Ist die Krise schon vorbei? (Christian Helmenstein)
37 Minuten
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Beschreibung
vor 1 Jahr
2022 wird als besonders schwieriges Jahr in Erinnerung bleiben,
in dem scheinbar alles schief ging. Dennoch wuchs die Wirtschaft
in Österreich um fast fünf Prozent, mehr als doppelt so stark wie
in Deutschland. Auch die Aussichten für das laufende Jahr wurden
zuletzt besser, mit einer tiefen Rezession rechnet kaum noch
jemand. Warum läuft es jetzt doch besser als erwartet?
Antworten auf diese und viele weitere Fragen gibt Christian
Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, im
aktuellen Podcast der Agenda Austria. Es bestehe derzeit
tatsächlich Grund für „konjunkturelle Zuversicht“, meint der
renommierte Volkswirt. „Die nächsten sechs Monate werden noch
sehr schwierig werden. Aber der Aufschwung wird uns in der
zweiten Jahreshälfte oder spätestens 2024 erwarten.“
Den Hauptgrund für die verbesserte Prognose sieht Helmenstein in
den enormen staatlichen Hilfspaketen: „Damit konnte die
Konjunktur soweit stabilisiert werden, dass wir in der Tat jetzt
mit einer Stagflation rechnen können, nicht mehr mit einer
Rezession. Wir haben uns Wirtschaftswachstum und Stabilität auf
Kosten künftiger Generationen erkauft.“ Ein Konzept für die
Zukunft sei das natürlich nicht. Würde man auf diesem Weg
weitergehen, käme man irgendwann an die Grenzen des möglichen
Verschuldungsgrades.
Dass die Wirtschaft in Österreich zuletzt so viel besser lief als
in Deutschland, erklärt der Ökonom vor allem mit dem
unterschiedlichen Branchenmix. „Die deutsche Wirtschaft hat enorm
unter der Schwäche der Autoindustrie gelitten, die schon seit
2018 anhält. Das haben wir in Österreich so nicht. Wir sind gut
diversifiziert. Daneben haben wir auch noch einen starken
Tourismus.“ Aber Deutschland werde sich bald wieder erfangen,
glaubt Helmenstein. Nicht zuletzt dank einer neu durchstartenden
Autoindustrie.
Nicht eingetreten ist zum Glück auch der befürchtete
Energienotstand. Niemand muss in einer kalten Wohnung sitzen,
keine Fabrik wurde wegen Energiemangels dichtgemacht. Für
Helmenstein liegt das an mehreren Faktoren: „Furcht kann ja auch
ein guter Hinweisgeber für tragfähige Entscheidungen sein“, sagt
er. „Das scheint mir passiert zu sein. Wir haben alles daran
gesetzt, die Bezugsquellen zu diversifizieren. Eine Zeitlang
kamen auch noch beträchtliche Mengen Gas aus Russland. Außerdem
haben wir Glück gehabt; der Winter war bisher mild. Und
schließlich zeigt sich, dass die Marktwirtschaft funktioniert.
Die Preissignale wurden richtig verstanden, es kam zu
Einsparungsmaßnahmen.“
Der herrschende Arbeitskräftemangel werde die Industrie wohl noch
eine Zeitlang vor Probleme stellen. Doch auch in diesem Bereich
setzt der Ökonom auf die Kraft des Marktes. Seit Jahren gebe es
Klagen über zu geringe Produktivitätszuwächse. Der ausgedünnte
Arbeitsmarkt sei jetzt ein guter Grund, sich diesem Thema zu
widmen, erklärt Helmenstein im Podcast der Agenda Austria:
„Innovative Unternehmerinnen und Unternehmer werden darüber
nachdenken, wie sie die Produktivität ganz massiv steigern
können. Dadurch entstehen auch neue Einkommensperspektiven für
die Beschäftigten.“
Nur bedingt gute Nachrichten hat der IV-Ökonom, was die weitere
Entwicklung der Inflation betrifft. „Wir werden nicht so schnell
vom hohen Niveau herunterkommen. Die neuesten Prognosen sagen,
dass wir in der Eurozone das Zwei-Prozent-Ziel nicht vor 2025
erreichen werden.“ Es könne aber auch länger dauern. Aus der
Industrie kämen unterdessen bereits dämpfende Effekte. „Die
Zuwachsraten bei den Industriegüterpreisen gehen schon deutlich
zurück.“
Christian Helmenstein, 56
Der gebürtige Deutsche studierte Volkswirtschaftslehre an der
Universität Köln und promovierte in Bochum. Er war am Institut
für Höhere Studien tätig und ist seit 2004 Chefökonom der
Industriellenvereinigung. Helmenstein leitet auch den
unabhängigen internationalen Forschungsverbund Cognion, zu dem
etwa das Economica Institut für Wirtschaftsforschung gehört.
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