Sven Regener liest Franz Kafka "Der Prozess" - Hörprobe
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Beschreibung
vor 8 Jahren
"Gerichtsdiener, die einem erst einmal das Frühstück wegessen,
Richter, von denen die untersten unerreichbar und die obersten
völlig unbekannt sind, eine Anklage, deren Inhalt keiner weiß, eine
Verhaftung, nach der der Verhaftete frei herumlaufen darf, ein
Gericht, das seine Kanzleien und Vernehmungszimmer auf den
Dachböden der Vorstädte unterhält, ein bettlägeriger Verteidiger,
der an Eingaben arbeitet, die nie fertig werden und niemals fertig
werden können, Frauen, die die Angeklagten um ihrer Schönheit
willen lieben und ansonsten dem Gericht sexuell unterworfen sind,
Männer, die ihr ganzes Leben nur ihrer Verteidigung widmen und
dabei nicht einmal wissen, ob ihre Anstrengungen nützlich oder
schädlich sind; und der einflussreichste Akteur ist der Mann, der
die Porträts der Richter malt, denn der könnte durch geschickte
Einflüsterung vorläufige Freisprüche erwirken, nach denen man
allerdings, wenn es schlecht läuft, sofort wieder von neuem
verhaftet werden kann - willkommen in der Welt, in der sich Josef
K., 'ohne daß er etwas Böses getan hätte', in dem einen Jahr vom
Morgen seines 30. bis zum Vorabend seines 31. Geburtstages
behaupten muss. Da ist nichts Erhabenes an diesem Prozess und dem
ihn anstrengenden Gericht, es ist alles schlampig, liederlich,
kleinlich, korrupt, eitel, bürokratisch und vor allem ganz und gar
rätselhaft, eine Parallelwelt tut sich auf für Josef K., und je
länger wir lesen, desto mehr fühlen und kämpfen wir mit ihm, denn
das tut er, kämpfen, er widersetzt sich, obwohl ihm alle davon
abraten, und gerade seine Widerspenstigkeit scheint sein Untergang
zu sein, aber er unterwirft sich nicht und er verzweifelt nicht,
aber er wird müder und müder und verwirrter und verwirrter. Dabei
geht es nicht ohne Komik ab: Es ist alles nicht nur ganz und gar
rätselhaft, es ist auch alles unsagbar blöd, und Josef K. scheut
sich nicht, das zu bemerken und anzuprangern, nur dass ihm das auch
nichts nützt. Zu verstehen gibt es für ihn nicht viel und für uns
als Leser auch nicht, und doch verstehen wir nur zu gut: Es ist die
Rätselhaftigkeit unserer Existenz wie auch der Existenz alles
anderen um uns herum, die hier verhandelt wird mit den banalen,
unzulänglichen, menschlichen Mitteln, die uns als einzige zur
Verfügung stehen, und so lesen Untersuchungsrichter während der
Verhandlung in zerfledderten Büchern mit schmuddeligen Zeichnungen,
wirft ein Gerichtsbeamter die in die Kanzleien drängenden Advokaten
solange die Treppe hinunter, bis sie ihn durch ihren unermüdlichen
Ansturm zur Aufgabe gezwungen haben, ist jedem Richter bis in die
kleinste Einzelheit vorgeschrieben, wie er sich vom Gerichtsmaler
malen lassen darf, das ganze Buch ist auch eine große Parade von
Spökenkiekern, Schlawinern, Quatschköpfen, Angebern, wirren Zauseln
und Duckmäusern, die aber alle, und da bleibt einem das Lachen dann
gleich wieder im Halse stecken, spießige Rädchen einer riesigen
Machtmaschine sind, die unermüdlich daran arbeitet, Menschen zu
verurteilen und zu vernichten. Wie immer wir bei der Lektüre
versucht sind, das Gericht zu interpretieren, als Triumph eines
exzessiven Über-Ichs, als Einbruch des Tragischen in den Alltag,
als Unterdrückungsapparat der Gesellschaft gegen sexuelle,
kulturelle, politische oder ökonomische Nonkonformität - alles wird
ein, zwei Seiten später widerlegt oder jedenfalls nicht plausibler,
da kann man es ebensogut erst einmal lassen, bei Kafka ist eine
gewisse Hingabe nie falsch und das Buch belohnt sie vielfach, auch
wenn es schlecht ausgeht. Es muss nicht immer ein Happy End sein."
Sven Regener
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