben dir nichts
vor, der Staat zwingt dich in keinen Job (so wie das im
Kommunismus der Fall war), du übernimmst nicht mehr automatisch
den Beruf deines Vaters, und auch „die Partei” versorgt dich
nicht mehr mit einem sicheren Posten. Du selbst bist gefordert,
dich zu entscheiden und für dich zu wählen. Und das nicht nur bei
Ausbildung und Beruf, sondern dein ganzes Leben lang. Das ist
natürlich einerseits eine große Freiheit.
Natürlich ist es super, wenn jeder werden kann, was er oder sie
will, wenn die Eltern nicht mehr aussuchen, wen man heiratet und
wenn man nicht den Pfarrer oder den Bürgermeister oder den
Bezirksparteiobmann bei wichtigen Entscheidungen um Erlaubnis
fragen muss. Das ist gar keine Frage. Es geht sogar noch weiter:
Ohne die Idee des Individualismus gäbe es auch sowas wie Personal
Projects nicht in der Form. In einer kollektivistischen
Gesellschaft hätte kaum jemand wirklich eigenen Personal
Projects, die allermeisten Projekte wären gemeinsame Projekte, da
wäre wenig Privates dabei. Dass wir uns überhaupt mit Personal
Projects auseinandersetzen dürfen, ist ein Geschenk des Wandels
in unserer Gesellschaft vom Kollektivismus hin zum
Individualismus. Aber: Wo viel Licht ist, da ist auch
viel Schatten. Weil es ist jetzt nämlich Folgendes:
Diese Freiheit, selbst entscheiden zu dürfen, sich selbst seinen
Lebensweg und seine Personal Projects aussuchen zu können… das
ist gleichzeitig auch ein Fluch: Du MUSST alle
Entscheidungen in deinem Leben selbst treffen. Ja, du
kannst deine Eltern und den Bürgermeister und den Pfarrer oder
wen auch immer natürlich um Rat fragen. Aber entscheiden, das
musst du selber. Niemand nimmt dir das ab. Und damit trägst du
auch die alleinige und die volle Verantwortung für deine
Entscheidungen! Wenn du eine Entscheidung triffst und die stellt
sich im Nachhinein als falsch heraus… naja, selber schuld.
Erwarte dir nicht allzu viel Mitleid. Du bist gefordert, das
selber wieder auszubügeln. Und genau da sind wir beim Knackpunkt
und beim Problem mit dem Individualismus: Einerseits ist das eine
riesige Freiheit, die uns viel ermöglicht - viel mehr als z.B.
noch der Generation meiner Großeltern. Und andererseits stehen
wir damit oft sehr allein da. Wir sind gefordert, ja gezwungen,
dass wir selbst unser Leben zu einer Erfolgsgeschichte machen.
Wir haben ja alle Möglichkeiten, oder? Wir können uns ja frei
entscheiden, nicht? Na dann gibt es ja auch keine Ausreden. Und
das erzeugt einen riesen, riesen Druck. Und
damit sind wir auch schon bei der Frage:   
Wie wirkt sich Individualismus auf unsere Personal Projects
aus?
Wie gesagt: Im Individualismus geht es darum, dass der Einzelne
etwas Besonderes ist und wichtig ist. Das ist grundsätzlich nicht
schlecht. Was aber schlecht ist, ist, wenn der Individualismus
aus den Fugen gerät. Dann wird wird das Besonders-Sein nämlich
zur Pflicht. Du MUSST etwas Besonderes sein. Du musst
dich von den Anderen unterscheiden. Du musst einzigartig
und authentisch sein und so weiter. Das gilt natürlich
auch für unsere Personal Projects. Nehmen wir so ein
vermeintlich simples Personal Project wie „Einen neuen Job
suchen”. Unvermeidlicher Teil so eines Projektes ist das
Bewerbungsgespräch. Und was ist eine Standardfrage von so einen
Bewerbungsgespräch? „Warum sollten wir ausgerechnet Sie nehmen?”
„Warum sollten wir ausgerechnet Sie nehmen?” - Das ist eine
typische Frage des Individualismus. Naja, warum schon? Einfach
nur zu sagen „Weil ich meine Arbeit gut machen werde.” - das
reicht nicht. Das ist paradox, aber das reicht nicht. Von der
Bewerberin in dem Gespräch wird erwartet, dass sie da jetzt etwas
Besonderes zu sagen hat, etwas, das sie von allen anderen
Mitbewerberinnen unterscheidet. Aber was soll man denn da schon
groß sagen? Sooooo einzigartig ist jeder von uns dann auch wieder
nicht, vor allem dann nicht, wenn sich mehrere Menschen um den
gleichen Job bewerben. Man kann davon ausgehen, dass die eher
mehr gemeinsam haben als dass sie unterscheidet. Aber genau
dieser Anspruch, dass wir als Person und mit unserem Leben etwas
„Besonderes” machen wollen (oder müssen), das erzeugt viel Druck.
„Einfach nur normal sein”, das reicht nicht. Normal ist fad,
normal ist unkreativ, normal ist das Gegenteil von erfolgreich.
Und so suchen wir uns Personal Projects, die unsere
Individualität unterstreichen. Die uns zu etwas Besonderem machen
sollen. Und ich rede da jetzt nicht von den Projekten, wo es
darum geht, dass wir vielleicht ein ausgefallenes Hobby haben,
das uns Spaß macht. Das ist schon in Ordnung. Es geht mir darum,
einen kritischen Blick auf unsere Personal Projects zu werfen und
uns zu fragen: Welche dieser Projekte dienen in erster
Linie dazu, mich und meine Person als etwas Besonderes zu
inszenieren? Wo geht es uns vor allem darum,
Aufmerksamkeit zu erzeugen, gut dazustehen und anderen zu
signalisieren: Schau, ich hab da coole Personal Proje...

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