Sven Regener liest Kafka "Amerika" - Hörprobe
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tacheles! - Hörbuch und Kabarett bei ROOF Music
Beschreibung
vor 10 Jahren
Aber wir verstehen nicht. Oder glauben, nicht zu verstehen. Oder
wir verstehen, können aber nicht sagen, was eigentlich »Kafka
erscheint uns rätselhaft, dabei schreibt er doch eigentlich in
einer schlichten Prosa, seine Schilderungen sind präzise, seine
Personen reden in einfachen Worten und es wird weder um das, was
sie tun, noch um das, das sie reden, noch um das, was ihnen
zustößt, ein großes Gewese gemacht. Aber wir verstehen nicht. Oder
glauben, nicht zu verstehen. Oder wir verstehen, können aber nicht
sagen, was eigentlich. Wir glauben immer etwas anderes, Drittes
ausmachen zu müssen, das mit dem, was dort passiert, eigentlich
bezeichnet wird, wir versuchen, das Rätsel zu lösen. Aber das ist
vielleicht ein Fehler. Vielleicht sollte man Kafka anders lesen,
nämlich ohne Reserve und ohne interpretatorische Ambitionen. So wie
wir mittlerweile in der Malerei dreibeinige Pferde oder blaue Bäume
hinnehmen können und auch atonale Musik und Wuppertaler
Tanztheater: Wie es gerade kommt. Amerika wäre dafür ein guter
Einstieg, denn man kann das Buch auch fröhlich als Abenteuerroman
lesen, in dem zwar sprachlich immer mal wieder die perspektiven
verrutschen, der eine Satz dem anderen widerspricht,
Überdeutlichkeit mehr zur Vernebelung als zur Aufklärung beiträgt,
aber was soll‘s, die Geschichte ist gut und man will wissen wie es
weitergeht, und es geht immer weiter, weil Karl Roßmann ein
wackerer Held ist, der alles Mögliche tut, bloß nicht lockerlassen.
Aber das ist natürlich noch nicht einmal die halbe Miete. Es bleibt
die Rätsel haftigkeit, die geheimnisvolle Macht der Bilder, die
unseren Erfahrungen zugleich ent- und widerspricht, die Magie einer
Sprache, die sich von einem ruhigen Dahin fließen jederzeit und
unvermittelt auftürmen kann zu den stürmischen Wellen äußerster
Erregung, nur um gleich wieder abzufl auen und uns plaudernd
einzulullen. Und alles ist ein bisschen schief, so wie im Kubismus,
man sieht wie dort alles von allen Seiten zugleich und ist
verwirrt, weil der Verstand rechtgibt, aber die Erfahrung
widerspricht. Und so sind wir immer wieder versucht, innezuhalten
und gründlich zu überlegen, was denn da eigentlich los sei. Wenn
man das Hörbuch hört, gibt es zu diesem Zweck die Pausentaste. Oder
man lässt es einfach laufen. Beides scheint mir der richtige Weg zu
sein.« Sven Regener über Franz Kafka
wir verstehen, können aber nicht sagen, was eigentlich »Kafka
erscheint uns rätselhaft, dabei schreibt er doch eigentlich in
einer schlichten Prosa, seine Schilderungen sind präzise, seine
Personen reden in einfachen Worten und es wird weder um das, was
sie tun, noch um das, das sie reden, noch um das, was ihnen
zustößt, ein großes Gewese gemacht. Aber wir verstehen nicht. Oder
glauben, nicht zu verstehen. Oder wir verstehen, können aber nicht
sagen, was eigentlich. Wir glauben immer etwas anderes, Drittes
ausmachen zu müssen, das mit dem, was dort passiert, eigentlich
bezeichnet wird, wir versuchen, das Rätsel zu lösen. Aber das ist
vielleicht ein Fehler. Vielleicht sollte man Kafka anders lesen,
nämlich ohne Reserve und ohne interpretatorische Ambitionen. So wie
wir mittlerweile in der Malerei dreibeinige Pferde oder blaue Bäume
hinnehmen können und auch atonale Musik und Wuppertaler
Tanztheater: Wie es gerade kommt. Amerika wäre dafür ein guter
Einstieg, denn man kann das Buch auch fröhlich als Abenteuerroman
lesen, in dem zwar sprachlich immer mal wieder die perspektiven
verrutschen, der eine Satz dem anderen widerspricht,
Überdeutlichkeit mehr zur Vernebelung als zur Aufklärung beiträgt,
aber was soll‘s, die Geschichte ist gut und man will wissen wie es
weitergeht, und es geht immer weiter, weil Karl Roßmann ein
wackerer Held ist, der alles Mögliche tut, bloß nicht lockerlassen.
Aber das ist natürlich noch nicht einmal die halbe Miete. Es bleibt
die Rätsel haftigkeit, die geheimnisvolle Macht der Bilder, die
unseren Erfahrungen zugleich ent- und widerspricht, die Magie einer
Sprache, die sich von einem ruhigen Dahin fließen jederzeit und
unvermittelt auftürmen kann zu den stürmischen Wellen äußerster
Erregung, nur um gleich wieder abzufl auen und uns plaudernd
einzulullen. Und alles ist ein bisschen schief, so wie im Kubismus,
man sieht wie dort alles von allen Seiten zugleich und ist
verwirrt, weil der Verstand rechtgibt, aber die Erfahrung
widerspricht. Und so sind wir immer wieder versucht, innezuhalten
und gründlich zu überlegen, was denn da eigentlich los sei. Wenn
man das Hörbuch hört, gibt es zu diesem Zweck die Pausentaste. Oder
man lässt es einfach laufen. Beides scheint mir der richtige Weg zu
sein.« Sven Regener über Franz Kafka
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