Kann es in diesem Krieg noch einen Sieger geben? (Markus Reisner)

Kann es in diesem Krieg noch einen Sieger geben? (Markus Reisner)

49 Minuten

Beschreibung

vor 2 Jahren

Rosemarie Schwaiger spricht mit dem Militärstrategen Markus
Reisner

Mehr als acht Monate nach dem Beginn des russischen
Angriffskrieges gegen die Ukraine ist kein Ende in Sicht. Oberst
Markus Reisner, Militärstratege beim Österreichischen Bundesheer,
hat im Podcast der Agenda Austria schon vor fast einem halben
Jahr einen langen, blutigen Krieg prophezeit. In der Neuauflage
des Gesprächs muss er bei dieser Einschätzung bleiben: Ein Ende
sei erst in Sicht, wenn eine Seite messbare militärische Erfolge
erzielt habe, meint Reisner. „Das wäre die Voraussetzung, dass
zumindest einer mit Verhandlungen beginnen muss. Solange es diese
durchschlagenden Erfolge nicht gibt, wird der Krieg weitergehen.“


 Zuletzt habe die Ukraine zwar einige Städte wieder zurück
erobert. Dennoch sei Russland längst nicht am Ende. „Das Paradoxe
ist: Trotz der Erfolge auf dem Gefechtsfeld besteht für die
Ukraine die Gefahr, in Nachteil zu geraten, weil es nicht
gelingt, den russischen Angriffen auf die Infrastruktur etwas
entgegenzuhalten“, analysiert Reisner.


 Einen Sieger kann es nach Ansicht des Experten nicht mehr
geben: „Ich würde den Begriff Sieg in diesem Zusammenhang
vermeiden“, sagt er. Dafür sei schon zu viel Schreckliches
passiert. „Wir stehen vor den Trümmern der europäischen
Sicherheitsarchitektur. Die Strategie der Russen ist jetzt
offenbar, die Dinge, die sie nicht bekommen, zu zerstören. Und
die europäische Bevölkerung ist Teil eines Wirtschaftskriegs, der
auf jeden Fall zu einem Wohlstandsverlust führen wird.“ Er hoffe
nur, dass der Konflikt regional einhegbar bleibe und beide Seiten
an den Verhandlungstisch zurückkehren.  „Momentan sagt die
Ukraine, wir wollen diesen Weg bis zum Schluss gehen. Die Frage
ist, ob das so bleibt. Auch Russland sagt, wir wollen unsere
Ziele erreichen, koste es, was es wolle. Vielleicht gibt es auch
hier irgendwann die Einsicht, dass es sich nicht mehr ausgeht.“


 Anders als in der Öffentlichkeit vermittelt, sei die
Kommunikation im Hintergrund wohl doch nicht gänzlich zum
Stillstand gekommen – weder zwischen den Kriegsparteien, noch
zwischen den USA und Russland: „Es gibt sicher Kontakte und
Kommunikationskanäle. Der Beweis dafür ist der Umstand, dass ein
Gefangenenaustausch zustande kam. Dafür musste kommuniziert
werden. Das ist etwas, was uns beruhigen sollte.“ Bevor es zu
einer atomaren Eskalation käme, würde man wohl doch noch zum
Telefon greifen, ist Reisner überzeugt. 


 Über die Zahl der Opfer kann auch der Militärstratege nur
spekulieren: „Wir müssen davon ausgehen, dass beide Seiten
mehrere Zehntausend getötete Soldaten haben. Die endgültigen
Zahlen werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Und es geht ja
nicht nur um die Soldaten, sondern auch um die Zivilisten. Allein
in Mariupol sind tausende Menschen im Bombenhagel gestorben.“
Sorgen bereitet Reisner die auf beiden Seiten zu beobachtende
Eskalation der Sprache. „Wir erleben eine Dehumanisierung des
Gegners. Die Russen bezeichnen die Ukrainer nur noch als
Faschisten, die Ukrainer sprechen umgekehrt von den Orks – in
Anlehnung an den Herr der Ringe. Wir hatten ja eigentlich als
Menschheit gedacht, wir hätten uns weiterentwickelt. Jetzt sehen
wir, dass wir um nichts klüger geworden sind.“ 


 Wichtig wäre nun, wieder verstärkt auf Diplomatie zu
setzen, meint Reisner. „Wir müssen uns die Möglichkeit offen
halten, über Kommunikation zu ertasten, wann der eine bereit ist,
auf den anderen zuzugehen. Wenn so ein Signal kommt, sollten wir
es hören.“ 

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