Denkereien über Wissenschaft, Strategie und Weihnachten

Denkereien über Wissenschaft, Strategie und Weihnachten

Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von “Mittelmaß und Wahnsinn“, dem Podcast über den täglichen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit in unseren Unternehmen, über die immer weiter werdende Lücke zwischen Reden und Realität....
16 Minuten

Beschreibung

vor 4 Jahren

Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von “Mittelmaß und
Wahnsinn“, dem Podcast über den täglichen Spagat zwischen
Anspruch und Wirklichkeit in unseren Unternehmen, über die immer
weiter werdende Lücke zwischen Reden und Realität.
Musings

Heute bin ich auf der Suche nach dem roten Faden. Die Gefahr ist
groß, dass dieser Podcast ein wenig springt oder mäandert
zwischen verschiedenen Themen. Wer also gerne eine Botschaft
hört, ein Argument, das auf einer mehr oder weniger geraden Linie
vorgetragen wird, der überspringt wohl besser diese Folge. Na ja,
er oder sie überspringt vielleicht besser die ganze Show. Die
direkte Linie ist hier wohl eher selten. Aber die direkte Linie
gibt’s ja auch im „Real Life“ höchstens auf der Autobahn. Und
selbst da ist mit Kurven, Ausfahrten und Hindernissen zu rechnen.
A long shot

Den Keim der heutigen „Denkereien“ bildet ein langes Gespräch,
das ich diese Woche mit Yvonne Schmid geführt habe. Yvonne
promoviert in Regensburg am Lehrstuhl für Innovations- und
Technologiemanagement bei Professor Dowling und hat mich bei
meinem Gastvortrag in seinem Strategic Management Kurs
unterstützt. Yvonne – und da fangen meine „Musings“ an –
beschäftigt sich unter anderem mit dem Zusammenhang zwischen
Strategie und Arbeitsplatzgestaltung. „Hmmm“, dachte ich, als wir
auf das Thema kamen, „das ist ein ‚long shot‘“. Vorsichtig
versuchte ich anzudeuten, dass aus meiner praktischen Erfahrung
heraus selten jemand Arbeitsplätze und Arbeitsausstattung auf
Basis einer Strategie gestalten würde. „Mode“ und „Opportunismus“
sind da eher Begriffe, die mir durch den Kopf gingen, aktuell zum
Beispiel der Trend zum „Open Plan“ Büro mit bunten Möbeln
zwischen den Schreibtischen, die die Anmutung von Modernität und
Privatsphäre erzeugen sollen. Den obligatorischen Kicker nicht zu
vergessen.


Yvonne erklärte mir dann sehr überzeugend, dass es natürlich
einen Zusammenhang gibt. Wenn man sich als innovativer
Nischenplayer positionieren möchte, habe man naturgemäß andere
Anforderungen an Arbeitsplätze als wenn man Kosteneffizienz auf
Basis von Skaleneffekten zum Paradigma habe. Und Arbeitsplatz sei
deutlich mehr als Bürogestaltung. Mir fiel dabei das Beispiel von
Microsoft ein, das ich kürzlich auf dem IT Literacy Programm der
Allianz gehört hatte. Dort ist es seit nicht allzu langer Zeit
völlig akzeptiert mit der Hardware seiner Wahl zu arbeiten. Sogar
Macbooks sind erlaubt. Ein gewaltiger Schritt für eine Firma, die
jahrzehntelang beinahe besessen so etwas wie eine
Wintel-Monopolstrategie betrieben hat. Und ein perfektes
Spiegelbild der aktuellen Open Platform / Cloud Strategie.
Anecdotal Evidence

Gleichzeitig – ein neuer Gedankensprung – erklärte mir Yvonne,
wie wenig wissenschaftliches Fundament es eigentlich zu diesem
wie zu vielen anderen Themen es gäbe und wie relativ
oberflächlich eigentlich selbst auf Fachtagungen darüber mehr
philosophiert würde als Wissen ausgetauscht und erweitert. Das
gelte übrigens auch für so populäre Themen wie
Leadership-Fähigkeiten im digitalen Zeitalter oder Agilität als
Wunderwaffe. Unwillkürlich drifteten meine Gedanken dahin ab,
dass im „Corporate Environment“ der Begriff „wissenschaftlich“
häufig eher etwas Disqualifizierendes hat, etwas, das eher für
langsam und kompliziert steht als für schnell und praktisch. Der
Punkt ist aber ein anderer: Allzu häufig nämlich machen wir uns
nicht die Mühe, Bedingungen genau zu definieren, Daten zu
analysieren und Kausalitäten zu erforschen und zu nutzen. Das
dauert vielleicht tatsächlich etwas länger als die nächste
Powerpoint-Präsentation zu pinseln. Stattdessen geben wir uns
zufrieden mit Koinzidenzen und anekdotischer Evidenz.


Ich merke gerade, dass dieser Podcast voll wird von Begriffen,
für die es nur schwer ein deutschsprachiges Äquivalent gibt.
„Musings“, „Leadership“ und „anekdotische Evidenz“ fallen schon
mal in diese Kategorie. Zurück zum Thema aber. Mit einem
Beispiel. Mehr als einmal habe ich in internen und öffentlichen
sozialen Medien gesehen, wie der „Case“ für Open Plan Büros –
schon wieder so ein Wort – folgendermaßen gemacht wird. Da stellt
man ein Bild von einem menschenleeren Gang in einem Bürogebäude
aus den achtziger oder neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts,
schlecht beleuchtet und mit geschlossenen Türen gegenüber einem
Bild, in dem Menschen unterschiedlicher Kulturen auf großen
offenen Flächen in sanftem Licht lächelnd intensiven Austausch
betreiben. Unter ersteres Bild schreibt man dann den Namen der
eigenen Company, unter dem anderen steht so etwas wie „Facebook“
mit Zusatzinformationen darüber, wie viele Fußballfelder das Open
Space Setup dort umfasst.


Die Logik muss man gar nicht erklären. Sie drängt sich auf: Wenn
Du so erfolgreich sein willst wie Facebook und Co., wenn Du im
Digitalen Zeitalter bestehen möchtest, dann ist das Open Plan
Office der einzig richtige Weg. Je größer, desto besser. Und
nebenbei bietet es auch noch viel mehr Spaß bei der Arbeit.
Zwei Bilder machen kein Argument

Tatsächlich weiß ich gar nicht, was die „richtige“ Antwort ist,
ob Open Plan besser oder schlechter ist als ein anderes
Bürokonzept. Ich selbst arbeite nicht ungern im Open Space.
Andere nicht. Und es gibt mittlerweile Studien, die zu belegen
scheinen, dass der Open Plan direkte Kommunikation eher behindert
als befördert.


Egal. Das ist gar nicht der Punkt. Der Punkt ist, zwei Bilder
machen kein Argument. Selbst die Tatsache, dass eine Firma im
Open Space gerade besonders erfolgreich ist, ist zunächst einmal
Koinzidenz. Anhand des Bildes wissen wir nicht einmal, warum
diese Company dieses Setup hat. Vielleicht ist es einfach Zufall,
weil das Bürogebäude es gerade so hergab. Vielleicht sieht es
woanders in dieser Firma auch anders aus. Vielleicht hat es etwas
mit den kulturellen Wurzeln dieser Firma zu tun. Wir wissen
anhand des Bildes auch nicht, ob es andere, vergleichbare und
ähnlich erfolgreiche Firmen gibt, die die Frage des Büros anders
beantwortet haben. Wir wissen nicht, wie sich die Menschen in
dieser Umgebung fühlen und wie es dort aussieht, wenn gerade
nicht der Fotograf da ist. Und umgekehrt gibt es sehr
wahrscheinlich auch in der anderen Firma sonnendurchflutete Gänge
und wenn man dann noch ein paar fröhliche Menschen darin
platziert, wird das scheinbare „Argument“ viel schwächer. Es ist
nämlich kein Argument. Es ist genau genommen nichts, allenfalls
ist es leicht manipulativ. Gerade fallen mir da noch ganz alte
Schwarz-Weiß-Bilder ein: „Open Plan“ Büros wo Reihen von
lächelnden Arbeiterinnen und Arbeitern im offenen Büro sitzen,
der Chef (damals tatsächlich meist ein Mann) auf einem kleinen
Podest am Kopfende. Ist auch irgendwie Open Space, oder?


Ich suche noch nach einem Beispiel aus einem Bereich, wo
„wissenschaftlich“ der Standard ist und ohne Beigeschmack
daherkommt. Physik liegt mir nahe. Wie wäre es mit einem Bild,
auf dem auf der einen Seite eine klassische Stromleitung
abgebildet ist und auf der anderen Seite ein Supraleiter. Unter
das eine Bild schreiben wir „Widerstand GROß“ unter das andere
„Widerstand NULL“. Würden wir den Office-Ansatz verfolgen, wäre
der Schluss klar: Null Widerstand ist immer besser, also ist
Supraleitung die Lösung unserer Probleme. Vielleicht. Es kommt
aber sehr stark auf das Problem an. Was das Bild nämlich nicht
zeigt, ist, dass man den Supraleiter ganz schön aufwendig kühlen
muss, damit er supraleitend wird und dass sein Material oft recht
spröde ist. Wenn es also um Überlandleitungen geht oder
Elektromotoren, dann ist der Metalldraht immer noch die bessere
Lösung. Wenn es um Magneten für’s MRT geht, dann kann man auch
zum Supraleiter greifen.
Wissenschaftlicher

Wenn „wissenschaftlich“ also bedeutet, Dingen wirklich fundiert
auf den Grund zu gehen, Ursachen und Wirkungen zu analysieren und
Entscheidungen darauf zu bauen und auf diesem Weg vielleicht weg
zu kommen vom Holzschnitt und hin zu differenzierten Lösungen,
dann brauchen wir sicher eher mehr Wissenschaft als weniger. Und
wohlgemerkt: das gilt auch zum Beispiel für „Leadership“ oder
„Agilität“ oder „Innovation“.


In leicht abgewandelter Form gilt das auch für das Thema des
Kurses, zu dem ich beitragen durfte: „Strategic Management“.
Yvonne hat mir erklärt, dass der wesentliche Inhalt des Kurses
ist, verschiedene Konzepte und Werkzeuge des strategischen
Managements, zum Beispiel Porter’s „Five Forces“, zu vermitteln
und diese dann auf „reale“ Fälle anzuwenden. Sie hat mir auch
erklärt, dass die Studenten denn Sinn dieser wiederholten Übung
nicht immer sähen. Nach etwas Nachdenken glaube ich, dass die
Studentinnen und Studenten mit dieser Haltung nicht ganz alleine
sind.
Strategie

Je nach Zeit und Mode und Unternehmen wird bisweilen recht viel
Zeit in „Strategieentwicklung“ gesteckt. Bedrückend oft hat man
aber den Eindruck, dass das eher Marketing- und
Kommunikationszwecken dient als der konkreten Anwendung. „Wir
müssen kundenorientierter, schneller, besser, billiger und
digitaler werden. Sonst geht’s bergab“. So könnte man vermutlich
weite Teile dessen subsumieren, was da als „Strategie“ unterwegs
ist. Dazu gibt es dann jeweils noch ein Strategieprojekt, das
mindestens einen dieser Aspekte mit großem Orchester intonieren
soll.


Wenn es zu konkreten Entscheidungen kommt, ist die Analyse jedoch
ziemlich oft eher „flach“. Auf eine „Strategie“, wie die oben
beschriebene, also „kundenorientierter, schneller, besser,
billiger und digital“, zahlt praktisch jedes Projekt ein – noch
so eine eingedeutschte Formulierung. Wie soll man also
entscheiden? Im einen Extremfall wird „Strategie“ zum Synonym für
das, was man nicht explizit begründen kann, das, was man einer
nicht ganz greifbaren Weisheit zufolge tun muss, um das
Unternehmen vor dem Untergang zu bewahren oder in eine strahlende
Zukunft zu befördern. Im anderen Extremfall gibt es gar keine
Strategie, sondern nur Aktivitäten, die ihren Break Even
innerhalb von drei Jahren erreichen müssen und einen bestimmten
Return on Investment innerhalb von fünf.
Business-Case-Isierung

In der Praxis führt das zu wilden Auswüchsen. Statt zu überlegen
und zu begründen, welches (strategische) Problem man mit welchen
Mitteln lösen möchte, wird entweder philosophiert oder
Business-Case-isiert. Rebecca Henderson von der Harvard Business
School hat in einem Vortrag einmal gesagt, die Studenten wüssten
nach zwei Wochen an der Universität, wie man aus praktisch allem
einen überzeugenden Business Case macht. Und genau das passiert.
Das Marketing-Projekt geht mit Neukundenzahlen an den Start … und
mit dem Beitrag zur Kundenorientierung. Das IT-Projekt verspricht
signifikante Einsparungen … und natürlich Digitalisierung. Der
Unternehmenskauf soll Synergien schöpfen … und das agile
Kulturgut der neuen Akquisition in die Muttergesellschaft tragen.


Was fehlt, ist der Kompass zwischen Philosophie und kurzfristigem
Return. Methodische Strategie. Das führt dann auch dazu, dass die
Projekte bleiben, sich ihre Ziele aber, … äh … , „entwickeln“.
Das Marketingprojekt hat zwar keine neuen Kunden gewonnen, aber
den Markenwert gesteigert. Das IT-Projekt hat zwar keine
Einsparungen gebracht, aber die Datensicherheit erhöht. Und der
Unternehmenszukauf … na ja.


Wieder halte ich es für gar nicht so entscheidend, welchen
Katalog zur strategischen Beurteilung man anwendet. Wichtiger
wäre, dass man überhaupt einen anwendet und dass man ehrlich
überlegt, welches Problem man lösen möchte und ob die
Herangehensweise, die man sich vorgenommen hat, wirklich die
richtige ist. Das ist übrigens eine spaßige Übung, wenn man sie
retrospektiv für einige seiner eigenen Projekte durchführt. Aber
oft geht es ja gar nicht darum, sondern darum, das eigene
Projekt, die eigene Idee durchzusetzen, wie ich in der letzten
Ausgabe dieses Podcasts diskutiert habe
Die stade Zeit

Schließlich ein letzter großer Gedankensprung: Weihnachten!
Schließlich ist dies auch der letzte „Mittelmaß und Wahnsinn“
Podcast vor dem Fest. Weihnachten. Die „stade Zeit“, wie wir in
Bayern sagen. Oder die „supposed-to-be“ stille Zeit. Wie geht es
ihnen? Meiner Erfahrung nach ist Weihnachten alles andere als die
stille Zeit. Das alte Budget-Jahr geht zu Ende und man muss noch
alles abschließen, Rechnungen zahlen, Rückstellungen bilden, vor
allem aber den Plänen für’s nächste Jahr den letzten Schliff
geben. Dazu noch Weihnachtsessen, Weihnachtsfeiern, Grußkarten …
von der privaten Jagd nach Geschenken, Weihnachtsdekoration und
Christbaum und Stollen ganz abgesehen. Kein Wunder, dass man
Heiligabend so herbeisehnt.


Aber seien Sie gewiss, auch danach wird es nicht stiller. Der
Jahresauftakt ruft. Neue Pläne. Auftaktveranstaltungen. Town-Hall
Meetings. Appelle. Aufarbeitung des vergangenen Jahres.
Motivation für’s beginnende Jahr. Der Januar ist schon
ausgeplant. Teile des Februars auch. Danach beginnt die richtige
Arbeit


Zwischen Heiligabend und Dreikönig sind es genau 14 Tage. Machen
Sie das Beste daraus!


So viel für heute von “Mittelmaß und Wahnsinn“, dem Podcast über
den täglichen Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit in
unseren Unternehmen, über die immer weiter werdende Lücke
zwischen Reden und Realität.


Vielen Dank für’s Zuhören, Frohe Weihnachten, eine happy Holiday
Season  und bis zum nächsten Mal!

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