Hirnfunktionelle Korrelate bei Zwangsstörungen: Untersuchung mit ereigniskorrelierten Potentialen

Hirnfunktionelle Korrelate bei Zwangsstörungen: Untersuchung mit ereigniskorrelierten Potentialen

Beschreibung

vor 19 Jahren
Die Zwangsstörung wurde lange Zeit als eine relativ seltene
Krankheit angesehen. Erst durch neuere epidemiologische
Untersuchungen zeigte sich, dass sie die vierthäufigste
neuro-psychiatrische Erkrankung darstellt. Das Besondere an ihr
ist, dass sie im Gegensatz zu anderen neuro-psychiatrischen
Erkrankungen, mit einer hirnelektrischen Überaktivität assoziiert
sein soll. Vor allem dem überaktivierten orbito-frontalen Kortex
wird in zahlreichen Studien eine wichtige Rolle bei der
Ätiopathogenese der Zwangsstörung beigemessen. Da die Literatur
dazu hauptsächlich auf bildgebende Untersuchungsverfahren mit
mangelhafter zeitlicher Auflösung basiert, erscheint es wichtig,
die Validität der Erklärungsmodelle zur Entstehung der
Zwangsstörung mit einem Analyseverfahren zu überprüfen, das diesen
Nachteil nicht hat. Unabhängig davon existieren Befunde, dass bei
der Zwangssymptomatik im Ableitungskanal Pz, verkürzte Latenzen bei
akustischen P300-Oddball-Paradigmen vorzufinden sind, welche
ebenfalls Ausdruck dieser gesteigerten zerebralen Aktivität sein
sollen. Die Ergebnisse zu den analogen P300-Amplituden sind dagegen
weit weniger konsistent, was auf die recht kleinen
Untersuchungskollektive bisheriger Studien zurückzuführen ist.
Vorteilhaft an unserem Analyseverfahren ist, dass zu den zerebralen
Generatoren der P300 auch Hirnareale zählen, die für die Entstehung
und Aufrechterhaltung der Zwangssymptomatik verantwortlich gemacht
werden. Dazu gehört insbesondere der orbito-frontale Kortex. Das
Ziel dieser Arbeit war somit die Klärung, ob nicht nur die
P300-Latenz bei Zwangsstörungen eine Veränderung, im Sinne einer
Verkürzung, zeigt, sondern ob auch die P300-Amplitude sich anders
darstellt. Erhöhte Amplituden bei Patienten mit Zwangsstörungen
wären besser mit der in der Literatur beschriebenen Hyperaktivität
vereinbar. Weiterhin gingen wir der Frage nach, in welchen
Hirnregionen diese Veränderungen lokalisiert seien und ob eine
Hypo- oder Hyperaktivität damit verbunden wäre. Wir erwarteten eine
Bestätigung der postulierten Überaktivierung im orbito-frontalen
Kortex. Als nächstes wollten wir mögliche Therapieeffekte auf die
P300 bzw. auf die zerebrale Hyperaktivität prüfen. Eine Angleichung
der hirnfunktionellen Veränderungen an den gesunden Normalzustand
nach einer Kombinationstherapie aus Sertralin und multimodaler
Verhaltenstherapie wurde angenommen. Letztendlich sollte noch die
Frage geklärt werden, ob diese hirnfunktionellen Abnormitäten bei
Patienten mit Zwangsstörungen mit der Schwere der Erkrankung
korrelieren. Wir untersuchten 71 unbehandelte Patienten mit
Zwangsstörungen und 71 gesunden Personen mit einem akustischen
P300-Oddball-Paradigma und zeichneten dabei die
ereigniskorrelierten Potentiale mit 31 Elektroden auf. Wie bereits
angenommen, konnte bei den Patienten mit Zwangsstörungen eine
erhöhte P300-Amplitude beobachtet werde. Die P300-Latenz zeigte im
Vergleich zu den gesunden Kontrollen nur eine deskriptive
Verkürzung. Die Stromdichteverteilung im Talairach-Raum wurde mit
der Low Resolution Electromagnetic Tomography (LORETA)
durchgeführt. Wir konnten im Zeitintervall der P300 (240 - 580 ms)
vier Hirnareale, alle in der linken Hirnhälfte lokalisiert, mit
einer signifikant erhöhten Überaktivität bei Patienten mit
Zwangsstörungen identifizieren. So zeigten neben dem
inferio-temporalen Kortex des Temporallappens, dem
inferio-parietalen Kortex des Parietallappens und dem mittleren
Gyrus frontalis, vor allem der orbito-frontale Kortex des
Frontallappens, signifikant höhere elektrische Aktivierung. Die von
uns aufgestellte Hypothese einer orbito-frontalen Hyperaktivität
erwies sich also als richtig. Der Einfluss der 10-wöchigen
Kombinationstherapie wurde bei 43 von den ursprünglichen 71
Patienten mit Zwangsstörungen untersucht. Nach der
Kombinationstherapie normalisierte sich die Überaktivität lediglich
im mittleren Gyrus frontalis. Auf der Potentialbasis wiesen
hingegen die P300-Amplituden und -Latenzen keine signifikanten
Veränderungen auf. In der abschließenden Untersuchung ließ sich
kein Zusammenhang zwischen der Psychopathologie (Y-BOCS) und den
hirnfunktionellen Abnormitäten bei Zwangsstörungen festgestellen.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind größtenteils konsistent
mit der aktuellen Literatur zur Zwangssymptomatik. Es ist die
einzige Arbeit zur Untersuchung der zerebralen Aktivität bei
Patienten mit Zwangsstörungen, die dafür einen linearen
Lösungsansatz für das inverse EEG-Problems verwendete. Auch
existieren nur wenige Studien, die eine vergleichbar große Anzahl
an Patienten mit Zwangsstörungen analysiert haben. Dies gilt
insbesondere für die Erkenntnisse aus der funktionelle Bildgebung
(PET, fMRT, SPECT), die letztendlich den Hauptbeitrag zur Bildung
der Hypothese einer zerebralen Hyperaktivität bei Zwangsstörungen
leisteten. So wiesen PET- bzw. fMRT-Studien selten mehr 25 zu
untersuchende Patienten auf. Die hier verwendete
Stromdichte-Analyse bestätigt somit die Befunde aus der
funktionellen Bildgebung (fMRT, SPECT, PET) mit ihrem mangelhaften
zeitlichen Auflösungsvermögen, dass vor allem eine orbito-frontale
Überaktivität die Zwangsstörung charakterisiert. Darüber hinaus
konnte zum ersten Mal eine Verbindung zwischen den abnormen
P300-Potentialwerten und der zerebralen Hyperaktivität bei
Zwangsstörungen hergestellt worden. Auch konnte erstmalig eine
Normalisierung der Überaktivität im Gyrus frontalis medius nach
Therapie beobachtet werden.

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