Werden und dürfen wir an unseren Genen herumbasteln?

Werden und dürfen wir an unseren Genen herumbasteln?

Dr. Pero Mićić über Genome Editing und CRISPR
7 Minuten

Beschreibung

vor 5 Jahren

Die angesehene Zeitschrift "Science" hat ein biochemisches
Verfahren zum Durchbruch des Jahres 2015 gewählt: CRISPR/Cas9.

Es ermöglicht eine vergleichsweise einfache, schnelle und
kostengünstige Veränderung von Genen.

CRISPR/Cas9 verspricht, Medizin und Biotechnologie zu
revolutionieren. Wie mit einer Schere lässt sich DNA gezielt an
einer bestimmbaren Sequenz zerschneiden.

Genabschnitte können entfernt, verändert, ausgeschaltet oder
um neue Bausteine ergänzt werden.

Es handelt sich um eine Art 'biologisches
Textverarbeitungsprogramm', mit dem der Mensch künftig seine
Existenz und die seiner Umwelt 'editieren' kann. Ein wahrhaft
mächtiges Werkzeug.

Sozusagen eine Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln.

Dass der Mensch an der Schwelle steht, die Evolution selbst
in die Hand zu nehmen, anstatt ihr Spielball zu sein, schürt
Hoffnung und gar Allmachtsphantasien bei den einen und Ängste bei
vielen anderen.

Immerhin hat das Verfahren nicht nur Auswirkungen auf die
Lebewesen, sondern auf komplette Ökosysteme.

Und im Falle des Menschen auf dessen Selbstverständnis, seine
Werte und die sozialen Strukturen, in denen er lebt.

Die Veränderung der menschlichen Keimbahn wird mit hoher
Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft sehr restriktiv gehandhabt
werden, unter anderem deshalb, weil Veränderungen weitervererbt
werden.

Aber ein Tabu ist sie nicht mehr.

In Großbritannien dürfen Wissenschaftler künftig das Erbgut
menschlicher Embryonen gezielt verändern – wenn auch zunächst nur
zu Forschungszwecken.

Und chinesische Wissenschaftler haben bereits
Genmanipulationen an Embryonen vorgenommen, um zu testen, ob sich
eine genetisch bedingte Krankheit ausmerzen lässt, bei der zu
wenig Hämoglobin, also der Farbstoff der roten Blutkörperchen,
gebildet wird, ß-Thalassämie heißt sie.

Von einer klinischen Anwendung ist das alles aber noch weit
entfernt.

Ängste gibt es viele: Sie reichen von der Gefahr des
Missbrauchs durch eine sich selbst optimierende und ermächtigende
Superelite bis hin zur Auslöschung der gesamten Menschheit durch
'Mutanten', die sich genetisch durchsetzen.

Es ist durchaus sinnvoll, solche extremen Szenarien zu
denken.

Sie wirken aber auch unverhältnismäßig in einer Welt, in der
jedes Jahr Millionen von Menschen an den Folgen des Alkohol- und
Tabakkonsums oder durch Autounfälle sterben, weil sie
eigenverantwortlich und relativ sorglos Risiken eingehen und
eingehen dürfen.

Verantwortung heißt genau das: Risiken bewusst und vernünftig
einzugehen. Aber auch: Chancen zu nutzen. Und die sind immens und
zahlreich. Stellen Sie sich die Zukunft vor, wenn CRISPR/Cas9
ausgereift ist:

Zahlreiche genetische Erbkrankheiten sind ausgerottet

Krebs und Aids sind heilbar, sogar verhinderbar

Für den Menschen verträgliche Ersatzorgane können in
Tieren gezüchtet werden

Ertragreichere und robustere Pflanzen haben das
Ernährungsproblem einer weiter gewachsenen Weltbevölkerung
gelöst

Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft konnte
dramatisch gesenkt oder gar gänzlich überflüssig werden

Neue Enzyme haben die Biotreibstoff-Produktion
revolutioniert

Moskitos können Malaria und andere gefährliche Erreger
nicht mehr übertragen



Seit jeher ist es das Ziel des Menschen, sich und seine
Lebensbedingungen zu verbessern. Dafür nutzen wir Wissenschaft
und Technik und überschreiten dabei immer wieder Grenzen.

Das ist in gewisser Weise auch eine Emanzipation von einer
oft bedrohlichen Natur.

Das kann man als menschlichen Übermut und einen nie enden
wollenden Optimierungswahn bemängeln.

Aber übersehen Sie bitte nicht, dass wir heute in einer
weitaus besseren Welt leben als noch vor 100 Jahren. Eben dem
Fortschritt sei Dank.

Es ist nur schwer vorstellbar, wie beschwerlich und kurz
unser Leben noch wäre, hätten wir frühere Chancen nicht genutzt.

Mit CRISPR/Cas9 steht uns eine weitere Technologie zur
Verfügung, die uns buchstäblich zu Entscheidungen zwingt.

Sie zwingt uns dazu, souveräner Gestalter unserer Zukunft zu
sein - und sei es durch die Entscheidung, diese Technologie
explizit nur begrenzt oder gar nicht zu nutzen.

Vielleicht entscheidet sich der Mensch aber auch, sie nicht
nur im Kampf gegen Krankheiten, sondern auch als
Enhancement-Technologie einzusetzen, um seine physischen und
kognitiven Fähigkeiten zu verbessern und ein gesünderes und
längeres Leben zu führen.

Das sind unbändig starke Bedürfnisse, die zu befriedigen sich
manche Leute heute schon viel Geld kosten lassen. Die, die es
haben.

Wäre es nicht besser, wenn diese Möglichkeiten praktisch
jedem zur Verfügung stünden?

Mit CRISPR/Cas9 und ähnlichen Verfahren können wir
schicksalhaften Krankheiten ein Ende bereiten, unsere Felder
pestizidfrei machen und vieles mehr.

Allein schon diese Aussichten sind es wert, die Diskussion um
Gentechnologien nicht hysterisch und dogmatisch, sondern besonnen
und nutzenorientiert zu führen.

Die besondere Herausforderung besteht darin, dass wir
komplexe Systeme nie vollständig beherrschen können.

Wenn wir es uns aber gänzlich verbieten, müssten wir nach dem
gleichen Prinzip auch die meisten Medikamente verbieten.

Und jetzt?

Schauen Sie genau hin. Vielleicht arbeiten Sie in einer
Branche, die noch nicht erkannt hat, dass und wie sie mit weißer,
grüner oder roter Gentechnologie die Probleme ihrer Kunden besser
lösen und ihre Wünsche besser erfüllen kann.

Zu Wohle Ihrer Kunden und damit Ihres Unternehmens.

Am Ende dürften – wie so oft – die Vorteile sehr willkommen
und die Gefahren weitestmöglich beherrschbar sein.

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