#47 Der Kurz-Prozess: Zweimal Schmid, einmal Löger und die Kunst der Inszenierung
Für die 47. Ausgabe der Dunkelkammer blicke ich zurück auf den
bisherigen Falschaussage-Prozess gegen Sebastian Kurz und Bernhard
Bonelli. Thomas Schmid war zweimal da, Hartwig Löger einmal – und
gerade Löger hat durch sein "Erinnerungsdilemma" einige Fra
18 Minuten
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vor 11 Monaten
Vorneweg beste Weihnachtswünsche an die
Dunkelkammer-Community!
Und ein großes Dankeschön dazu: Danke für mittlerweile insgesamt
rund 390.000 Downloads seit dem Start im März, davon allein
64.000 im November, für achtmal Platz eins in den Apple-Podcast
Charts unter allen österreichischen Podcats und dazu drei
Nennungen in den Best-of-Kategorien von Apple für das Jahr
2023.
Die Dunkelkammer hat es in die Kategorien „beste neue Podcasts“,
„Podcasts mit den meisten Followern“ sowie „meistgeteilte Folgen“
geschafft. Das war übrigens Folge Nummer 15, das Gespräch mit
Julian Hessenthaler.
Danke für die Abos, die ihr über Apple Podcasts oder über die
Plattform Steady abgeschlossen habt,
Und danke für die Spenden, die mich erreichen.
All das hilft, das Projekt Dunkelkammer weiterzuführen.
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Hat Sebastian Kurz als Bundeskanzler aktiv in
Personalentscheidungen rund um die Staatsholding ÖBAG
eingegriffen?
Die Frage wirkt zunächst einmal nach nona.
Die Staatsholding war Zeit ihres Bestehens ein Politikum und Kurz
wäre nun wirklich nicht der erste Regierungschef gewesen, der
Einfluss auf Personalia ebenda genommen hätte. Ganz gleich, ob
sie nun ÖBAG, oder davor ÖBIB, oder davor ÖIAG oder davor ÖIG
geheißen hat. Weil Sebastian Kurz aber im
Ibiza-Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht ausgesagt
hatte, dass er 2018/2019 weder Einfluss auf die Zusammensetzung
des damals neuen ÖBAG-Aufsichtsrats genommen, noch mit der
Bestellung von Thomas Schmid zum Alleinvorstand zu tun hatte,
steht er jetzt wegen falscher Beweisaussage vor Gericht.
Gemeinsam mit seinem früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli.
Auch ihm werden Falschaussagen im U-Ausschuss angelastet.
Die WKStA sieht in Chats und den Aussagen von Thomas Schmid
Belege dafür, dass Kurz und abgestuft Bonelli eben sehr wohl in
Personalentscheidungen involviert waren. Und zwar nicht nur im
Sinne von informiert.
Ich war an einigen Prozesstagen im Großen Schwurgerichtssaal, es
waren teils sehr lange Verhandlungstage, jetzt ist Pause, am 10.
Jänner geht es weiter. Mein Resümee erzählt über 3
Personen.
Erstens: Thomas Schmid.
Er hatte zwei lange Tage im Zeugenstand zu absolvieren und er ist
sich treu geblieben. Schmid hat die Aussagen, die er schon in
Einvernahmen gemacht hatte, wiederholt und bekräftigt.
Dieses Mal unter Wahrheitspflicht im Zeugenstand, in den
Einvernahmen war er Beschuldigter und für die gibt es keine
Wahrheitspflicht. Schmid hat im Kern ausgesagt, dass Kurz und
sein Team maßgeblichen Einfluss auf die Zusammensetzung des
ÖBAG-Aufsichtsrats hatten und er den Vorstandsjob Dank Kurz
bekommen hätte. Er sagte unter anderem:
So, wie Kurz regiert hat, war es denkunmöglich, dass man eine
ÖBAG macht, einen Aufsichtsrat bestellt, der nicht abgestimmt ist
mit seinen Leuten
Schmid sprach auch wörtlich von einem Vetorecht, das der Kanzler
bei Personalfragen hatte.
Also das glatte Gegenteil dessen, was Kurz und seine Verteidigung
sagen.
Kurz und Bonelli werden übrigens am Beginn jedes
Verhandlungstages von Richter Michael Radasztics gefragt, ob sich
an ihrer bisherigen Verantwortung etwas geändert hat. Was beide
stets verneinen. Sie haben sich anfangs nicht schuldig bekannt
und sie bleiben dabei.
Das ist auch ein großes Hindernis auf dem Weg zu einer
diversionellen Erledigung wie ihn Bettina Glatz-Kremsner gegangen
ist, die ja ursprünglich mitangeklagt war.
Bei Schmids Befragung durch die Verteidiger Otto Dietrich und
Werner Suppan fiel mir auf, dass sie seine Aussagen im
Zeugenstand zu den behaupteten Interventionen von Kurz und Team
kaum bis gar nicht herausforderten. Sie versuchten vielmehr, die
Glaubwürdigkeit des Zeugen insgesamt zu erschüttern, so nach dem
Motto: Wir brauchen uns da nicht mit Details aufzuhalten, weil
der Schmid sowieso lügt, wenn er den Mund aufmacht.
Dazu wurden zum Beispiel Chats zwischen Thomas Schmid und
ÖGB-Chef Wolfgang Katzian vorgelegt, damit sollte gezeigt werden,
wie groß doch der politische Einfluss der Gewerkschaft auf die
Staatsholding war.
Das ist übrigens kein Geheimnis. Die Betriebsräte der
Verstaatlichten waren immer Machtfaktoren, an denen man nicht
vorbeiregieren konnte.
Und dann ist da noch die Geschichte zweier Russen, die Thomas
Schmid vor Prozessbeginn in Amsterdam getroffen haben. Er sollte
da angeblich für ein Ölfeldprojekt in Georgien gecastet
werden.
Man hat sich unterhalten, dies und das und irgendwann soll Schmid
dann erzählt haben, dass er der WKStA bei Einvernahmen
Unwahrheiten erzählt habe, um den Kronzeugenstatus zu erhalten.
Er sei da auch unter Druck gesetzt worden, behauptete Schmid,
behaupten die Russen.
Dazu legte die Verteidigung zwei Eidesstattliche Erklärungen vor,
die der Richter allerdings ablehnte. Die beiden Russen sollen
vielmehr geladen werden und das im Zeugenstand selbst
erzählen.
Darauf bin ich jetzt wirklich gespannt.
Denn die bisherige Darstellung ist voller Lücken und
Widersprüche. Dass die Russen ausgerechnet in Georgien nach Öl
bohren wollten, erscheint aufgrund der geopolitischen Lage an
sich schon … antizyklisch. Erst recht, wenn man bedenkt, dass
Thomas Schmid beim Treffen in Amsterdam im August 2023 längst im
Strudel der ÖVP-Affäre stand.
Er hat soweit ich weiß, keine Erfahrungen im Ölgeschäft, spricht
kein Russisch und kein Georgisch.
Aber gut, kann man alles lernen.
Wobei ich mich schon frage, wie diese angeblichen Aussagen von
Thomas Schmid bei den Russen angekommen sind. Nach meinen
Recherchen unterhielt man sich auf Englisch, wobei aber nur einer
der beiden Russen die Sprache auch wirklich beherrscht.
Wie nun der andere Russe einer Konversation über die WKStA, die
Kronzeugenregelung, Drucksituationen in Einvernahmen und die
Verlegerin Eva Dichand folgen konnte, wird er in seiner Befragung
sicher aufklären. Gehört haben es ja beide.
Interessant ist auch, dass bisher niemand die Existenz einer
Tonbandaufnahme auch nur angedeutet hat.
Die Sache ist noch nicht annähernd auserzählt, seid gespannt.
Nummer zwei: Hartwig Löger, vormals
Versicherungsbranche, dann Finanzminister, jetzt wieder
Versicherungsbranche.
Löger hat in früheren Einvernahmen und vor dem U-Ausschuss die
Verantwortung für die Ernennung des Aufsichtsrats stets auf sich
genommen. Wer da hineinkam, habe er entschieden – und nicht etwa
Kurz, den habe er nur informiert.
Formell war Löger als Finanzminister auch für die Ernennung der 6
Kapitalvertreter und innen im Aufsichtsrat zuständig.
Insofern ist das ja nicht falsch.
Aus Lögers Sicht problematisch war aber der Umstand, dass in den
Ermittlungen Chats, Sideletter und Aussagen zusammenkamen, die
dieses Bild dann doch ziemlich erschütterten –
Löger wäre demnach mitnichten so frei in seinen Entscheidungen
gewesen.
Er versuchte im Zeugenstand die Verantwortung für die
Postenbesetzungen grundsätzlich weiter zu tragen, bekannte
gleichzeitig aber ein, dass er heute gewisse
Widersprüchlichkeiten in seinen früheren Aussagen sieht.
Und das führt zum Erinnerungsdilemma, das ist ein Begriff, mit
dem Löger vor Gericht seine nunmehr schwierige Situation
aufzulösen versuchte, weil er weder die Wahrheit noch die
Unwahrheit sagen wollte oder konnte.
Das führte dazu, dass er sich vor allem an für sein Narrativ
nachteilige Chatnachrichten bzw deren Bedeutung wiederholt nicht
mehr erinnern konnte.
Andererseits konnte er bestimmte Daten, Begegnungen und
Gesprächsinhalte wiederum sehr genau wiedergeben. In letzter
Konsequenz hat Löger Kurz insofern ausgespart, als er die
letztlichendliche Verantwortung für die Postenbesetzungen an
Thomas Schmid abgewälzt hat.
Das führte allerdings zu einer kuriosen Argumentation Lögers.
Bevor der Manager Helmut Kern, angeblich auf Wunsch von Kurz und
Team, Aufsichtsratschef der neuen ÖBAG wurde, war kurz auch der
Unternehmensberater Martin Wagner im Gespräch.
Löger wurde im Verfahren gefragt, wer Wagner damals ins Spiel
gebracht hatte. Seine Antwort: Thomas Schmid.
Martin Wagner war dann auch kurz ein Kandidat Lögers, er hatte
sogar eine Zusage, aber bekam dann doch wieder eine Absage.
Warum?
Löger sagte dazu, man habe ihm seitens der ÖVP mitgeteilt, dass
man den Namen Wagner in der ÖVP nicht kennt. Wer ihm das
mitgeteilt hatte? Abermals Thomas Schmid.
Zusammengesetzt heißt das: Erst hat Thomas Schmid Hartwig Löger
den Unternehmensberater Martin Wagner vorgeschlagen,
der fand ihn auch gut und wollte ihn nehmen und dann ging das
aber nicht, weil Thomas Schmid draufgekommen war, dass den Martin
Wagner in der ÖVP niemand kennt.
Ich überlasse das jetzt unkommentiert eurer geschätzten
persönlichen Konsistenzprüfung.
Ich habe gelernt, dass ein Erinnerungsdilemma nicht unterschätzt
werden sollte.
Das macht schon etwas mit einem.
Drittens: Sebastian Kurz.
Hätte Sebastian Kurz Verantwortung für Postenbesetzungen in der
Staatsholding übernommen, hätte er zwar Kritik empfangen, weil
das mit dem neuen Stil dann doch eher nur ein Blabla gewesen
wäre, aber so what. Er stünde heute nicht vor Gericht. Der
Postenschacher, um den es da ging, war politisch relevant, aber
niemals strafrechtlich.
Über den Punkt sind wir hinaus.
Kurz mag nicht mehr Kanzler sein, die Routinen sind aber
unverändert geblieben. Siehe zum Beispiel das wiederkehrende
Begrüßungsstatement an die anwesende Presse vor Prozessbeginn.
Ist ein bisschen wie früher beim Ministerrat.
Anlässlich der ersten Befragung Schmids wollte die Verteidigung
die Befragungsroutine erst das Gericht, dann die
Staatsanwaltschaft, dann die Verteidigung umdrehen, um vor der
WKStA dranzukommen. Richter Radasztics ließ es zu.
Und da wurden dann die vermeintlichen Belastungsbomben gegen
Schmid gezündet, also die Chats und die Eidesstattlichen
Erklärungen der beiden Russen. Das war erkennbar auf den
Redaktionschluss von einigen Medien abgestimmt.
Da wollte jemand anscheinend vermeiden, erst spät abends
dranzukommen, wo der Effekt dann medial verpufft.
In Erinnerung ist mir ein Moment bei der Befragung von Thomas
Schmid durch Kurz Verteidiger Otto Dietrich.
Dietrich hält Schmid einen Chat vor, der ist auf allen Monitoren
zu sehen, die vor den Prozessbeteiligten stehen.
Im Großen Schwurgerichtssaal hängt auch eine große Leinwand für
die Prozessbeobachterinnen und Prozessbeobachter, da werden die
Beweismittel auch gezeigt. In dem Fall hatte Dietrich eine sehr
schlechte Kopie des Chats mitgebracht, auf der Leinwand war das
fürs Publikum nicht zu entziffern.
Das ist auch nicht entscheidend, solange die Prozessbeteiligten
das lesen können. Die schlechte Lesbarkeit ist Kurz aufgefallen
und er hat versucht Dietrich darauf mit Gesten aufmerksam zu
machen.
Er wollte erkennbar sagen: Die Prozessbeobachter können das nicht
lesen.
Die mediale Rezeption war ihm wichtig, sie ist ihm wichtig und
sie wird es bleiben, ganz gleich wie dieses Verfahren
ausgeht.
Und so wie es ausschaut, bekommt er sie auch. Bis wir einem
erstinstanzlichen Urteil nahe kommen, wird es jedenfalls noch
dauern.
Tatsache ist, dass dieses Verfahren die ÖVP auch 2024
beschäftigen wird, zusammen mit anderen. Darunter etwa die
Ermittlungen gegen Wolfgang Sobotka, dessen parlamentarische
Immunität nun in der Causa Pröll-Privatstiftung aufgehoben
wurde.
Ich hatte in der vorangegangen Episode erwartet, dass das im
Jänner passieren könnte, nun ging es schneller.
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