Im Gespräch mit ... Susan Neiman (Audio)

Im Gespräch mit ... Susan Neiman (Audio)

1 Stunde 16 Minuten

Beschreibung

vor 1 Jahr

Dass in der einst von Habermas aufgerufenen neuen
Unübersichtlichkeit die Verhältnisse so durcheinander geraten
sind, dass die Prophezeiungen der Macbeth-Hexen zum alltäglichen
Grundrauschen geworden sind (Fair is foul, and foul is fair), ist
ein Umstand, der die Philosophie auf den Plan ruft - in diesem
Falle die amerikanische Philosophin Susan Neiman, die ein Buch
mit dem Titel Links ist nicht woke verfasst hat. Darin geht sie
den philosophischen Wurzeln dieses Denkens nach, das sich als
progressiv gebärdet, aber, wenn man seinen philosophischen
Wurzeln auf den Grund geht, tatsächlich einer eminent
reaktionären Denkrichtung zum Durchbruch verhilft. Dass Michel
Foucault (oder genauer: sein posthumer Schatten) zum spiritus
rector des woken Denkens geworden ist, hat sich herumgesprochen;
sehr viel dunkler hingegen ist, dass auch der Kronjurist des
Nationalsozialismus, Carl Schmitt, als Souffleur unter dem
Bühnenboden der Gegenwart hockt. Was diesen beiden Geistern
gemein ist, ist, dass sie sich, jeder auf seine Weise, ganz der
Macht verschrieben haben. Das sich der eine (Foucault) als
Dämonologe, der andere (Schmitt) als Apologet gebärdet,
verschlägt dabei nicht viel – denn die Fokussierung auf die Macht
lässt das Gesellschaftgetriebe als eine Art verdeckten
Bürgerkrieg erscheinen. In das gleiche Horn stößt die in den
letzten Jahren zu Ansehen gekommene Evolutionspsychologie, die
das Weltgeschehen auf die eigennützigen Gene reduziert. Es ist
ein besonderer Verdienst Susan Neimans, dass sie sich dieser
verdeckten Grundlagen angenommen hat. Denn ihr gelingt, woran der
zeitgemäße Liberalismus scheitert, dort jedenfalls, wo er in der
moralische Empörung über die moralische Empörung, über Wokistan
und die Cancel Culture verharrt. - Damit die Zuschauer sich dem
Lektüre-Genuss dieses Buches überlassen, dreht sich das Gespräch
mit Susan Neiman vor allem um die Frage, welcher Art das
Befremden war, dass sie, die sich zeitlebens als Linke verstanden
hat (»Das Herz schlägt links«) zur Kritik an Denke Wokistans
veranlasst hat. Tatsächlich ist das woke Ressentiment, das der
Aufklärung, dem Universalismus und dem Fortschritt den Prozess
machen will, vielleicht am präzisesten als Ausdruck einer
geistigen Atomisierung zu sehen, als begriffsloser Kampf gegen
eine verlorene Zukunft, ein Unbehagen in der Moderne. Oder wie
Susan Neiman selber sagt:


Gibt man die Aussicht auf einen Fortschritt aber auf, wird
Politik zum reinen Machtkampf.


Susan Neiman, die als Schülerin von John Rawls tief in der
politischen Philosophie beheimatet ist, ist Direktorin am
Einstein Forum in Potsdam. Sie hat eine Reihe von Büchern
veröffentlicht, die sich um die Frage der Aufklärung, das Böse
und die Frage der deutschen Holocaust-Aufarbeitung drehen.


Von Susan Neiman sind u.a. folgende Bücher erschienen:


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