#34 Der Strafprozess gegen Sebastian Kurz: Eine Orientierung

#34 Der Strafprozess gegen Sebastian Kurz: Eine Orientierung

Am 18. Oktober wurde im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Landesgerichts für Strafsachen der Prozess gegen Bettina Glatz-Kremsner, Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli wegen falscher Beweisaussage eröffnet. Ich war am Prozesstag dabei, es ist einiges pa
19 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Vorneweg ein Aviso: Am 21. November zeichnen wir wieder eine
Folge der Dunkelkammer in der Kulisse Wien auf.  Mein Gast:
der frühere ÖVP-Chef und -Vizekanzler Reinhold Mitterlehner.
 Zu den Karten geht es hier entlang!


Das Transkript von Episode #34


18. Oktober 2023, Landesgericht für Strafsachen Wien, erster Tag
des Strafprozesses gegen Bettina Glatz-Kremsner, Sebastian Kurz
und Bernhard Bonelli.


 Das Haus ist gut besucht, mehr als 80 Medienleute haben
sich akkreditiert, ich habe übrigens die Startnummer 26
zugewiesen bekommen.


 Große Strafverfahren sind für Journalistinnen und
Journalisten übrigens immer auch irgendwie ein Klassentreffen.


 Man sieht dann Leute, die man sonst nicht so oft sieht.


 Kurz vor Prozessbeginn hat Sebastian Kurz im Foyer des
Großen Schwurgerichtssaals ein erstes Statement abgegeben:


Siehe dazu etwa folgenden Link (0:00 bis 0:55)


Ok, das Narrativ ist dem Grunde nach bekannt, Kurz hat das in der
Vergangenheit bereits mehrfach so oder ähnlich gesagt.


Die WKStA verfolgt ihn aus rein politischen Motiven und verdreht
ihm dabei die Worte im Mund.


 Interessant ist, dass Sebastian Kurz den ersten Tag seines
Falschaussageprozesses mit einer irreführenden Aussage eröffnet.


Er spricht ja in seinem Pressestatement von einem Zusammenspiel
aus Politik und WKStA, das ihm dieses Verfahren eingetragen hat.


Es seien die Abgeordneten im U-Ausschuss gewesen, die ihn nicht
nur befragt hätten, sondern "danach auch gleich" Anzeige
erstattet hätten.


"Auch gleich" ist ziemlich gewagt. Kurz hatte die jetzt
inkriminierten Äußerungen vor dem parlamentarischen
Ibiza-Untersuchungsausschuss am 24. Juni 2020 getätigt.


 Die Sachverhaltsdarstellung der NEOS-Abgeordneten Stefanie
Krisper, die dieses Verfahren überhaupt erst ins Rollen gebracht
hat, folgte allerdings nicht "auch gleich", wie Kurz sagt,
sondern fast ein Jahr später, am 29. März 2021 nämlich.


 Das gesagt, kurz nach 9.30 hat Einzelrichter Michael
Radasztics dann das Verfahren gegen „Bettina Glatz-Kremsner und
andere“ aufgerufen.


 Über die Vorwürfe habe ich bereits ausführlich berichtet,
zusammengefasst:


Kurz und Bonelli sollen im Ibiza-Untersuchungsausschuss mehrfach
die Unwahrheit gesagt haben, als es um Kurz‘ Einfluss auf
Postenbesetzungen in der Staatsholding ÖBAG ging.


 Glatz-Kremsner wiederum wurden Unwahrheiten im Ausschuss
und bei einer Einvernahme   als Zeugin durch die
Staatsanwaltschaft angelastet. Da ging es wiederum um Absprachen
rund um eine Postenbesetzung bei der Casinos Austria AG.


 Wer das nachlesen will, den Strafantrag habe ich bereits in
Episode 29 zum Download bereitgestellt, einen Link zum Dokument
findet ihr hier.


 Der Große Schwurgerichtssaal in Wien ist übrigens weitaus
schöner als er praktisch ist.


 Erstens ist er für seine Größe alles andere als optimal
bestuhlt, zweitens ist die Akustik wirklich schlecht, ohne Mikros
hörst du weiter hinten faktisch nichts mehr, und manchmal reden
Staatsanwälte und Richter an den Mikros vorbei, und dann hast du
Lücken im Vortrag.


 Aus unerfindlichen Gründen hat das Justizpersonal immer
noch keine Headsets bekommen.


Das WLAN im Saal ist recht zerbrechlich, was die Arbeit für die
aktuell tickernden Kolleginnen und Kollegen zuweilen echt zach
macht.


 Aber gut, man ist ja auch nicht zum Spaß da.


 Begonnen hat der Prozess übrigens so, wie zuletzt auch der
Buwog-Prozess begonnen hat.


 Mit einem Befangenheitsantrag.


Im Buwog Prozess richtete er sich gegen Richterin Marion
Hohenecker, nun gegen Richter Michael Radasztics.


 Eingebracht hat diesen Antrag gleich zu Prozessbeginn der
Anwalt von Sebastian Kurz, er heißt Otto Dietrich,


 Dietrich hat im Wesentlichen vorgebracht, dass Radasztics
als früherer Staatsanwalt im Eurofighter-Verfahren immer wieder
engen Kontakt zu Peter Pilz hatte


 Und Peter Pilz sei bekanntermaßen ein politischer Gegner
von Sebastian Kurz.


 Dietrich sprach von einer Relation zwischen Pilz und
Radasztics, und hat daraus abgeleitet, dass Radasztics schon
allein deshalb eine Anti-Kurz-Haltung haben könnte.


 Im Juristendeutsch spricht man da von einer
Anscheinsbefangenheit,


 und diese wäre tatsächlich ein Ausschließungsgrund, weil
man sonst ja kein faires Verfahren mehr bekäme.


 Vor Gericht saßen in diesem Verfahren ja drei Angeklagte,
vertreten durch drei Anwälte.


 Lukas Kollmann für die Erstangeklagte Bettina
Glatz-Kremsner, die frühere Casinos Austria-Managerin und
stellvertretende ÖVP-Bundesparteiobfrau


 Otto Dietrich für den Zweitangeklagten Sebastian Kurz,


 und Werner Suppan für den drittangeklagten Bernhard
Bonelli, den früheren Kabinettschef von Sebastian Kurz.


 Dem Befangenheitsantrag von Dietrich schloss sich aber nur
Werner Suppan für seinen Mandanten Bonelli an,


 Der Anwalt von Bettina Glatz-Kremsner tat das nicht, was
schon ein Zeichen war.


 Und gleich aufgefallen war mir auch, dass Sebastian Kurz
und Bonelli sich nebeneinander hingesetzt hatten, Glatz Kremsner
aber zwischen sich und Kurz zwei Plätze freigelassen hatte. Sie
saß quasi auf Distanz.


 Noch eine Wahrnehmung: Ich bin mehrere Stunden im Saal
gesessen und habe Sebastian Kurz kein einziges Mal mit seinem
Handy spielen gesehen. Das war neu.


 Der Antrag von Otto Dietrich und Werner Suppan wurde
letztlich abgelehnt. Und zwar von Richter Radasztics selbst.


 Das klingt originell, aber tatsächlich entscheiden in
solchen Fällen die Richterinnen und Richter selbst darüber, ob
sie auf Dritte den Anschein einer Befangenheit ausüben oder
nicht.


 Der Richter argumentierte, dass ihn Meinungen seines
Freundeskreises, zu dem er Pilz übrigens ausdrücklich nicht
zählt, grundsätzlich nicht interessieren.


 Er fühle sich dem Gesetz, dem Amt und sich verpflichtet und
sah demnach keinen Grund, sich aus dem Verfahren auszuschließen.


 Peter Pilz hat übrigens umgehend reagiert. Er bezichtigt
Otto Dietrich Unwahrheiten rund um die behaupteten Relation zum
Richter zu verbreiten und will ihn klagen. Mal sehen, was da
wirklich kommt.


 Für Anwälte ist so ein Befangenheitsantrag allerdings aus
einem weiteren Grund wichtig, weil man damit später eine
sogenannte Nichtigkeit begründen kann, um ein Urteil zu kippen.


Wie auch immer dieses Verfahren ausgeht, die unterlegene Seite
wird wohl berufen, und dann geht der Fall an das
Oberlandesgericht Wien.


 Sollten Kurz und Bonelli in erster Instanz verurteilt
werden, könnten die Anwälte von Kurz und Bonelli anschließend
versuchen das Urteil eben mit dem Hinweis auf einen anscheinend
befangenen Richter zu kippen.


 A propos Richter. Solltet ihr dereinst mal vor einem
stehen, ein kleiner Life hack.


 Einzelrichterinnen und -richter lassen sich gerne mit Herr
oder Frau Rat ansprechen, bei Schöffen- oder
Geschworenenverfahren ist Herr oder Frau Vorsitzende die Usance.


 Wenn ihr aber Lacher haben wollt, könnt ihr es natürlich
auch mit euer ehren probieren.  


 Warum machen jetzt alle so einen Fass wegen eines solchen
Prozesses auf?


 Es geht ja um den Vorwurf der falschen Beweisaussage.


Das ist ein Vergehen, das mit maximal drei Jahren Gefängnis
bedroht ist und es war nicht zu erwarten, dass auch nur einer
unbescholtenen Angeklagten je zu einer unbedingten Haftstrafe
verurteilt werden könnte.


Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist ein ganz
zentrales Element demokratischer Kontrolle und das kann nicht
funktionieren, wenn es den Auskunftspersonen eigentlich eh
wurscht sein kann, was sie unter Wahrheitspflicht aussagen, weil
das ohnehin niemand strafrechtlich verfolgen wird.


Das würde jeden U-Ausschuss überflüssig machen.


 Insofern ist das schon wichtiges Verfahren. Aber hier kommt
natürlich dazu, dass erstmals auch das System Sebastian Kurz vor
Gericht verhandelt wird.


 Neben den Angeklagten werden ja Zeugen wie Thomas Schmid,
Gernot Blümel, Hartwig Löger und Stefan Steiner erwartet.


 Wo stehen wir nun nach Tag eins des Verfahrens und was ist
für den weiteren Verlauf zu erwarten?


 Mittlerweile ist bereits klar, dass die ursprünglich drei
Verhandlungstage nicht halten werden, es gibt bereits vier neue,
den letzten im Dezember.


 Ein Urteil erster Instanz könnte aber noch heuer ergehen.


 Auf der Anklagebank sitzen dann allerdings nur mehr
Sebastian Kurz und Bernhard Bonelli.


 Für Bettina Glatz-Kremsner ist das Verfahren schon nach Tag
eins erst einmal vorbei.


 Sie hat von Richter Radasztics ein Diversionsangebot
bekommen. Wenn sie 104.060 Euro Geldbuße bezahlt, dann wird das
Verfahren gegen sie ohne Schuldspruch und Verurteilung
eingestellt, der Strafregisterauszug bleibt sauber.


 Die Diversion kommt ursprünglich aus dem Jugendstrafrecht
und kann dann angewendet werden, wenn kein schweres Delikt
vorliegt und die Tat grundsätzlich geklärt erscheint.


 Der oder die Angeklagte übernimmt dabei Verantwortung ohne
wirklich ein Geständnis ablegen zu müssen.


 So war das auch bei Bettina Glatz-Kremsner.


 Sie gestand bei ihrer Befragung durch den Richter ein,
Fehler gemacht zu haben, sie hätte da und dort Dinge sagen
sollen, die sie eben nicht gesagt hat, aber gemacht hat sie all
das nur im besten Willen, die Interessen der Casinos Austria zu
schützen.


 Mehr musste sie nicht machen, sie musste auch keine einzige
Frage der WKStA beantworten.


 Und das waren einige.


 Auch das ist übrigens eine Verteidigerstrategie, die ich
neuerdings öfter beobachte.


 Angeklagte weigern sich konsequent, Fragen der WKStA zu
beantworten.


 Das muss man nämlich tatsächlich nicht.


 A propos WKStA: Der ist im Strafantrag leider wieder ein
Fail passiert, an einer Stelle wurde der Ausschnitt einer
Einvernahme von Gernot Blümel doppelt einkopiert.


 Einmal als Aussage von Gernot Blümel und einmal als Aussage
von Hartwig Löger, der so tatsächlich nicht wörtlich ausgesagt
hatte.


 Wenn ihr das nachlesen wollt, die Passage findet ihr auf
Seite 91 des Strafantrags.


 Anwalt Werner Suppan erkannte und nutzte den Lapsus, um
scharfe Kritik an der Arbeit der WKStA zu üben.


 Auch das gehört zur Grundausstattung von Verteidigern.


 Man klopft die Arbeit der Staatsanwaltschaft auf
Schwachstellen ab, um die Anklage zu erschüttern.


 Soweit es die Diversion von Bettina Glatz-Kremsner
betrifft, haben wir übrigens noch keine Rechtskraft, ihr
Verfahren wurde abgetrennt.


 Sie hat zwei Wochen Zeit, die Geldbuße zu leisten, die
WKStA könnte die Diversion aber noch aus generalpräventiven
Erwägungen heraus anfechten,


 Das hat sie in jüngerer Vergangenheit in einem Fall anderen
auch getan, das Oberlandesgericht hat die Diversion daraufhin
auch aufgehoben.


 Ob die WKStA in diesem Fall gut sein lässt, wir werden es
erfahren.


 Für Kurz und Bonelli kann es keine Diversion mehr geben.


 Da ist die Verteidigungslinie auch eine gänzlich andere,
viel angriffiger. Siehe den Befangenheitsantrag gegen die
Richter, siehe die scharfe Kritik an der Arbeit der WKStA.


 Beide Angeklagte nehmen für sich in Anspruch, immer nach
bestem Wissen und Gewissen ausgesagt zu haben und keiner will
auch nur die leiseste Absicht gehabt haben, den U-Ausschuss
anzulügen.


 Soweit es jetzt Sebastian Kurz betrifft, kam erst jüngst
ein zweites Erklärmodell dazu. Der Aussagenotstand.


 Niemand in Österreich kann gezwungen werden, die Wahrheit
zu sagen, wenn er oder sie sich damit strafrechtlich selbst
belastet.


 Davon hat kürzlich der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft
Wien Johann Fuchs in seinem Strafverfahren erfolgreich Gebrauch
gemacht.


 Daraus ergibt sich bei Kurz allerdings eine ungewöhnliche
argumentative Konstellation.


 Einerseits hat er immer die Wahrheit gesagt, sollte er aber
andererseits gelogen haben, dann nur deshalb, weil er eine
Strafverfolgung fürchtete.


 Wir werden sehen, wie sich das im weiteren Prozessverlauf
entwickelt.


 Die Ankläger der WKStA, Gregor Adamovic und Roland Koch,
sehen darin jedenfalls einen "Argumentationsspagat".


 Roland Koch hat dazu am ersten Prozesstag unter anderem
bemerkt, dass Kurz sich strafrechtlich gar nicht belasten hätte
können.


 Die vermuteten Absprachen rund um die Postenbesetzungen in
der Staatsholding ÖBAG waren eine rein politische Sache,
strafrechtlich ohne jeden Relevanz.


 Wenn überhaupt hat Kurz also nicht eine strafrechtliche
Verfolgung vermeiden wollen, sondern lediglich einen
Reputationsschaden.


 Und auf den kann man den Aussagenotstand nicht anwenden.


 Im Kern wird dieses Verfahren zwei Ebenen haben: Es wird
einerseits um den Wortlaut von Aussagen von Kurz und Bonelli im
Untersuchungsausschuss gehen – und anderseits um die Frage, was
damit jeweils gemeint war.


 Da gibt es zwischen der WKStA und den Anklagten teils
erhebliche Interpretationsunterschiede.


 Was da nun glaubwürdiger wirkt, oder wie wahrscheinlicher
oder unwahrscheinlicher eine Verurteilung von Sebastian kurz nach
Tag eins geworden ist, dazu darf ich mir bestenfalls etwas
denken.


 Tatsächlich besteht mit Beginn jedes Strafprozesses ein
öffentliches Beweismittelwertungsverbot.


 Wer zum Beispiel die Qualität von Zeugenaussagen bewertet
oder gar ein Urteil vorwegnimmt, macht sich selbst strafbar.


 Abseits einer strafrechtlichen Verantwortung könnte in
diesem Verfahren übrigens auch eine politische Verantwortung
geklärt werden.


 Konkret die Frage, wer denn nun wirklich in der ÖVP für die
Besetzung des Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG verantwortlich
zeichnete.


 Der damalige Finanzminister Hartwig Löger, wie das Kurz und
Löger selbst ausgesagt haben?


 Oder nicht doch Sebastian Kurz, wie das etwa Thomas Schmid
ausgesagt hat?  


 Apropos Schmid: Er ist ein zentraler Zeuge der Anklage,


 die Verteidigung wird sich – auch das gehört dazu – nach
Kräften bemühen, seine Glaubwürdigkeit und seine Motive in
Zweifel zu ziehen.


 Für Arbeit ist also erst einmal gesorgt.


 Am 20. Oktober wird weiterverhandelt, ich werde berichten.


Die Dunkelkammer ist ein Stück Pressefreiheit. 


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