Folge 28 - Morbide Gedichte (Gottfried Benn, Georg Heym)
31 Minuten
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Beschreibung
vor 3 Jahren
Gedichte müssen sich nicht nur mit den idyllischen Fleckchen des
Lebens befassen. Bestimmte Epochen und Autoren neigen auch gerade
dazu, das Morbide in den Fokus zu nehmen. Das gilt besonders für
die Zeit des Barock - geprägt durch die Schrecken des
Dreißigjährigen Krieges und sein modernes Pendant den
Expressionismus. In dieser Folge werden zwei expressionistische
Klassiker präsentiert, literaturgeschichtlich eingeordnet und
interpretiert.
Kleine Aster (Gottfried Benn)
Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.
lrgendeiner hatte ihm eine dunkelhellila Aster
zwischen die Zähne geklemmt.
Als ich von der Brust aus
unter der Haut
mit einem langen Messer
Zunge und Gaumen herausschnitt,
muß ich sie angestoßen haben, denn sie glitt
in das nebenliegende Gehirn.
Ich packte sie ihm in die Brusthöhle
zwischen die Holzwolle,
als man zunähte.
Trinke dich satt in deiner Vase!
Ruhe sanft,
kleine Aster!
Ophelia I (Georg Heym)
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.
Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?
Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,
Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.
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