Silodenken

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Silodenken Herzlich willkommen zur neuen Folge von „Mittelmaß und Wahnsinn“, dem Podcast über den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit in unseren Unternehmen, die stetig weiter werdende Lücke zwischen Reden und Realität. Heute – auf...
19 Minuten

Beschreibung

vor 5 Jahren

Silodenken


Herzlich willkommen zur neuen Folge von „Mittelmaß und Wahnsinn“,
dem Podcast über den Spagat zwischen Anspruch und Wirklichkeit in
unseren Unternehmen, die stetig weiter werdende Lücke zwischen
Reden und Realität. Heute – auf Wunsch eines einzelnen Hörers –
ganz ohne Soundeffekte.


Diesmal geht es um einen Mythos, nein um einen Unsinn, der sich
seit langer, langer Zeit in unseren Chefetagen hält: den Unsinn
von der Silo-Mentalität, seine Ursachen und Nebenwirkungen.


Laut einer frischen Umfrage der Unternehmensberatung
McKinsey beklagen 83% des leitenden Personals, dass in ihrer
Organisation Silos existierten und 97% denken, dass diese Silos
einen negativen Effekt haben.


Ich musste schon ein wenig schmunzeln, dass gerade General
Electrics in der Studie als Beispiel zitiert wird, wo Silo-Wände
eingerissen werden und „Cross-Whatever“ Kollaborationen den Weg
ins vernetzte Zeitalter weisen. Aber man muss dem Schaden ja
nicht noch den Spott hinzufügen. Vielleicht ist GE ja gerade auf
dem Weg aus der Misere, deren Wurzeln man selbst gepflanzt und
lange, lange verherrlicht hat. Aber das ist gar nicht der Punkt.
Fangen wir ganz vorne an. Im echten Leben. Beim echten Silo.
Echte Silos

Der Duden definiert „Silo“ folgendermaßen.


„Silo: 1. [schacht- oder kastenförmiger] Speicher oder hoher
Behälter zur Lagerung von Schüttgut, besonders Getreide, Erz,
Kohle, Zement. 2. Grube oder hoher Behälter zum Einsäuern von
Futter.“


Egal, welche Art von Silo man betrachtet, eines ist sicher: ein
schöner Platz ist das nicht. Haben Sie schon einmal ein Silo
gesehen, speziell von innen? In meiner Jugend waren wir öfter auf
dem Bauernhof eines Freundes. Da war auch ein Silo, in das man
durch eine kleine Öffnung schauen konnte. Die wesentlichen
Merkmale, die mir in Erinnerung geblieben sind, sind: eng, dunkel
und … gefährlich. Silogase führen zu einem schnellen
Erstickungstod und die Natur des Silos verhindert, dass Hilferufe
gehört werden, wenn man erst einmal darin gefangen ist.


Gruselig. Genau!


Behalten Sie dieses Bild im Kopf und versuchen Sie, gleichzeitig
den Gedanken darin zu halten, dass Sie mit 83-prozentiger
Wahrscheinlichkeit in den Augen Ihres Managements in genau so
einem Silo sitzen und ihr Tagwerk leisten und vor allem: dass Sie
gar nicht heraus wollen aus diesem Silo, dass Sie sich in der
Enge, der Dunkelheit und dem üblen Mief eingekuschelt haben; dass
Sie träge und immobil geworden sind unter dem Einfluss der Gase
des gärenden Getreides.


Und warum? – Weil Sie von Natur aus und per se
veränderungsunwillig sind, weil Sie ohne Anstoß von außen oder
wenigstens maßgeschneiderte Prozesse kaum zu bewegen sind und
weil es allenfalls ihre aufstrebenden Leader sind, die Sie aus
diesem Dämmerzustand reißen können und Sie über die Brücke
schubsen, die ihr trauriges Silo mit dem nächsten verbindet, in
dem Kolleginnen und Kollegen ein ähnlich deprimiertes Dasein
fristen.


Ja, ja, ja, ich weiß. Das ist eine völlige Überstrapazierung des
Bildes vom Silo. In Wirklichkeit geht es eher um das Bild von
außen, um hohe abgeschlossene Türme ohne Fenster und Türen. Wir
nennen dergleichen auch gerne einmal „Kamin“ oder „Pillar“ oder –
etwas weniger duster –  „Gärtchen“. Es geht um die
Behauptung, dass wir nur allzu gerne in unseren eigenen kleinen
isolierten Kästchen sitzen und werkeln würden, während die
eigentlichen Werte durch Vernetzungen geschaffen werden, zu denen
der durchschnittliche Mitarbeiter unfähig oder zu träge ist. Oder
beides.


Aber ist das nicht auch schon ein Symptom? – Wir reden in
Bildern, ohne diese Bilder gründlich zu erkunden. Von außen und
von innen. Und dann beginnen diese Bilder, sich zu
verselbständigen und sich zu lösen von ihrer eigenen Realität,
wie auch von der Realität, die zu beschreiben sie ursprünglich
ausgesucht wurden.


Aber zurück zum Thema.
Der Ausgang ist oben

83% des leitenden Personals wähnen weite Teile ihrer Organisation
in Silos, die sie zu 97% für schädlich halten. Müßig zu sagen,
dass sich diese 83% höchstwahrscheinlich außerhalb jener Silos
sehen, die sie mit so großer Mehrheit bedauern, dass also diese
83% zu jenen glücklichen 17% gehören, die ihr Dasein nicht im
Silo fristen müssen, sondern von der Spitze der Pyramide aus zu
Weitblick und Zusammenarbeit fähig sind.


Die erste Frage, die diese Statistik aufwirft ist, wo, wann und
wie diese Manager der beklagten Benebelung durch die letalen
Silogase entkommen sind. Rein praktisch betrachtet erscheint das
schwer möglich. Wären wirklich 83% aller Organisationen in ihren
Silos gefangen oder 83% einer jeden Organisation in Ihren eigenen
kleinen ummauerten Gärten, dann würde es doch sehr wundern, dass
überhaupt irgendjemand diesen Strukturen entkommt.


Die Vorstellung scheint zu sein, dass man zu Beginn seiner
Karriere einen dieser dunklen Container von ganz unten – mir
fehlt das richtige Verb – „betritt“ und sich dann mühsam, Sprosse
für Sprosse nach oben arbeitet bis man – endlich Executive – ganz
oben die Luke in die Freiheit jenseits des Silos entdeckt.
Herausgeklettert zwinkert man erst einmal die Augen zusammen im
hellen Sonnenschein, blickt sich um und erkennt, wie vielfältig
die Welt doch ist. Dann lässt man den Blick schweifen auf all die
anderen Silos und fängt an zu klagen. Man winkt den vereinzelten
anderen Gestalten, die – wie man selbst – auf den Dächern ihrer
Silos sitzen; - nicht aber ohne vorher die Klappe durch die man
gekommen ist, wieder fest hinter sich zu verschließen.


Auch andere Interpretationen des Klage-Phänomens sind denkbar.
Die erste ist, dass besagte Manager genauso im Silo sitzen wie
alle anderen und es entweder von innen heraus beklagen oder
einfach nicht zugeben wollen, dass sie auch Gefangene ihres
eigenen Palastes sind.


Eine andere Auflösung wäre, dass das Silo-Phänomen gar nicht so
ausgeprägt ist und dass die Klage darüber entweder ein Medium
ist, um sich „nach unten“ abzugrenzen oder einfach ein
Nachzwitschern einer gerade populären Melodie. Vermutlich ist es
am Ende ein wenig von allem.


Das Silo sind immer die Anderen.


Bevor ich zu dem Punkt komme, den ich an dieser Silo-Sache am
wenigsten mag, eine andere Frage: Was ist eigentlich ein „Silo“?
– Nein, diesmal nicht im echten Sinn des Wortes. Wir haben ja
schon gesehen, dass es sich um ein Bild handelt, das sich
verselbständigt hat.
Das (nicht ganz so) böse Silo

Was meint der moderne Manager oder Unternehmensberater, wenn er
von „Silo“ spricht?


Das Controlling-Wikider Hochschule Luzern definiert den Begriff
„Silodenken“ so:


„Der Begriff „Silodenken“ wird in der Literatur zur
betriebswirtschaftlichen Organisationslehre dazu benutzt, nach
innen orientierte Organisationsbereiche zu beschreiben, die
externen Beziehungen zu wenig Beachtung schenken (Fenwick,
Seville & Brunsdon, 2009, S. 4). Kommunikationsprobleme als
auch die fehlende oder ungenügende Zusammenarbeit zwischen
einzelnen Bereichen und weiteren Anspruchsgruppen sowie die
Entwicklung einer eigenen Kultur gehören zu den typischen
Merkmalen solcher Organisationseinheiten. Daraus können
Rivalitäten resultieren, welche es bspw. innerhalb einer Business
Unit oder innerhalb eines Konzerns verunmöglichen, die
übergeordneten Zielsetzungen zu erreichen (Stone, 2004, S. 11).
Synonym für diese in dezentralen Organisationsstrukturen
verbreitete Dysfunktionalität lassen sich auch die Begriffe
„Ressortdenken“, „Bereichsegoismen“ oder „Gärtchendenken“
benutzen (Vahs, 2015, S. 207-209).“


 Ähnliche Definitionen findet man zuhauf und sie klingen
alle bestürzend: Konkurrenzdenken, Mangel an Kommunikation,
Egoismen, Subkulturen … . Das scheint kein Umfeld, das Freude
macht und Ergebnisse schafft und so heißt das moderne
Gegen-Paradigma „Kollaboration, Kollaboration, Kollaboration!“.
Dieses Paradigma muss dann auch herhalten, um andere
Dysfunktionen zu rechtfertigen: von der exzessiven
Besprechungskultur bis hin zum Open Plan Office, das sich selbst
pervertiert indem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darin auf
Noise-Cancelling Techniken zurückgreifen, um sich konzentrieren
zu können und per Chat kommunizieren, weil man sich sonst noch
mehr gegenseitig stört.


Praktisch niemand macht sich Mühe, dem bösen Silo etwas Positives
abzugewinnen. – Es passte ja auch kaum ins düstere Bild … und
erst recht nicht zum Zeitgeist. Wie wäre es beispielsweise mit
Expertise, die man in einem Team von Experten besser entwickeln
kann als in Dauermeetings mit gesund Halbwissenden? Oder mit
einem Gefühl der Zusammengehörigkeit, das man in kleineren
Strukturen viel eher und besser erreichen kann als im Moloch der
globalen Korporation?


Vielleicht bedeutet das auch, „Subkulturen“ zu umarmen. Wer
glaubt schließlich wirklich an die einende Kraft eines per
Definition weichgespülten Mission-Statements für einen
Großkonzern nach dem Motto:


„Wir streben mit all unserer Kraft danach, unseren Kunden die
allerbesten Services und Produkte zu bieten und unseren
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein hervorragendes
Arbeitsumfeld. Wir bekennen uns dazu, unseren Shareholdern einen
herausragenden Return zu liefern und sind und bleiben bei alldem
integrer Bestandteil der Gesellschaft auf Basis solider
moralischer Grundlagen.“ Oder – kürzer und moderner: „Wir wollen
die Welt besser machen und dabei möglichst viel Geld verdienen!“.
Es kann nur einen geben

Schließlich die Frage des Konkurrenzdenkens. Im Silo-Kontext
klingt der Begriff der „Konkurrenz“ geradezu böse. Das moderne
Mantra lautet: Konkurrenz verhindert Kollaboration und nur durch
Kollaboration lassen sich positive Ergebnisse erzielen. Das ist
vielleicht nicht ganz verkehrt, wenn die ganze Kollaboration auch
noch Raum lässt für die Pflege von Expertise und wenn die
Effizienz des Denkens und Handelns nicht im Dauer-Meeten
aufgelöst wird. Der Punkt ist aber ein anderer.


Fast alle unsere tradierten Methoden der Führung basieren
geradezu auf dem Konkurrenzprinzip.


Wenn man möchte, fängt es schon ganz global an. Mit dem
Wettbewerb. Jenen gilt es zu schlagen. Mit fast allen Mitteln.
Sonst – so das Mantra – werde das eigene Unternehmen entweder
gänzlich verschwinden oder „gefressen“ werden von einem dieser
Wettbewerber. Das größte Silo von allen – das des eigenen
Unternehmens – steht also nicht in Frage und es ist
selbstverständlich und völlig legitim, dieses Silo mit allen
Mitteln abzugrenzen, zu verteidigen und auszubauen. Auch das ist
nicht an sich falsch. Aber muss man sich wundern, wenn sich
dieses Muster auch nach innen fortsetzt? – Silos in Silos in
Silos … .


Auf der anderen Seite des Spektrums sieht es eher noch
dramatischer aus: beim Individuum. Anerkennung und Be- oder
Entlohnung sind vollständig dominiert vom Konkurrenzprinzip. Wenn
es um Beurteilung, Entwicklung und Bezahlung geht, ist es fast
immer „ich oder jemand anders“. Dort, wo noch nach den Regeln der
Gauß’schen Verteilung verteilt wird, ist das sogar mathematisch
evident: für jeden „Guten“ muss es einen „Schlechten“ geben.
Abgrenzung heißt also das Gebot. Etwas kompliziert wird die Sache
dadurch, dass neuerdings an manchen Stellen „Kollaboration“ ein
Teil der Definition von „Gut“ geworden ist. Der Trick ist also,
sich in und durch Kollaboration als Einzelner abzugrenzen. Das
ist zwar Paradox, aber der Homo Corporaticus quadriert auch
diesen Kreis und seine Managerin oder sein Manager wird schon
einen Weg finden, die Zusammenarbeiter im Team geeignet zu
ranken..


Wenn aber „ganz oben“ und „ganz unten“ Konkurrenz das
Erfolgsmuster definiert, wo soll dann Kollaboration anfangen?
Geben wir uns keiner Illusion hin. Auch auf den Ebenen dazwischen
regiert systematisch das Abgrenzungsprinzip: Wie viele
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten an mich? Wo hängt das
strategische Projekt? Wie werden Budgtes und Kompetenzen
verteilt? …


Die Diskussion führt als auf zwei Erkenntnisse.


Erstens: das „Silo“ ist teilweise gar nicht so böse, wie es das
Bild vermitteln will. Richtig verstanden, fördert es Expertise
und Zusammenhalt.


Zweitens: wenn man wirklich etwas ändern möchte und sich nicht
nur dem komfortablen Klagen ergeben, dann muss man einige
fundamentale Paradigmen ändern. Man muss ran an die
Erfolgsmuster, die die Organisation definieren. Man muss über
signifikante Änderungen der Organisation und ihrer Prozesse
nachdenken. Noch mehr „bereichsübergreifende“ Komitees und
Aktivitäten werden nicht helfen.
Warum?

Schließlich zum größten Ärgernis, das das berühmte Silo-Bild
beinhaltet: das Menschenbild, das ihm zugrunde liegt. Fast allen
Theorien vom Veränderungsmanagement liegt eine Annahme zugrunde:
der Mensch an sich sei veränderungsunwillig. Er oder sie kuschle
sich am liebsten im Gewohnten ein in der gewohnten Umgebung, auch
wenn diese Umgebung besagtes „Silo“ sei. Er oder sie strebe für
gewöhnlich – sehen wir von den besagten erleuchtungsfähigen 17%
oder weniger ab – nicht nach dem Weg heraus aus der Gewohnheit.
Stattdessen mache es man sich halt bequem, schaffe sich eine
„Komfortzone“ und tue fast alles, um diese nicht verlassen zu
müssen.


Um sie oder ihn aus dieser Komfortzone herauszubringen, brauche
es für gewöhnlich eines straken Pushs, der von ganz oben kommen
müsse, weil er sonst schon in der Lehmschicht des mittleren
Managements sein Momentum fast ganz verlieren würde.


Und so manifestierten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch
ihre Silos und ihren Platz darin quasi von innen – zum Bedauern
von 83% ihres höheren Managements, das diese Manifestation zu 97%
für schädlich hält. Da stellt sich natürlich die Frage, was man
außer Klagen tut, um die Situation zu verändern, denn das Thema
ist keineswegs neu, sondern schon Jahrzehnte auf der Agenda …
ohne dass die Klagen weniger würden.


Vielleicht ist es ja auch gar nicht so schlimm und die Klage
einfach eine lieb gewonnene Gewohnheit. Eine ebensolche
Gewohnheit ist das Bild vom veränderungsunwilligen Durchschnitt.
Ich habe es schon an anderer Stelle geschrieben: Wir Menschen
sind nicht intrinsisch veränderungsunwillig. Im Gegenteil, wir
sind Entdecker und Helfer. Wir reisen, um Anderes zu erfahren.
Wir gründen Familien. Wir engagieren uns in Vereinen, Schulen,
Kindergärten … . Wir suchen neue Freunde, ziehen in andere
Städte, … . Fast unabhängig von Alter und anderen Faktoren.


Lediglich am Arbeitsplatz sagt man uns jene Trägheit nach, die
den Push von ganz oben bräuchte, um überwunden zu werden.


Dabei geht es fast nur um das „Warum“. Warum sollte ich den
Kollegen aushelfen, wenn ich nur nach dem Erfolg „meines“
Projekts beurteilt werde? Warum sollte ich nicht um „mein“ Budget
kämpfen, wenn mein Status dadurch definiert wird? Warum sollte
ich nach getaner Arbeit noch „netzwerken“, wenn ich dafür meine
Kinder nicht von der Kita abholen kann?


83% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beklagen, dass die
Antworten auf diese Fragen für „bestenfalls abstrakt“ sind. 97%
hielten sie für wichtig.


 


 

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