#37 Projekt "Narco Files": Europa, die neue Kokain-Küche der Kartelle

#37 Projekt "Narco Files": Europa, die neue Kokain-Küche der Kartelle

Eine schattige Welt im Umbruch: In Lateinamerika zieht der Anbau von Coca-Blättern von Kolumbien nach und nach Richtung Mexiko, Guatemala und Honduras. Die Produktionsstätten selbst wandern zunehmend nach Europa, wo ein Netz aus Kokain-Küchen in Spanien,
15 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Das Transkript zu Episode 37:


 Das ist die 37. Ausgabe der Dunkelkammer und sie erscheint
aus gegebenem Anlass außertourlich an einem Montag.


Außertourlich deshalb, da die heutige Ausgabe Teil einer
internationalen Recherche ist.


 Sie trägt den Titel Narco Files.
 


Und wie der Name vermuten lässt, geht es um die Organisierte
Kriminalität, es geht um Drogengeschäfte, es geht um
Umweltverbrechen, es geht um Geldwäscherei, es geht um Korruption
und einiges mehr.


Der Ausgangspunkt ist Kolumbien und von da weg geht es faktisch
rund um den Globus.


Narco Files. Das ist der Titel eines Projekts, an dem dutzende
Journalistinnen und Journalisten aus mehr als 40 Medienhäusern in
23 Ländern monatelang gearbeitet haben.


Ich war einer davon, zusammen mit meinem geschätzten Kollegen
Stefan Melichar von profil, wir waren quasi Team Österreich.


Gleich vorneweg: Die Österreich-Bezüge in den Narco Files sind
recht sehr schmal, darum wird es heute auch noch nicht gehen.


Mit Stefan Melichar habe ich übrigens in bereits in Episode 2
über eine damalige internationale Recherche zu illegalen
Holzgeschäften gesprochen, an der wir beide beteiligt waren.


Auch Der Standard berichtet über dieses Projekt, in dem Fall
kommt die Beteiligung über die deutsche Plattform Paper Trail
Media von Bastian Obermayer und Frederik Obermaier, die mit dem
Standard kooperieren.


Auch Frederick und Bastian waren bereits meine Gäste und zwar in
Ausgabe Nummer elf.


 Ja, in gewisser Weise haben diese internationalen Projekte
auch immer etwas von einem Familienausflug ins
Ungewisse, wenngleich wir natürlich alle wissen, was wir
aneinander haben.


 Das Projekt Narco Files ist auch ein guter Anlass, um euch
mal eine internationale Recherchekooperation aus der Nähe zu
beschreiben.


Eines der Feedbacks, das ich regelmäßig erhalte, ist ja, erzähl
doch mal, wie so eine länderübergreifende Sache eigentlich
abläuft.


An sich gibt es zwei Wege, wie so etwas zustande kommt.


 Auf kleinerer Ebene schließen sich Journalistinnen und
Journalisten mehrerer Medien zusammen, um gemeinsam an etwas zu
arbeiten. Das kann regional passieren, national oder auch
international.


 Auf einer größeren Ebene läuft es dann über
institutionalisierte große Recherchenetzwerke, davon gibt es
global einige, mit zweien arbeite ich seit iniger Zeit eng
zusammen.


Da ist einmal die US-amerikanische Investigativ-Plattform ICIJ,
das ist einerseits ein spendenfinanziertes Medienhaus, zugleich
aber auch Netzwerk, dem weltweit 290 Mitglieder angehören, in
Österreich sind das drei Leute Stefan Melichar, Ulla
Kramar-Schmid vom ORF, die jetzt demnächst auch bei mir
vorbeischauen wird, und ich selbst.


 Ein zweites internationales Netzwerk ist das Organized
Crime and Corruption Reporting Project, kurz OCCRP, das in Europa
und Amerika tätig ist.


 Auch OCCRP ist eine spendenfinanzierte
Non-Profit-Organisation, mit der in der Vergangenheit mehrfach
zusammengearbeitet habe, das sind ganz wunderbare Leute dort.


 Einer der Gründer von OCCRP ist Paul Radu, ein Mann dessen
Unerschrockenheit ich aufrichtig bewundere, er ist mir ein großes
Vorbild.


 Die aktuelle Recherche Narco Files ist zugleich auch ein
OCCRP-Projekt.


Wie man von solchen Projekten erfährt? Nun, es läutet in aller
Regel das Telefon, und man wird gefragt, ob man mittun möchte.


 Und in meinem Geschäft sagt eh nie jemand nein.


Es gibt also kleinere und größere Netzwerke, manche entstehen
spontan, andere sind institutionalisiert, was sie verbindet ist,
dass Leute medienübergreifend gemeinsam an einer Sache arbeiten.


 Was ist nun die Sache? Auch das ist unterschiedlich.


 Man kann sich vornehmen, etwas aufzuarbeiten, ohne zunächst
besonderes Insiderwissen zu haben.


 Schon aus öffentlich zugänglichen Datenquellen lassen sich
immer wieder herausragende Recherchen machen.


 Manchmal kommst du aber ohne Insiderwissen, ohne
Whistleblower nicht mehr weiter.


 Und da kommt die zweite Ebene ins Spiel: Das
Datenleck. 


 Ihr erinnert euch möglicherweise an frühere Enthüllungen
wie


Panama Papers, Paradise Papers, Pandora Papers, FinCen Files Ukio
Leaks oder Suisse Secrets.


 In all diesen Fällen waren Journalisten vertrauliche
Datensätze zugespielt worden.  


 Diese Recherchen gab es also nur, weil es die jeweiligen
Datensätze gab, ohne die wäre das gar nicht möglich gewesen.


 Und das führt mich zu den Narco Files. Auch hier handelt es
sich um ein Datenleck, richtigerweise um einen Datenhack.


 2022 hatte sich ein Hacker-Kollektiv namens Guacamaya
Zugang zu den Email-Postfächern der kolumbianischen
Staatsanwaltschaft Fiscalía General de la Nación verschafft.


Die Datensätze gingen dann an OCCRP und mehrere
lateinamerikanische Medienhäuser darunter die
Investigativ-Plattform CLIP.


 Ja und bei OCCRP setzten sich dann Leute ans Telefon und
holten sich Leute rund um den Globus an Bord, um die Datensätze
gemeinsam auszuwerten.


 Da erhält man dann als Projektpartner Zugang zu einem
gesicherten Datenraum, wo man die Dokumente einsehen kann.


 Die Kommunikation zu einem solchen Projekt läuft zum
weitaus größten Teil über Chatgruppen, wobei jedes Projekt eine
Hauptgruppe und dazu oft mehrere Untergruppen hat.


Weil nicht selten mehrere Projekte in mehreren Netzwerken
gleichzeitig laufen,


 kann das schon dazu führen, dass man zwischendurch mal die
Übersicht verliert, wer wann wem was wo geschrieben hat.


Wie gesagt, mehr als 40 Medienhäuser aus 23 Ländern machen bei
den Narco Files mit, wobei die Dunkelkammer der einzige reine
Podcast ist, soweit ich das überblicke


Was irgendwie auch cool ist.


 Was sind nun die Narco Files?


 Es sind mehr als sieben Millionen gehackte Emails der
kolumbianischen Staatsanwaltschaft aus den Jahren 2001 bis 2022.


Mit den zahlreichen Anhängen ist der Datensatz insgesamt fünf
Terabyte groß. Das ist also nicht gerade wenig.


Jetzt gibt es natürlich zwei ganz zentrale Fragen, die da
auftauchen.


Erstens: Ist das Material authentisch, unverfälscht und
vollständig?


Gerade OCCRP hat für österreichische Verhältnisse ein geradezu
unglaubliches Fact cheking-Selbstverständnis. Dort geht nichts
raus, dass nicht x-mal umgedreht wurde.


 Fact checking bei OCCRP bedeutet nicht, die Aussagen von
politischen Entscheidungsträgern auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu
überprüfen.


 Es bedeutet, dass jede Journalistin und jeder Journalist,
der/die auf der Website von OCCRP publiziert, die eigene
Geschichte einem Fact check unterziehen muss.


 Da muss nahezu jeder Bestrich gegenüber dem fact checking
department belegt werden.


 Ich habe diese Erfahrung bereits gemacht.


 Für Geschichten, die bei profil mal eben so von der
Chefredaktion durchgewunken wurden, bin ich mit OCCRP bis zu acht
Stunden beim Fact check gesessen.


 Acht Stunden musste ich belegen, dass das was ich da
geschrieben habe, auch den Tatsachen entspricht.


 Das ist eine unglaubliche gute Schule, die durch im
österreichischen Journalismus nur sehr wenige Leute gehen, kann
man leider täglich nachlesen.


 OCCRP hat die kolumbianischen Datensätze intensiv geprüft,
wie auch alle anderen Partner, die ja damit gearbeitet haben und
darauf aufbauend zum Beispiel Anfragen gestellt haben.


Das Material ist also authentisch, es kann allerdings keinen
Anspruch auf Vollständigkeit erheben.


 Vollständig sind solche Datensätze ohnehin nie, was
bedeutet schon vollständig bei einer Sammlung von E-Mails. 


 Zweite Zentrale Frage: Dürfens das denn überhaupt? Ich
mein, es sind ja immerhin E-Mails, die einer Behörde geklaut
wurden.


 Darüber haben wir intensiv gesprochen, das passiert
eigentlich bei jeder Recherche, die auf einem Leak oder Hack
aufbaut, denn am Ende ist es ja einerlei, ob ein Mitarbeiter
Daten seines Arbeitgebers leakt, oder ein Hacker von außen darauf
zugreift. In beiden Fällen haben die Besitzer der Daten der
Weitergabe an Dritte ja nicht zugestimmt.


Nun, die alles entscheidende Frage für uns ist: Gibt es ein
überwiegendes öffentliches Interesse an diesen Informationen? Ist
es also wichtig, dass die Öffentlichkeit von bestimmten Dingen in
der Welt rund um sie erfahren?


Soweit es jetzt die Narco Files betrifft war die Antwort
offensichtlich ja, sonst spräche ich hier nicht.


Die ausgewerteten E-Mails zeichnen ein erschütterndes Bild einer
Welt, die den Kampf gegen die Drogen offensichtlich verloren hat.


Die Organisierte Kriminalität ist nicht nur globalisierter
Wirtschaftszweig der unfassbare Gewinne erzielt, in vielen Teilen
der Welt sind Drogenbarone zu einflussreichen politischen Kräften
aufgestiegen.


Die Strafverfolgung? Scheitert oft. Sie kämpft mit mangelnden
Ressourcen und Möglichkeiten, sie scheitert an
Landesgrenzen.   


Wenn ein Verbrechen grenzüberschreitend passiert, ist sind
Behörden auf Kooperation angewiesen.


Und die läuft mal besser mal schlechter, oft aber nur langsam.


Wenn das Verbrechen aber global passiert, dann wird die
Verfolgung umso zäher.


Und genau das zeigen diese Datensätze: Dass sich nämlich
vermeintlich isoliert arbeitende Drogenhandelsgruppierungen zu
transkontinentalen Netzwerken zusammengeschlossen haben, manche
dieser Gruppierungen sind institutionalisiert, andere entstehen
ad hoc aus einem gemeinsamen Interesse heraus und lösen sich
anschließend wieder auf.


 Da tut sich durchaus eine Parallele zur den Arbeit von
Journalisten-Netzwerken auf.


 Mit Namen werden sich die beteiligten Medien im Laufe der
Berichterstattung übrigens eher zurückhalten, man will weder
laufende Ermittlungen gefährden, noch sich selbst.


Wie es bei solchen Projekten üblich ist, wird auch nie alles auf
einmal und überall veröffentlicht, das passiert dann immer
gestaffelt.


Auf der Website von OCCRP und denen der Partnermedien erscheinen
zum Start große Stories, die anhand staatsanwaltschaftlicher
Akten Veränderungen im Kokain-Geschäft beschreiben.


Die traditionellen Coca-Anbaugebiete in Kolumbien, Peru und
Bolivien bekommen Konkurrenz aus dem Nordwesten, der Coca-Anbau
wandert nach und nach Richtung Guatemala, Mexiko, Belize und
Honduras.


Diese Staaten galten bisher als Durchgangsländer, jetzt wird dort
eben auch angebaut.


Ja und soweit es die Herstellung des Endprodukts betrifft, diese
Produktionen wandern nach und nach nach Europa. Nach Spanien,
nach Belgien oder in die Niederlande. Wobei das Know How hier
wiederum aus Südamerika kommt.


Allein in den Niederlanden wurden seit 2018 dutzende Koks-Küchen
von der Polizei ausgehoben,


In den Narco Files ist unter anderem der Fall einer
niederländischen Gruppierung dokumentiert, die mit Hilfe
kolumbianischer Partner einen Reitstall um mehr als 1,5 Millionen
Euro zu einem großen Koks-Labor umbaute.


Nach Europa gelangt die Droge mittlerweile oftmals, in dem sie
vorgibt, alles Mögliche zu sein. Holzkohle zum Beispiel. Oder
eine Imprägnierung auf Textilien. Oder Zement. Oder als
Reisekoffer, in dessen Hartschale das Koks eingearbeitet wird.


Teils wird auch Kokain auch als Paste verschifft.


Am Ende ist ja alles nur Chemie.


Die Kokain-Basis wird auf ein unverdächtiges Trägermaterial
aufgebracht und am Zielort wird dann extrahiert.


Das kann nicht gesund sein, und das ist es übrigens auch nicht.


Also zumindest nicht für die, die es herstellen oder die, die es
konsumieren.


Einer unserer Projektpartner, das spezialisierte spanische Medium
Narco Diario konnte mit einem kolumbianischen Kokain-Koch
sprechen, der in Spanien ein sechsköpfiges Team leitete. Warum
sie das machen?


 „Es ist das, was wir gut können”, sagt er. Er sei in einer
Region in Kolumbien aufgewachsen, in der Kinder die Arbeit mit
Koka erlernten, bevor sie schreiben und lesen könnten.


Den Job in Spanien und die Einreise als Tourist hatten ihm seine
kolumbianischen Auftraggeber verschafft, gearbeitet hat er auf
einem Bauernhof irgendwo am Land.


Eine Schicht dauerte 15 Tage ohne Kontakt zur Außenwelt.


Für die aufwändige und aufgrund der Dämpfe gefährliche
Herstellung von einem 1 Kilo Koks-Pulver im Wert von mehr als
100.000 Euro bekam er übrigens 450 Euro.


Für die, die Kokain  herstellen und verkaufen lassen, war
und ist das a ein sehr sehr einträgliches Geschäft.


Und sie haben natürlich Helfer aus der Mitte der Gesellschaft.
Rechtsanwälte, Banker, Steuerberater, Logistik-Firmen,
Behördenvertreter, ja sogar korrupte Journalisten.


Das und noch mehr, wollen die beteiligten Medien in den kommenden
Tagen und Wochen ausrollen, ich schau mir kommende Ausgabe unter
anderem den wie gesagt schmalen Bezug zu Österreich an.


Da geht’s um allerdings nicht um Drogen, sondern um eine
mittlerweile verblichene kleine österreichische Bank, deren Namen
man nun auch in Kolumbien kennt.


Mehr dazu in der Dunkelkammer Nummer 38.


Die Dunkelkammer ist ein Stück Pressefreiheit. 


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