Funktionelle Reorganisation der vestibulo-okulären Reflexe nach einer peripheren vestibulären Läsion: eine tierexperimentelle Studie am Frosch

Funktionelle Reorganisation der vestibulo-okulären Reflexe nach einer peripheren vestibulären Läsion: eine tierexperimentelle Studie am Frosch

Beschreibung

vor 19 Jahren
Die funktionellen Konsequenzen einer synaptischen Reorganisation
nach der Durchtrennung eines Astes des N. VIII (Ramus anterior –
Ra) des Frosches wurden in-vivo mit natürlichen Reizen anhand von
Antworten der Abduzensnerven untersucht. Durch die Läsion des
Ra–Nervenastes wurden die afferenten Signale aus dem Utrikel, dem
horizontalen und dem anterioren vertikalen Bogengang inaktiviert,
während die Nervenfasern aus dem posterioren vertikalen Bogengang
und aus der Lagena, dem vertikalen Otolithenorgan des Frosches,
intakt blieben. Akut nach dieser Läsion trat im kontraläsionalen
Abduzensnerven bei horizontaler Linearbeschleunigung keine Antwort
mehr und bei horizontaler Rotationsbeschleunigung nur noch eine
inhibitorische Antwortkomponente auf. Zwei Monate nach der Läsion
traten wieder deutlich modulierte Antworten sowohl bei Linear- als
auch bei Rotationsbeschleunigungen auf. Diese Erholung beruhte bei
einem Teil der Tiere (10 von 20) auf einer Regeneration des
Ra–Nervenastes mit einer funktionellen Reinnervierung des
utrikulären Sinnesepithels. Bei einem anderen Teil der Tiere (10
von 20) stammten die Signale für die erholten Antworten aus dem
Utrikel bzw. aus dem horizontalen Bogengang der intakten Seite.
Diese afferenten Signale gelangten nach einer ersten Umschaltung in
den vestibulären Kernen über kommissurale Fasern zu vestibulären
Kernneuronen auf der ipsiläsionalen Seite. In Übereinstimmung mit
den Ergebnissen von elektrophysiologischen Studien am der gleichen
Tierart nach der gleichen Läsion war die kommissurale Erregung bei
chronischen Ra–Tieren auf der ipsiläsionalen Seite so effizient
gesteigert, dass vestibuläre Projektionsneurone aktiviert wurden.
Diese Steigerung beruhte auf einer Expansion von Signalen von
kommissuralen und intakten afferenten Fasern auf jene vestibuläre
Neurone, die durch die Nervenläsion ihre afferente Erregung
verloren hatten. Die räumliche Orientierung von Beschleunigungen,
die maximale Antworten im Abduzensnerven auslösten, waren im
Vergleich zu Kontrolltieren auf der kontraläsionalen aber nicht auf
der ipsiläsionalen Seite verändert. Die Orientierung des
Antwortvektors des kontraläsionalen Abduzensnerven für lineare
Beschleunigungen war durch eine vertikale Beschleunigungskomponente
charakterisiert, die im ipsiläsionalen Abduzensnerven ebenso fehlte
wie bei Kontrolltieren. Signale aus den vertikalen Bogengängen
lösten bei Rotationsbeschleunigungen Antworten im kontraläsionalen
Abduzensnerven aus, die bei Kontrolltieren nicht zum Reflex
beitrugen. Die Änderung in der Orientierung des Antwortvektors auf
der kontraläsionalen Seite waren bei Tieren ohne eine funktionelle
Reinnervierung der utrikulären Makula am stärksten ausgeprägt. Bei
Tieren mit einer funktionellen Reinnervierung waren diese
Änderungen weniger stark vorhanden. Der ipsiläsionale Abduzensnerv
hingegen wich bei beiden Gruppen in seinem Antwortverhalten kaum
von dem Antwortverhalten in Kontrolltieren ab. Dementsprechend sind
die Antworten der beiden Abduzensnerven nicht mehr
spiegelsymmetrisch organisiert und kompensatorische Augenbewegungen
erfolgen nicht mehr streng konjugiert. Die Ergebnisse dieser
Untersuchungen unterstützen die Hypothese, wonach es nach einer
peripheren Nervenläsion zu einer Ausbreitung von Signalen von
intakt gebliebenen Fasern kommt. Diese Reaktion ist abhängig von
der Aktivität afferenter Eingänge und im Falle einer Reinnervierung
reversibel. Da eher das Überleben von einzelnen Nervenzellen als
die funktionelle Erholung von Netzwerkeigenschaften im Vordergrund
dieser Reaktion stehen, ist das Auftreten von z. T. unerwünschten
Konsequenzen nicht überraschend. Analog zum Auftreten von
Phantomempfindungen oder gar Phantomschmerzen nach der Amputation
einer Extremität oder von Tinnitus nach einer lokalen cochleären
Läsion, treten im Rahmen einer vestibulären Kompensation Reflexe
auf, die eine inadäquate 3D–Abstimmung aufweisen. Damit zeigen die
hier dargestellten Ergebnisse erstmals, dass auch im Rahmen einer
vestibulären Kompensation aktivitätsabhängige synaptische
Reaktionen mit teils unerwünschten Konsequenzen ablaufen. Die hier
beim Frosch beschriebene postläsionale Reorganisation ist
dementsprechend weder spezies- noch modalitätsspezifisch, sondern
ein generelles biologisches Reaktionsprinzip.

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