Die Bedeutung des Kleinhirns bei der Adaptation von Atmung und Standmotorik an erwartete und unerwartete motorische Störungen.

Die Bedeutung des Kleinhirns bei der Adaptation von Atmung und Standmotorik an erwartete und unerwartete motorische Störungen.

Beschreibung

vor 19 Jahren
Die vorliegende Studie prüfte an gesunden Probanden, ob die
Reaktionen der Atmung und Standmotorik auf erwartete und
unerwartete Störungen des Körpergleichgewichts im Sinne von
plastischen Lernprozessen modifzierbar sind. Anhand von Patienten
mit degenerativen Kleinhirnatrophien wurde untersucht, ob das
Kleinhirn an der Entstehung, Adaptation und Integration derartiger
Reaktionsmustern beteiligt ist. Zu Beginn der Versuche wurde die
Atmung der Probanden bei ruhigem Stand aufgezeichnet. Gleichzeitig
wurden die standmotorischen Reaktionen der Mm. gastocnemius und
tibialis anterior, sowie die Körperschwerpunktskräfte registiert.
In der ersten Versuchsanordnung wurden unerwartete,rampenförmige
Plattformkippungen benützt, die innerhalb verschiedener Abschnitte
des Atemzyklus appliziert wurden. Im zweiten Versuchsparadigma
wurden dagegen erwartete,kontinuierlich-sinusförmige
Plattformbewegungen unterschiedlicher Frequenz verwendet.
Unerwartete Plattformkippungen führten bei den gesunden Probanden
abhängig vom gestörten, respiratorischen Phasenabschnitt zu einer
Verkürzung der Atemphasen, wobei die Exspirationsphase stärker als
die Inspirationsphase betroffen war. An den Phasenübergängen war
dieser modulatorische Effekt am ausgeprägtesten. Dagegen war die
Variabilität der Atmung hier deutlich niedriger als bei
Perturbationen innerhalb der frühen und mittleren exspiratorischen
Phasenabschnitte. Im Gegensatz zur Atmung ließen sich in den
Reaktionen der Muskeln und in dem aus den Kräften ermittelten
Schwerpunktstrajektor keine atemphasenabhängigen Veränderungen
feststellen. Erwartete Störungen des Körpergleichgewichts
induzierten bei den gesunden Probanden eine individuell
unterschiedlich starke Kopplung von Atem- und Plattformrhythmus.
Diese Kopplung war bei Plattformfrequenzen im Bereich der
Atemruhefrequenz am größten. In Richtung der unteren und oberen
Grenze des untersuchten Frequenzbereichs, die beim Drittel und
Dreifachen der Atemruhefrequenz lag, nahm diese Kopplung ab. Die
Reaktionen des M. gastrocnemius waren v.a. bei höheren Frequenzen
stärker als die des M. tibialis anterior an die Plattformbewegung
gekoppelt. Wie bei der Atmung ließ sich bei den muskulären
Reaktionen eine Abnahme der Kopplung in den oberen und unteren
Frequenzbereichen feststellen. In allen Versuchsserien zeigten die
Patienten eine im Vergleich zu den gesunden Probanden reduzierte
respiratorische Anpassungsfähigkeit. Bereits in der Ruhemessung
wies die Patientengruppe eine höhere Atemfrequenz bei geringeren
respiratorischen Frequenzschwankungen auf. Die unerwarteten,
plattforminduzierten Störungen des Körpergleichgewichts führten bei
der Patientengruppe zu einer geringeren und kürzeren Modulation der
Atmung. Bei den erwarteten Störungen unterschieden sich die
Patienten durch eine schwächere Kopplung von Atmung und
Plattformbewegung. Bei keiner der untersuchten Versuchsgruppen ließ
sich eine Abhängigkeit der standmotorischen Reaktionen von den
Bedingungen der Atemtätigkeit nachweisen. Die vorliegende Studie
zeigte eine durch unerwartete wie erwartete motorische Störungen
ausgelöste, funktionelle Hierarchisierung der atem- und
standmotorischen Reaktionen, an der das Kleinhirn durch Adaptation
und Integration der Atemmotorik beteiligt war.

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