Reihe: Jesus Glauben - Folge 4/15 - Über anonyme Evangelien, Etikettenschwindel und ihre Autoren

Reihe: Jesus Glauben - Folge 4/15 - Über anonyme Evangelien, Etikettenschwindel und ihre Autoren

10 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

In der vorletzten Folge habe ich versucht, einen kurzen Überblick
über  die Theorien zum historischen Jesus zu bieten, die in
der Vergangenheit  konstruiert worden sind. Gemein ist allen
die Skepsis gegenüber den  Evangelien und viele behaupten,
die Texte seien zu spät entstanden, als  dass sie
geschichtlich zuverlässig wären. Über weite Strecken ist diese
 Skepsis eine rein ideologische Entscheidung ohne echte
Grundlage. Das  heißt man hat die späte Entstehung der
Evangelien einfach behauptet,  damit man genug Zeit zwischen
Jesus und den Evangelien hatte, um die  eigene Theorie
irgendwie hineinzubasteln. Die letzte Folge konnte hier
 schon etwas Klarheit bringen. Denn die Forschung hat durch
den Fund  zahlreicher Papyri in den letzten 150 Jahren das
Zeitfenster enger  begrenzt und manche These damit vor grobe
Probleme gestellt. Konnte man  im 19. Jahrhundert noch
vollmundig behaupten das Johannesevangelium sei  frühestens
Ende des 2. Jahrhunderts entstanden, besitzen wir heute
 Papyri wie P52 - ein Fragment des Johannes-Evangeliums, das
 üblicherweise auf die Jahre 125 bis 175 datiert wird.
Dennoch gibt es  alte Theorien, die sich gehalten haben.
Eine davon stützt sich auf die  Formkritik. Die Formkritik
ist ein Werkzeug der sogenannten  historisch-kritischen
Methode. In der Formkritik untersucht man –  absolut
sinnvoller Weise - zu welcher Art – zu welcher Gattung – ein
 bestimmter Text gehört. Handelt es sich um einen
historischen Text, ist  es ein poetischer Text, reden wir
von Hymnen oder einem Brief.... usw Im 19. Jahrhundert wurde nun
die Idee populär, bei den Evangelien handle  es sich um
Volksmärchen. Das heißt, das Volk habe sich – mit leichten
 Varianten, wie bei Märchen üblich – Geschichten über Jesus
erzählt,  diese angehört und weitererzählt ... und
weitererzählt … und   weitererzählt, bevor sozusagen
ein paar Gebrüder Grimm und ein Hans  Christian Andersen der
Antike das ganze gesammelt und in eine  geschriebene Form
gebrachte haben. Und damit diese geschriebene, fertige  Form
auch Autorität besitzt, hat irgendwann, irgendjemand, irgendeinen
 Namen eines Apostels hinaufgeklebt. Evangelium nach
Matthäus. Evangelium  nach Johannes und so weiter. Billiger
Etikettenschwindel also. Laut  dieser Theorie basieren die
Evangelien demnach nicht auf  Augenzeugenberichten, wie ihre
Titel gefälschter Weise behaupten,  sondern sind die Frucht
vieler Geschichtenerzähler. 100 Jahre oder so  seien die
Geschichten anonym durch die Welt getragen worden. Dann erst
 seien die Evangelien entstanden, wie wir sie heute
besitzen, meint etwa  der Bart Ehrmann. Dass solche späten
und ursprünglich anonymen Quellen  historisch nicht als
allzu zuverlässlich gelten können, versteht sich  von
selbst. Diese Schule der Formkritik ist bis heute in manchen
Kreisen populär,  auch wenn die extreme Spätdatierung durch
Papyri-Funde, wie gesagt,  weitgehend widerlegt ist. Aber
gibt es denn Belege wenigstens für die Grundidee der
 „Volksmärchen“Theorie? Waren die Evangelien denn jemals
anonym? Waren  sie die Frucht einer langen Erzähltradition?
Sind sie auf diese Weise  entstanden?

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